Aufrufen, schweigen oder Grundgesetz lesen? Bundestagsabgeordnete schalten sich in den Streit um die Platzvergabe beim NSU-Prozess ein und ernten damit nicht nur Zustimmung. Außerdem in der Presseschau: Steuerschlupflöcher und -spielereien, EuGH zu Lebensmittelwarnungen, BGH zu Rechtsbeugung, VW gegen Bild und finnische Polizisten gegen Putin – jedenfalls fast.
NSU-Prozess – Aufruf von Abgeordneten: 55 Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und der Linken haben das Münchner Oberlandesgericht aufgerufen, das große internationale Interesse am NSU-Prozess zu berücksichtigen und insbesondere türkischen und griechischen Medienvertretern die Teilnahme zu ermöglichen. Hintergrund des Aufrufs ist der Streit um die Platzvergabe im Gerichtssaal, bei der unter anderem türkische Journalisten keinen gesicherten Platz erhielten. Es berichten die FAZ (Helene Bubrowski/Reinhard Müller) und die FR (Markus Decker/Ursula Knapp).
Thorsten Jungholt (Die Welt) kritisiert den Aufruf scharf. Die Abgeordneten sollten besser "Schweigen und Grundgesetz lesen!" Da stehe etwas von Gewaltenteilung und richterlicher Unabhängigkeit.
NSU-Prozess – Panne bei Platzvergabe: Zuvor hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl eingeräumt, dass die E-Mail mit Hinweisen zur Akkreditierung an einige Medien später verschickt wurde. Holger Schmidt (SWR-Terrorismus-Blog) ist der Ansicht, dass diese Panne "weniger gravierend" sei, als zunächst gedacht – so habe auch der "Spiegel" verspätet Bescheid bekommen, aber im Gegensatz zur türkischen "Sabah" sofort reagiert und so einen Platz erhalten.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Steuerschlupflöcher: Cerstin Gammelin (SZ) kritisiert die Debatte um Steuerschlupflöcher. Geheime Konten und Steuerhinterziehung gebe es nur, weil die Regeln des europäischen Binnenmarkts dies erlauben. Der Steuerrechtler Wolfgang Schön beschreibt in der FAZ die Interessen von Staaten und Konzernen im "internationalen Steuer-Spiel" und fordert, die Steueransprüche verschiedener Staaten besser zu koordinieren. Das Handelsblatt widmet den Entwicklungen in der Steuerrechtspolitik das Titelthema, unter anderem schildern Jan Hildebrand/Donata Riedel den steigenden Druck auf die Politik.
GETZ Kooperation: Der Rechtswissenschaftler Philipp Schulte erläutert in der taz die Struktur des "Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum". Die auf Betreiben des Innenministeriums geschaffene "Kooperationsplattform" wurde ursprünglich als Reaktion auf die NSU-Morde gegründet, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen, befasst sich mittlerweile aber auch mit Linksextremismus und "Ausländerextremismus". Wer in der "lockeren Runde" mit wem rede sei jedoch unklar, das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten werde unterlaufen.
Weitere Themen - Justiz
EuGH zu Lebensmittel-Warnungen: Deutsche Behörden dürfen weiterhin auch dann vor Lebensmitteln bestimmter Unternehmen warnen, wenn zwar keine Gesundheitsgefahr besteht, die Produkte aber nicht zum Verzehr geeignet sind. Wie der EuGH am Donnerstag entschied, verstößt eine entsprechende Regelung des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs nicht gegen Unionsrecht. Allerdings müssten Geheimnhaltungspflichten beachtet werden. Die Entscheidung erläutert der Rechtswissenschaftler Alexander Merschmann auf lto.de.
BVerfG zu Sukzessivadoption: Die Dokumentationsjournalisten des Spiegel erklären auf spiegel.de (Hauke Janssen/Viola Broecker /Almut Cieschinger) das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar, wonach gleichgeschlechtliche Lebenspartner das Adoptivkind ihres Partners annehmen dürfen. Im "Faktencheck" falle der Tweet der CDU-Politikerin Erika Steinbach - "Wer schützt die Verfassung vor den Verfassungsrichtern?" – durch.
BGH zu Rechtsbeugung: Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch eines Richters aufgehoben, der vor acht Jahren in einem Strafprozess am Amtsgericht Eisenhüttenstadt Haftbefehle erlassen haben soll, obwohl er wusste, dass er dazu nicht befugt war – er begründete sein Vorgehen mit einer erfundenen "Hüttenstädter Prozessordnung". Nun muss das Landgericht Potsdam erneut verhandeln. Das meldet die Berliner Zeitung. lto.de (Andreas Schmitt) erläutert die Hintergründe des Falles.
BGH zu Volkswagen vs. Bild: Der Autobauer Volkswagen und die Springer-Tochter Bild digital streiten um den Begriff "Volks". Wie die FR (Karin Billantsch) erläutert, sieht Volkswagen seine Markenrechte durch Springer-Werbeaktionen verletzt, bei denen etwa unter dem Begriff Volks-Werkstatt Sonderangebote beworben werden. Der Bundesgerichtshof gab dem Autobauer nun Recht, meldet n24.de. Nun muss das Oberlandesgericht München erneut verhandeln und die besondere Bekanntheit von Volkswagen berücksichtigen.
