BGH verschärft Rechtsprechung zur Tatprovokation. Außerdem in der Presseschau: Wissenschaftlicher Dienst bemängelt Vorratsdatenspeicherung, Zschäpe will ihre Anwältin loswerden und Unternehmensverantwortung im internationalen Strafrecht.
Thema des Tages
BGH zu rechtsstaatswidriger Tatprovokation: Der Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Drängen zu Straftaten durch polizeiliche Lockspitzel nicht mehr – wie nach bisheriger Rechtsprechung – lediglich zu Strafmilderungen für den Gedrängten führt. Das Verfahren ist vielmehr einzustellen, urteilte der zweite Senat. Im zugrundeliegenden Fall hatte der spätere Angeklagte zunächst Vorschläge für Drogengeschäfte abgelehnt. Erst nachdem ihm ein verdeckt ermittelnder Beamter vortäuschte, seine Familie sei in Gefahr wenn das Geschäft nicht stattfinde, erklärte sich der Betroffene bereit. Im Oktober 2014 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass eine reine Strafmilderung dem fair-trial-Grundsatz nicht genüge. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), blog.beck.de (Henning Ernst Müller), taz (Christian Rath) und Tagesspiegel (Ursula Knapp).
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: In zwei Gutachten bemängelte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages am Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung insbesondere die unklaren Regelungen zur Datenverwertung und den mangelhaften Schutz von Anwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern, schreibt die SZ (Robert Rossmann). Im Interview mit der taz (Christian Rath) spricht Patrick Sensburg (CDU) über den möglichen Veränderungen am Gesetzentwurf.
Heribert Prantl (SZ) meint das Gesetz bleibe verfassungswidrig, wie man es auch drehe und wende, da helfen auch Zitate aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts.
Homo-Ehe: Rechtsanwalt und FDP-Geschäftsführer Marco Buschmann prognostiziert in der FAZ einen Wandel der Auslegung des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs, sollte diese Frage vor das Verfassungsgericht gelangen. Mit den geänderten Lebensverhältnissen und dem Verbot der Ungleichbehandlung wegen sexueller Orientierung werde "Ehe" ebenso einen Wandel erfahren wie "Familie", die nach Verfassungsrechtsprechung bereits aus einem gleichgeschlechtlichen Paar mit Kindern bestehen kann.
IT-Sicherheitsgesetz: Am Freitag will der Bundestag das IT-Sicherheitsgesetz verabschieden. Im letzten Moment ist noch eine Regelung eingefügt worden, die Unternehmen mit Geldbuße bedroht, wenn sie Hackerangriffe auf wichtige Infrastrukturen nicht anzeigen. Es berichtet die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
BVerfG zu Wissenschaftsfreiheit: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Beschwerden im Zusammenhang mit der Fusion der TU Cottbus mit der FH Lausitz entschieden. Für die Leitung der verschmolzenen Universität vorübergehend einen "Gründungsbeauftragten" durch das Wissenschaftsministerium einzusetzen, verstoße gegen die Freiheit der Wissenschaft. Im Übrigen wurden die Beschwerden abgelehnt, berichtet lto.de.
BFH zu Einkommensteuer vom Zwangsverwalter: Der Bundesfinanzhof hat bereits im Februar entschieden, das Zwangsverwalter die Einkommensteuerpflicht des Schuldners aus Einnahmen durch die Grundstücksverwaltung zahlen müssen. Das meldet lto.de.
OLG Hamm zu Kontaktverbot und Facebook: Durch das Schreiben von Kommentaren über seine Ex-Frau auf seiner eigenen Facebookseite hat ein Mann gegen das ihm auferlegte Kontaktverbot verstoßen. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm und bestätigte den Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung, melden lawblog.de (Udo Vetter) und lto.de.
StA Freiburg – Anklage gegen Alessios Stiefvater: Im Fall des getöteten Alessio hat die Staatsanwaltschaft Freiburg nun Anklage wegen Totschlags und Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen den Stiefvater erhoben, meldet die FAZ (Rüdiger Soldt). Der Fall hatte Aufsehen erregt, weil das Jugendamt den Jungen trotz Warnungen nicht aus der Obhut seines Stiefvaters nahm.
OLG Frankfurt – Tuğçe-Prozess: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit jetzt veröffentlichtem Beschluss vom 3. Juni die Haftbeschwerde den Angeklagten Sanel M. verworfen. Es bestehe dringender Tatverdacht der Körperverletzung mit Todesfolge und Fluchtgefahr – wegen massiver Bedrohungen in Deutschland und Verwandten in Serbien – melden FAZ (Timo Frasch) und lto.de.
OLG München – NSU-Prozess: Der NSU-Prozess ist bis kommenden Dienstag unterbrochen. Die Angeklagte Beate Zschäpe hat Antrag auf Entbindung ihrer Verteidigerin Anja Sturm gestellt. Dazu schreiben SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz), FAZ (Farin Truscheit), spiegel.de (Gisela Friedrichsen), taz (Konrad Litschko/Christian Rath) und lto.de. Die taz (Konrad Litschko) schreibt außerdem über die Zschäpe von Gutachter Nedopil attestierte chronische Belastungsreaktion auf die Verteidigungsstrategie zu schweigen.
