Im Interview erklärt sich Bundesrichter Thomas Fischer zu seiner Kolumne. Außerdem in der Presseschau: Uli Hoeneß kommt nach verbüßter Halbstrafe frei, VW engagiert ehemaligen FBI-Chef und zu viel nackte Haut im Museum.
Thema des Tages
Bundesrichter Thomas Fischer: In einem ausführlichen Interview mit lto.de (Constantin van Lijnden) äußert sich Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, zu seiner nun seit einem Jahr auf zeit.de veröffentlichten Kolumne. Als Bewegrund nennt der Richter Erstaunen und Enttäuschung über die oberflächliche journalistische Darstellung gerichtlicher Arbeit. Fischer geht zudem auch ein auf unterschiedliche Reaktionen seiner Kollegen am BGH und an den Instanzgerichten, den Vorwurf, er betreibe mit seinen Texten unsachliche Kampagnenpolitik, sowie einen möglichen Konflikt mit der gebotenen richterlichen Zurückhaltung in der Öffentlichkeit. Unter einer Schreibblockade für seine Kolumne habe Fischer noch nie gelitten.
Rechtspolitik
Flüchtlinge: Der Verfassungsblog veröffentlicht "Asyl und Migration – Recht und Wirklichkeit", einen vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gehaltenen Vortrag aus Dezember. Der frühere Verfassungsrichter stellt Grundlagen des gegenwärtigen Asyl- und Migrationsrechts dar und unterzieht aktuelle Änderungsvorschläge einer kritischen Würdigung.
Asylpaket II: Nach Informationen von spiegel.de wird das sogenannte Asylpaket II nicht wie ursprünglich geplant in dieser Woche von der Bundesregierung beschlossen. Zwischen den Koalitionsparteien sei nach wie vor eine Regelung zum Familiennachzug für Flüchtlinge umstritten.
Bundeswehr im Innern: Vorschläge, zur Vermeidung von Situationen wie den Kölner Silvesterübergriffen auch der Bundeswehr Polizeiaufgaben zu übertragen, kommentiert Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel des Blatts zurückhaltend. Bei einem besonders schweren Unglücksfall seien derartige Einsätze auch jetzt schon möglich. Der Vorschlag verdeutliche vielmehr, dass Deutschland "auf eine Notlage" zusteuere.
Abschiebungen: Aus Anlass der Forderung nach erleichterten Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern und Straftätern durch sogenannte Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern erläutert die taz (Christian Rath) die diesbezügliche Praxis. Diese erfordert vor allem eine Bereitschaft der betreffenden Länder, Personen auch tatsächlich aufzunehmen. Zu diesem Zweck werde ein Laissez-passer-Papier als Passersatz ausgestellt.
BND-Auslandsaufklärung: Die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) berichtet zu dem nun vom Bundeskanzleramt vorgelegten Entwurf einer gesetzlichen Regelung der Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes. Nach diesem solle die nachrichtendienstliche Überwachung etwa von Einrichtungen der Europäischen Union oder EU-Bürgern nur noch zur Abwehr terroristischer Gefahren und damit unter den gleichen Voraussetzungen wie das Abhören Deutscher möglich sein. Über die Einhaltung der Regeln solle nach dem Entwurf ein noch zu benennendes Gremium des Bundestages wachen.
Justiz
EuGH zu Waldschlößchenbrücke: Das Bundesverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung zur Klage gegen den Bau der mittlerweile fertiggestellten Dresdner Waldschlößchenbrücke europäische Naturschutzvorgaben zu berücksichtigen. Die Erforderlichkeit einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung ergebe sich aus den erheblichen Folgen des Projekts für Tiere und Pflanzen, entschied der Europäische Gerichtshof in der vergangenen Woche auf eine Anfrage des BVerwG. lto.de berichtet.
EGMR zu Massenausweisung: Die FAZ (Reinhard Müller) erinnert an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Februar 2012. Afrikanische Flüchtlinge, die von der italienischen Küstenwache auf hoher See aufgegriffen wurden, hatten erfolgreich gegen ihre Rückführung nach Libyen geklagt. Das Gericht erkannte hierin unter anderem eine Verletzung des Verbots der "Kollektivausweisung ausländischer Personen", weil die Rückführung ohne jegliche Prüfung tatsächlicher Fluchtgründe und sogar der Identität der Betroffenen erfolgte. Dementsprechend seien aktuelle Vorschläge zu Massenausweisungen mit Vorsicht zu genießen: Jeder Flüchtling habe einen Anspruch auf individuelle Prüfung seiner Rechte.