BGH zu Elternhaftung bei Filesharing: Nachdem der Bundesgerichtshof im November vergangenen Jahres entschieden hatte, dass die Eltern eines Dreizehnjährigen nicht für sein illegales Filesharing haften, liegt nun der Volltext des Urteils vor. Thomas Stadler (internet-law.de) begrüßt die Entscheidung grundsätzlich, hält es aber für problematisch, dass Eltern ihren minderjährigen Kindern die Teilnahme an Internettauschbörsen verbieten sollen – entsprechende P2P-netzwerke könnten auch legal benutzt werden.
Bundespatentamt zu Apple vs. Samsung: Der Apple-Konzern konnte im Streit mit Konkurrent Samsung einen Erfolg erzielen. Das Bundespatentgericht hat am Donnerstag ein Samsung-Patent für nichtig erklärt, das einen "Turbo-Kodierer/Dekodierer" schützen sollte, der eingesetzt wird, um Datenverarbeitung an die vorhandene Netzqualität anzupassen. Das berichtet die FAZ (Corinna Budras).
LG Essen zu MLPD-Klage: Das Landgericht Essen hat eine Klage der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) im Streit um das Buch "Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr" größtenteils abgelehnt. Die Autoren Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen, zwei ehemalige Verfassungsschützer, müssen zwei Passagen streichen, dürfen weitere acht Textstellen jedoch stehen lassen. Die taz (Pascal Beucker/Anja Krüger) berichtet über den Prozess.
Kirch vs. Deutsche Bank: Im Streit zwischen den Erben des Medienunternehmers Leo Kirch und der Deutschen Bank könnte es doch zu einem Vergleich kommen, so das Handelsblatt (Laura de la Motte). Das Oberlandesgericht München hatte den Kirch-Erben Schadensersatz zugesprochen, weil der frühere Deutsche-Bank-Vorsitzende Rolf-E. Breuer in einem Interview im Jahr 2002 die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe angezweifelt hatte. Die Höhe des Schadensersatzes muss jedoch noch festgelegt werden. Das Handelsblatt (P. Köhler/Laura de la Motte/C. Nohn) berichtet außerdem von der außerordentlichen Hauptversammlung der Deutschen Bank, die von den Kirch-Anwälten durch Anfechtungsklagen erzwungen wurde und stellt eine Chronik des Konflikts zusammen.
Ermittlungen gegen Wulff: Als "deutsche Show-Justiz" kritisiert Jan Fleischhauer (spiegel.de) die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in seiner Kolumne "Der Schwarze Kanal". In Verfahren gegen Prominente würden Staatsanwaltschaft und Medien regelmäßig eng zusammenarbeiten und den Fall skandalisieren. Das Urteil sei dann "nur noch Formsache", der Verdächtige "längst erledigt". Berthold Kohler (FAZ) verteidigt die Staatsanwälte. Die detaillierten Ermittlungen kämen letztlich auch Wulff zugute, nun könne zumindest niemand sagen, es sei etwas vertuscht worden.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Schweden – BH-Größe: Die taz (Reinhard Wolff) berichtet über die Entscheidung eines schwedischen Arbeitsgerichts, wonach eine Dessous-Kette von den Verkäuferinnen nicht verlangen kann, ein Schild mit ihrer BH-Größe zu tragen.
Türkei – PKK-Unterstützer vor Gericht: In Ankara hat ein Prozess gegen 72 Gewerkschafter begonnen, denen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, weil sie die kurdische PKK unterstützt haben sollen. Die taz (Jürgen Gottschlich) berichtet über das Verfahren, das im Widerspruch zur aktuellen politischen Entspannung stehe.
USA – Falscher Rockefeller: Der Deutsche Christian Karl Gerhartsreiter, bekannt als "falscher Rockefeller", ist von einem Gericht in Kalifornien wegen Mordes schuldig gesprochen worden. Er soll 1985 den Sohn seiner damaligen Vermieterin getötet haben – es blieben jedoch Zweifel berichtet die FR (Sebastian Moll).
USA – E-Mail-Überwachung: Die US-Finanzbehörde ist offenbar der Ansicht, sie dürfe E-Mails auch ohne richterliche Anordnung einsehen, Bürgerrechtler sehen darin einen Verstoß gegen die Verfassung. spiegel.de (Richard Meusers) schildert die Diskussion und erläutert die Rechtslage in den USA.
Sonstiges
Lehrplan Jurastudium: Martin Heidebach weist auf juwiss.de einen Vorschlag des Wissenschaftsrates zurück, ein Fach des Besonderen Verwaltungsrechts aus dem Lehrplan des Jurastudiums zu streichen, um die Grundlagenfächer zu stärken. Weder Kommunal-, noch Polizei- oder Baurecht seien verzichtbar, möglicherweise aber das Teilgebiet Staatshaftungsrecht, schlägt Heidenbach vor.
Das Letzte zum Schluss
Putin auf der Liste: Die finnische Polizei hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf eine Liste mutmaßlicher Straftäter aus dem organisierten Verbrechen gesetzt – rein versehentlich natürlich. Wie spiegel.de meldet, wurden die Daten mittlerweile gelöscht und die diplomatischen Wogen geglättet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. April 2013: Aufruf ans OLG München – BGH zu Rechtsbeugung – Putin auf der Liste . In: Legal Tribune Online, 12.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8512/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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