StA Kiel – Beate Uhse AG: Das Landgericht Kiel hat auf die Anklage der Staatsanwaltschaft Kiel das Hauptverfahren gegen führende Mitarbeiter der Beate Uhse AG nicht eröffnet. Die Angaben des Hauptbelastungszeugen hält das Gericht für eine "offensichtliche Falschaussage", einige Vorwürfe sind bereits verjährt und die Berechnung des Gesamtschadens nicht nachvollziehbar. Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingereicht, berichtet die SZ (Uwe Ritzer).
LG Leipzig zu pauschaliertem Schadensersatz: Das Landgericht Leipzig hat entschieden, dass ein pauschalierter Schadensersatz den zu erwartenden Schaden nicht übersteigen dürfe. Im zugrundeliegenden Fall ging es um Zahlungsforderungen von bis zu 50 Euro wegen misslungenen Geldeinzugs, für deren Höhe das Gericht keine Grundlage erkennen konnte, schreibt die SZ (tö).
Klage auf Einsicht in Selektorenliste? Die Opposition im Bundestag erwägt Klage zu erheben, wenn dem NSA-Untersuchungsausschuss die Einsicht in die geheime Liste von Suchbegriffen (Selektorenliste) weiterhin verwehrt bleibt, melden SZ und taz. Kai Biermann (zeit.de) befürwortet eine Klage aus Prinzip, um einen Präzedenzfall zur Kontrollverweigerung durch die Exekutive zu vermeiden, der jedem künftigen Untersuchungsausschuss die Macht zur Kontrolle entziehen könnte.
Recht in der Welt
Internationales Strafrecht gegen Unternehmen: Am Libanon-Tribunal in Den Haag wird der erste Prozess vor einem internationalen Gericht gegen Unternehmen geführt. Nach dem Statut des Tribunals können "alle Personen" verfolgt werden, die ein Verfahren beeinträchtigen. Die Richter meinen das umfasse auch juristische Personen und damit zwei Medienunternehmen, deren Journalisten die Namen potentieller Zeugen veröffentlicht hatten, berichtet die Zeit (Benjamin Dürr).
Vatikanstaat – Missbrauchsvertuschung: Der Papst will ein Sondertribunal für die Verfolgung von Missbrauchsvertuschung einrichten und mit einem neuen Tatbestand den "Missbrauchs des Bischofsamtes" unter Strafe stellen. Das melden SZ (Stefan Ulrich), FAZ (Daniel Deckers), taz und zeit.de.
Frankreich – DSK-Prozess: Bevor das Urteil im Zuhälterei-Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn am Freitag gefällt wird, bringt die Welt (Martina Meister) noch einen Bericht über die Vorwürfe, die Verhandlung und die Auseinandersetzung über Prostitution, die der Prozess losgetreten hat.
EuGH zu Ausländer-Erbschaftsteuer: Die SZ (Teresa Stiens) berichtet von einem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom vergangenen September, nach welchem viele EU-Ausländer mit spanischen Ferienhäusern Erbschaftsteuern zurückerhalten. Die Erbschaftsteuer in Spanien war für Ausländer beträchtlich höher als für Spanier und wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz unionsrechtswidrig.
EU – Gerechtigkeitsdefizit? Aus Anlass der Veröffentlichung des Buches "Europe's Justice Deficit?" schreiben die Rechtsprofessoren Dimitry Kochenov, Gráinne de Búrca und Andrew Williams auf verfassungsblog.de in einer Debatte zum Schwerpunktthema gleichen Titels. Auch Rechtsprofessor Christian Joerges beteiligt sich auf verfassungsblog.de an der Debatte.
Juristische Ausbildung
Zustand der (Rechts-)Wissenschaft: Wissenschaftler prangern in der Zeit die Zustände in der Wissenschaft an. Für die Rechtswissenschaft beklagt Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano die wirtschaftliche und politische Kontrolle der Rechtswissenschaft und damit des Rechts und propagiert die Notwendigkeit ihrer Befreiung.
Sonstiges
Nürnberger Akademie: Die Rechtsanwältin Anne Rübesame schreibt in der FAZ zur Eröffnung der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien in Nürnberg. Die Kraft des Vermächtnisses von Nürnberg gelte es nicht zuletzt zur Förderung der Akzeptanz des Internationalen Strafgerichtshofs einzusetzen.
Das Letzte zum Schluss
Die Falschparker: Parken im Parkverbot ist verboten oder nicht? Es kommt wohl darauf an, ob man einfach nur falsch parkt oder ob man auch noch selbst derjenige ist, der das kontrolliert. "Quid licet Ordnungsamt non licet Autofahrer", kommentiert Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig (kanzlei-hoenig.de) seine fotografische Dokumentation des Ordnungsamt-Fahrzeugs im Parkverbot samt Ordnungsbeamten, der die daneben im Parkverbot stehenden Fahrzeuge mit Knöllchen bedenkt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Juni 2015: BGH zu Tatprovokation – Sanel M. bleibt in Haft – Unternehmensstrafrecht . In: Legal Tribune Online, 11.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15816/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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