BVerfG – Oppositionsrechte: Auch das HBl (Heike Anger) berichtet nun zu der in der letzten Woche vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Organklage der Bundestagsfraktion der Linken zur effizienteren Oppositionsrechten im Parlament. Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Christoph Degenhart sei künftig auch über die Aufhebung der Fünf-Prozent-Sperrklausel nachzudenken, "wenn die Große Koalition nicht mehr die Ausnahme darstellt, sondern sich als Regelfall etabliert".
BVerfG – NPD-Verbot: In einem Gastkommentar thematisieren die Juristen Horst Meier und Johannes Lichdi in der taz die für das gegenwärtig am Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zum Verbot der NPD potentiell problematische politische Vergangenheit zweier Verfassungsrichter. Sowohl Peter M. Huber als auch Peter Müller hätten sich in vorherigen, politischen Ämtern relativ eindeutig gegen die NPD positioniert. Dies könne Zweifel an der Unvoreingenommenheit beider Richter begründen und gefährde dadurch das Verfahren.
OLG Frankfurt zu Aufreißer-Coach: Durch Erlass einer einstweiligen Verfügung hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. es dem Allgemeinen Studierendenausschuss der örtlichen Uni untersagt, in einem Artikel über sogenannte Pick-Up-Artists oder Aufreißer-Coaches einen lokalen Vertreter namentlich zu nennen. Der unterlegene Antragsgegner beabsichtige die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens, schreibt die taz (Astrid Ehrenhauser).
LG Augsburg zu Uli Hoeneß: Nach Entscheidung der Strafvollzugskammer des Landgerichts Augsburg wird Uli Hoeneß nach Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe antragsgemäß am 29. Februar entlassen werden. Für diese sehr seltene Reduktion sprächen außergewöhnliche Gründe, gibt die SZ (Annette Ramelsberger) die Argumentation des Gerichts wieder. So habe sich der Verurteilte stets um Integration in die Gefangenengemeinschaft bemüht, auch stelle sich sein "sozialer Empfangsraum" als "äußerst günstig" dar. Die Staatsanwaltschaft hatte der Reduktion widersprochen.
In einem separaten Kommentar bezeichnet Annette Ramelsberger (SZ) die Entscheidung als "fatal". Nach ausführlichen Beteuerungen der bayerischen Justiz, dem Manager werde "keine Extrawurst gebraten", entstehe nun genau jener Eindruck. Auch Udo Vetter (lawblog.de) hält den "glatten Durchmarsch" für "bemerkenswert". Die sogenannte Halbstrafe "ist bei uns so gut wie tot, noch dazu im schönen Bayern". Offensichtlich habe Hoeneß' Persönlichkeit dazu beigetragen, "die ja ansonsten immer so hoch aufgehängte Sozialschädlichkeit von Steuerdelikten zu überspielen".
LG Frankfurt – Terrorismus: Ab dem kommenden Donnerstag wird vor dem Landgericht Frankfurt/M. gegen einen Mann verhandelt, dem die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags auf ein letztlich abgesagtes Radrennen im vergangenen Mai vorgeworfen wird. Der Angeklagte hatte sich durch den Kauf einer größeren Menge Wasserstoffperoxid verdächtig gemacht und wurde vor seiner Inhaftierung observiert. Dennoch stützten sich die Ermittler weitgehend auf Indizien, so die SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo).
LG Neubrandenburg – SS-Mann: Nach Meldung der taz beginnt der Prozess gegen einen ehemaligen SS-Mann vor dem Landgericht Neubrandenburg am 29. Februar. Dem 95-Jährigen wird wegen seines Einsatzes im KZ Auschwitz Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen vorgeworfen.
LG Wuppertal zu Brandanschlag: In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Wuppertal wegen eines Brandanschlags auf die lokale Synagoge sind die Bewährungsstrafen der Verurteilten erhöht worden, schreibt spiegel.de.
Feinstaubbelastung: focus.de (Lisa Rokahr) interviewt Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Stadt München im Namen der Deutschen Umwelthilfe wegen unzureichender Maßnahmen gegen Feinstaubbelastung verklagt hat.
