Das OLG München verschiebt den NSU-Prozess um drei Wochen, um die Presseakkreditierung neu regeln zu können – und ruft damit gemischte Reaktionen hervor. Außerdem in der Presseschau: Streit über Menschenhandel, BGH zur "Volks"-Marke, Gewerkschaft verklagt Betriebsrat, türkischer Star-Pianist wegen Blasphemie verurteilt – und warum ein Rentner für Knöllchen in den Knast geht.
OLG München – NSU-Prozess vertagt: Das Münchner Oberlandesgericht hat den Beginn der Hauptverhandlung im NSU-Prozess um drei Wochen vertagt. Es soll ein neues Verfahren für die Zulassung von Journalisten geben, berichten u. a. die SZ (Tanjev Schultz/Annette Ramelsberger) und die FAZ (Karin Truscheit). Während Verteidigung und Medienvertreter die Entscheidung begrüßten, würde sie von Angehörigen der Opfer kritisiert. Das "erstaunlich einhellige", positive "Echo der Berliner Politik" gibt die SZ (Nico Fried) wieder.
Die überraschende Entscheidung sei die "Radikallösung", die sich niemand habe vorstellen können, meinen Annette Rammelsberger und Wolfgang Janisch (SZ). Die vom Bundesverfassungsgericht gebaute "goldene Brücke" habe der Vorsitzende Richter am OLG wohl nicht nutzen wollen. Als "Fiasko und Erlösung zugleich" bezeichnet Heribert Prantl (SZ) die Verschiebung und hofft künftig auf mehr "menschliche und rechtliche Feinfühligkeit" des Gerichts. Nina Baumann (focus.de) teilt diese Hoffnung nicht und meint, dem Gericht scheine die Bedeutung des Prozesses noch immer nicht bewusst zu sein, hier blamiere "ein Gericht ein ganzes Land". Christian Rath (taz) hält die Entscheidung dagegen für "nachvollziehbar und richtig" und empfiehlt, die Zeit für eine gesetzgeberische Klarstellung der Übertragung von Gerichtsverhandlungen zu nutzen. Auch Thorsten Jungholt (Die Welt) verlangt eine Modernisierung der "antiquierten Regeln zur Beteiligung der Öffentlichkeit". Reinhard Müller (FAZ) macht bereits jetzt "tragische Züge" im NSU-Prozess aus und befürchtet eine Diskreditierung der Justiz durch die "kleine konspirative Terrorgruppe". Gisela Friedrichsen (spiegel.de) sieht in dem "Chaos" auch eine Folge der Opferrechtsreform, die mehr Nebenkläger in die Gerichtssäle bringe.
lto.de (Claudia Kornmeier) führt ein Interview mit dem Dortmunder Medienrechtler Tobias Gostomzyk zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die FAZ (Reinhard Müller) bringt eine ausführliche Analyse des Beschlusses.
OLG München – Manfred Götzl: Ein kritisches Porträt des "aufbrausenden" Vorsitzenden Richters Manfred Götzl bringt die SZ (Annette Rammelsberger): Ihm fehle anscheinend das nötige Gespür für diesen sensiblen Prozess. Ein wohlwollenderes Bild des "erfahrenen Juristen" zeichnet die FAZ (Albert Schäffer). Auch Die Welt (Manuel Bewarder/Hannelore Crolly) porträtiert den Richter ausführlich.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Menschenhandel: Über die Auseinandersetzung innerhalb der Bundesregierung rund um die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kampf gegen den Menschenhandel berichtet Die Welt (Simone Meyer/Silke Mülherr). Auslöser sei ein Bericht der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die unter anderem Deutschland Umsetzungsdefizite vorwirft.
Berlin – Übersichtsaufnahmen: Der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hat mit der Regierungsmehrheit einen Gesetzentwurf gebilligt, der pünktlich zum 1. Mai anlasslose Echtzeit-Übersichtsaufnahmen von Versammlungen erlauben soll. Die taz Berlin (Plutonia Plarre) berichtet.
Frauenquote ab 2020? Die Unionsparteien vollziehen einen Schwenk und wollen die Forderung nach einer gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte in ihre Wahlprogramme aufnehmen – allerdings erst ab 2020. Die Präsidiums-Entscheidung sei eine Reaktion auf den Bundesrats-Gesetzentwurf, der dem Bundestag am Donnerstag zur Abstimmung vorliegt, berichtet die SZ (Robert Rossmann).
Constanze von Bullion (SZ) kritisiert, dass sich die Unionsfrauen so einmal mehr einer "erpresserischen Logik" beugten. Ines Pohl (taz) meint, es handele sich nicht wie behauptet um einen Kompromiss, sondern "in Wahrheit" um "eine Niederlage für alle Unionsfrauen", die die "historische Chance ungenutzt gelassen" hätten.
Weitere Themen – Justiz
EuG zu Musiklizenzen: Die GEMA hat vor dem Gericht der Europäischen Union einen Teilsieg errungen. Wie lto.de (Ralf Kitzberger) berichtet, erklärte das Gericht eine Entscheidung der Europäischen Kommission teilweise für nichtig, in der diese die Gegenseitigkeitsvereinbarung der europäischen Verwertungsgesellschaften für wettbewerbswidrig erklärt hatte, wonach Verwertungsgesellschaften Lizenzen nur für das jeweilige Inland vergeben dürfen. Die Kommission habe den Beweis, dass dies eine wettbewerbswidrige Absprache sei, nicht erbracht.
BGH zur "Volks"-Marke: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Heike Anger) hat Volkswagen im Streit um die Verwendung der Wortmarke "Volks-" einen Etappensieg gegen die Bildzeitung erzielt. Der Bundesgerichtshof habe ein Urteil des Oberlandesgerichts München aufgehoben, in dem dieses ein Unterlassungs- und Schadensersatzbegehren des Automobilkonzerns abgewiesen hatte, mit dem sich der Autobauer gegen Werbung der Zeitung unter Verwendung des Präfixes "Volks-", zum Beispiel für "Volks-Reifen" oder eine "Volks-Werkstatt" gewehrt hatte.
OLG München zu LOI-Beurkundung: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard bespricht der Rechtsanwalt Cédric Müller eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom September 2012 zur notariellen Beurkundungspflicht bei Kostenerstattungsregelungen für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen über Unternehmenstransaktionen. Führten solche "Letters of Intent" zu einem mittelbaren Zwang zum Abschluss eines seinerseits beurkundungspflichtigen Vertrags, so müssten auch diese vom Notar beurkundet werden.
ArbG Stuttgart – Kärcher-Betriebsrat: Über ein ungewöhnliches Verfahren vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht berichtet heute die SZ (Sibylle Haas): Hier geht die IG Metall gegen den gewerkschaftsfernen Betriebsrat des Reinigungsunternehmens Kärcher vor und will gerichtlich Neuwahlen durchsetzen. Der Vorwurf: Grobe Pflichtverletzungen; der Betriebsrat führe höchstens einmal statt viermal jährlich eine Betriebsversammlung durch. Auch die FAZ (ols.) berichtet.
ArbG Frankfurt – Korrespondentin gegen FAZ: Die London-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wehrt sich gegen ihre Zurückbeorderung in die Frankfurter Redaktion – vor dem Arbeitsgericht. Sie wirft der Zeitung vor, dass sie aufgrund ihrer intern geäußerten Kritik an der Berichterstattung des Blattes über die Finanzkrise strafversetzt werde, berichtet zeit.de (Martin Kotynek).
BAG – Kirchliche Tarifrunden: Im Interview mit der SZ (Detlef Esslinger) erläutert die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt, welche Bedeutung die Tariffreiheit im kirchlichen Umfeld hat. Das Gericht hatte erst im November 2012 den "dritten Weg" der Kirchen bestätigt und Gewerkschaften ein Streikrecht gegenüber kirchlichen Arbeitgebern verwehrt.
Die entscheidenden Passagen des Urteils sowie eines weiteren zum "zweiten Weg" bespricht der Kölner Versicherungsrechtler Christian Rolfs auf blog.beck.de. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wiederum will gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einlegen, weiß die FR (Daniel Baumann).
VGH Baden-Württemberg zu Wetter-Wetten: Auf die Wetterentwicklung zu wetten ist kein erlaubnispflichtiges Glücksspiel. Das hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auf die Klage eines Möbelhauses hin entschieden, dem eine entsprechende Werbeaktion untersagt worden war, meldet die SZ.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Türkei – Star-Pianist verurteilt: In der Türkei ist der bekannteste Pianist des Landes, Fazil Say, wegen Blasphemie zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er habe sich beim Kurznachrichtendienst Twitter über die Religion lustig gemacht, berichtet die taz (Jürgen Gottschlich).
Österreich – Kampusch-Entführer Einzeltäter: Der Entführer von Natascha Kampusch war tatsächlich ein Einzeltäter. Das hat nach einem Bericht der FAZ (Stephan Löwenstein) eine nachträgliche Untersuchung österreichischer, deutscher und US-amerikanischer Kriminalisten ergeben und damit anderslautende Theorien entkräftet.
Frankreich – Verfassungsrat legt EuGH vor: Der französische Verfassungsrat hat das Bundesverfassungsgericht überholt – und erstmals das Vorlageverfahren zum Europäischen Gerichtshof bemüht. Hintergund sind Fragen zum Europäischen Haftbefehl im Fall eines englischen Lehrers, der eine Beziehung zu einer 15-jährigen Schülerin unterhielt. Er wurde auf einer gemeinsamen Reise nach Frankreich festgenommen und an Großbritannien überstellt. Der Verfassungsblog (Franz C. Mayer/Maja Walter) erläutert die Vorlagefragen und geht auch auf das französische Verfassungssystem und das Verhältnis anderer mitgliedstaatlicher Verfassungsgerichte zum Europäischen Gerichtshof ein. Die "Nichtvorlagepraxis" des Bundesverfassungsgerichts erscheine immer mehr als "deutscher Verfassungssonderweg".
Frankreich – "Superhirn" weltweit gesucht: Über den spektakulär aus einem französischen Gefängnis geflohenen, in der Szene als "Superhirn" bezeichneten Geldtransport-Räuber Redoine Faïd berichtet heute auch die FAZ (Michaela Wiegel).
Italien – Erste Costa-Concordia-Voranhörungen: Im Strafprozess um die Havarie des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia vor knapp 15 Monaten haben im toskanischen Grosseto gestern die ersten Voranhörungen begonnen. Die FAZ (Jörg Bremer) und die FR berichten.
USA – Abtreibungsarzt vor Gericht: In den USA steht seit März ein Arzt vor Gericht, der illegale Spätabtreibungen, teils gegen den Willen der Mütter, durchgeführt haben und dabei äußerst brutal vorgegangen sein soll. Ihm drohe die Todesstrafe, berichtet Die Welt (Ansgar Graw).
Sonstiges
Kosten der Endlagersuche: Ein Gutachten des Mannheimer Verfassungs- und Steuerrechtlers Hans-Wolfgang Arndt kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten für die erneute Suche nach einem Endlager für Atommüll nicht von den Energiekonzernen, sondern vom Steuerzahler zu tragen seien. Über das vom Branchenverband VGB Powertech in Auftrag gegebene Gutachten berichtet die FAZ (Joachim Jahn).
Das Letzte zum Schluss
Knast für Knöllchen: In Aachen folgt ein Rentner lieber "Einladungen" ins Gefängnis, als seine Knöllchen fürs Falschparken zu bezahlen. "Neues Gebäude, tipptopp Sanitäranlagen", zum Frühstück sieben Sorten Brot – so zitiert ihn spiegel.de (Barbara Schmidt). Wegen Fällen wie diesem wolle der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) Ersatzfreiheitsstrafen als Mittel des Strafvollzugs weitgehend abschaffen und durch günstigere und wirksamere, individuell auf den Täter abgestimmte Sanktionen ersetzen. Der Rentner habe inzwischen angefangen, zu zahlen – nachdem ihm der Entzug des Führerscheins angedroht worden sei.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. April 2013: NSU-Prozess vertagt – Gewerkschaft verklagt Betriebsrat – Knast für Knöllchen . In: Legal Tribune Online, 16.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8532/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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