StA Braunschweig – VW: Das HBl (Volker Votsmeier/Martin Murphy) berichtet zu Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen der Abgas-Affäre bei VW. Die Ermittlungen teilten sich in zwei Komplexe. Im ersten untersuchten die Ermittler möglichen Betrug bei der Emission von Stickoxiden, in einem zweiten wegen falsch angegebener Kohlendioxidwerte, hierbei werde auch noch eine mögliche Steuerhinterziehung bearbeitet. Ein weiterer Beitrag (Peter Köhler) legt dar, dass eine deutsche Kanzlei gegenwärtig für dutzende institutionelle Investoren eine Klage gegen VW nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vorbereite. Ein entsprechender Antrag solle noch in dieser Woche gestellt werden, gefordert würde Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, hat in einem Interview Kompromissbereitschaft bei der Zusammensetzung des Verfassungsgerichts des Landes angedeutet. Denkbar sei ein Modell "wie in Deutschland", bei dem die Hälfte der Richterstellen von der Opposition besetzt werde, so die FAZ (Konrad Schuller).
USA – VW: Nach Informationen der SZ (Thomas Fromm/Klaus Ott) bereitet der VW-Vorstand die Berufung des ehemaligen FBI-Chefs Louis Freeh als Sonderbeauftragten zur Bewältigung der Diesel-Affäre vor. Zugunsten Freehs sprächen vor allem dessen Kontakte in die USA, wo dem Konzern Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe drohen. Der Daimler-Konzern hatte Freeh auf dem Höhepunkt einer Schmiergeldaffäre 2006 als Berater engagiert. Ein weiterer Beitrag der SZ (Thomas Fromm/Klaus Ott) geht genauer auf die berufliche Vita Freehs ein. Mitte der 1980er Jahre war er Staatsanwalt in New York maßgeblich an der Zerschlagung der sogenannten "Pizza-Connection", eines von der sizilianischen Mafia betriebenen Drogenrings, beteiligt.
China – Menschenrechte: Zahlreiche internationale Juristen, unter ihnen Ulrich Schellenberg als Präsident des Deutschen Anwaltvereins, fordern in einem Offenen Brief den chinesischen Präsidenten Xi Jinping dazu auf, im Land festgesetzte Rechtsanwälte freizulassen. zeit.de berichtet.
Sonstiges
Herkunft von Straftätern: Die SZ (Heribert Prantl) befasst sich mit Geschichte und Inhalt der Pressekodex-Richtlinie 12.1., nach dem die Herkunft Tatverdächtiger nur dann genannt werden soll, "wenn für das Verständnis der berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug steht". Satz 2 der Norm erinnert daran, "dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte". Ein weiterer Text der SZ (Heribert Prantl) nennt Beispiele für die bei Verletzung der Richtlinie mögliche Sanktion der Rüge.
Christian Bommarius (BerlZ) bezweifelt in einem Kommentar, dass die Richtlinie für Landespolizeien, die sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit an ihr orientieren, großen praktischen Nutzen entfaltet. Sowohl Rassisten als auch jene, die Polizeiarbeit unter einen generellen Rassismus-Verdacht stellen, würden jegliche Äußerungen im Sinne ihrer vorgefertigten Ansicht interpretieren. Als möglichen Ausweg bietet der Autor das Prinzip des vollständigen Erklärens an.
Facebook-Hetze: Mit einem Bündnis "Initiative für Zivilcourage Online" will der Facebook-Konzern Hassbotschaften in sozialen Netzwerken begegnen. Das Bündnis solle andere Initiativen beim Kampf gegen Extremismus im Netz unterstützen und zusammen mit Experten Instrumente zur aktiven Gegenrede anbieten. Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Nackte Tatsachen: Das Gemälde "Olympia" von Edouard Manet zeigt eine nackte junge Frau auf einem Bett. Zur öffentlichen Nachahmung scheint es dennoch nicht geeignet. Der Versuch der luxemburgischen Performance-Künstlerin Deborah de Robertis, das Gemälde an seinem Ausstellungsort, dem Pariser Musée d'Orsay, lebensecht nachzuempfinden – und mit einer Handkamera die Reaktionen von Besuchern zu filmen – endete mit einer prompten Festnahme wegen Exhibitionismus. zeit.de (Philipp Kienzl) berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2016: Fischer im Gespräch / Hoeneß in Freiheit / Freeh für VW . In: Legal Tribune Online, 19.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18171/ (abgerufen am: 16.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag