Endlich ist es geschehen. Das BVerfG hat dem EuGH ein Verfahren vorgelegt - und klar seine Erwartungen geäußert. Nun wird diskutiert, wie es weitergeht. Außerdem in der Presseschau: Justizminister Maas will Mord-Paragraph reformieren, Snowdens deutscher Anwalt, BGH billigt Boykottaufrufe von Verbraucherzentralen - und warum ein defektes Fax einem französischen Mordverdächtigen die Freiheit bescherte.
Thema des Tages
BVerfG zu EZB-Programm: Das Bundesverfassungsgericht glaubt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Euro-Rettungsprogramm von 2012 ihre durch die EU-Verträge eingeräumten Kompetenzen überschritten, also ultra vires gehandelt hat. Deshalb hat das Gericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob er das auch so sieht. Es berichten unter anderem die Samstags-SZ (Wolfang Janisch), taz.de (Christian Rath) und lto.de (Martin W. Huff).
In einem Gastbeitrag für die FAS erklärt Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio, Karlsruhe habe vorlegen müssen, weil es zum ersten Mal einen EU-Akt für ultra vires erklären will. Im Focus (Zusammenfassung auf focus.de) betont Ex-Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, das Gericht habe seine Rolle als Verfassungshüter gestärkt, weil es mit der ultra vires-Kontrolle ernst mache. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, prognostiziert auf zeit.de, dass die EZB das von Karlsruhe beanstandete Programm bis auf weiteres nicht nutzen wird. AfD-Chef Bernd Lucke sieht in der Montags-FAZ das Bundesverfassungsgericht in einer relativ starken Position, weil es mit dem deutschen Austritt aus der Währungsunion drohen könne.
Der Spiegel (Melanie Amman, Dietmar Hipp, Thomas Darnstädt) geht in seiner Urteilsanalyse davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht Europa seinen Willen aufzwingen werde. Christian Bommarius (Samstags-FR) bemängelt, die Richter hätten nur "unbestimmt" erklärt, was passiert, wenn der EuGH nicht ihrer Ansicht folgt und plädiert für eine neue auf Artikel 146 des Grundgesetzes gestützte Verfassung. Heribert Prantl (Samstags-SZ) hält die zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden für unzulässig und plädiert statt dessen für Volksabstimmungen über die EU. Wolfgang Janisch (Montags-SZ) spricht von "Amtsanmaßung" des BVerfG. Holger Steltzner (Samstags-FAZ) vermutet, dass der EuGH sich um eine Antwort herumdrücken werde, weil die EZB noch gar keine Anleihen aufgekauft habe. Daniel Thym (verfassungsblog.de) sieht den Ausgang am EuGH als offen an und glaubt, dass das BVerfG einen gut begründeten "Ja, aber"-Beschluss des EuGH akzeptieren werde.
Rechtspolitik
Maas zu Mord und Snowden: In einem Interview mit der Samstags-SZ (Heribert Prantl/Robert Rossmann) plädiert Justizminister Heiko Maas (SPD) für eine Reform des Mord-Paragraphen. Zu ändern sei die täterbezogene Formulierung der Strafnorm, auch das Mordmerkmal der Heimtücke sei problematisch. Maas will eine Expertenkommission einsetzen und die Reform noch in dieser Wahlperiode umsetzen. Im zweiten Teil des Interviews geht es um Edward Snowden. Maas appelliert an die USA, ihre Rechtsstaatlichkeit zu beweisen. Die USA sollen an der Schaffung eines internationalen Rechtsrahmens für den Schutz der Privatsphäre gegenüber Geheimdiensten mitarbeiten und Snowden bei einer Rückkehr ein faires Verfahren garantieren.
Helene Bubrowski (Montags-FAZ) kommentiert die Initiative zur Reform des Mord-Paragraphen: "Die nun vollmundig angekündigte Reform des Strafgesetzbuches ist politisch überfällig – rechtlich jedoch ohne großen Nutzen." Die Justiz habe den Paragraphen jetzt schon rechtsstaatlich ausgelegt.
Reding zu Freizügigkeit und Hartz IV: In einem Interview mit der FAS (Thomas Gutschker) antwortet EU-Justizkommissarin Viviane Reding eher ausweichend auf Fragen zur Gewährung von Hartz IV an arbeitssuchende EU-Bürger. Dies sei Sache der nationalen Gerichte. Die EU-Kommission sei jedoch gegen pauschale Lösungen und Diskriminierungen.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Rechtsprofessor Jürgen Kühling plädiert in einem Gastbeitrag für die Montags-FAZ für eine verfassungsrechtliche Neubestimmung der Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser müsse qualitativ gestärkt und quantitativ geschrumpft werden. Professionalisierte Rundfunkräte müssten darauf achten, dass er stets einen Mehrwert gegenüber privatwirtschaftlichen Angeboten erbringe.
TTIP und Investorenschutz: Die Samstags-SZ (Nikolaus Piper) hat untersucht, welche Rolle Regelungen zum Investorenschutz im NAFTA-Abkommen über nordamerikanischen Freihandel hatten und kam zum Schluss: "Weder haben Klagen die Regierungen daran gehindert, Umwelt- oder Sicherheitsvorschriften zu erlassen, noch wurde die Demokratie ausgehebelt. Die Schiedsverfahren haben aber auch nur wenig substanzielle Verbesserung für Investoren gebracht". Solche Klauseln zum Investorenschutz sollten daher kein Grund sein, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU scheitern zu lassen.
Justiz
Range und NSA: Die Samstags-FR (Steffen Hebestreit) sagt voraus, dass Generalbundesanwalt Harald Range in den nächsten zehn Tagen ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhangen mit den Snowden-Enthüllungen einleiten werde. Die Bundesregierung wolle dann nicht auf eine sofortige Einstellung hinwirken.
Snowden und RA Kaleck: Edward Snowden lässt sich in Deutschland künftig von dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck vertreten. Dieser schildert im Interview mit dem Tagesspiegel (Julia Prosinger/Norbert Thomma) seine Kontakte zu Snowden und seine bisherige Arbeit mit dem European Centre for Constitutional and Human Rights.
BGH zu Boykottaufruf: Verbraucherzentralen dürfen Banken öffentlich auffordern, die Konten der Betreiber von Internet-Kostenfallen zu kündigen. Sie könnten sich dabei auf die Meinungsfreiheit berufen. Ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshof stellt Martin Schmidt-Kessel auf lto.de vor. Der Rechtsprofessor hält eine gesetzliche Regelung für sinnvoll.
BGH - Elternunterhalt: Am Mittwoch wird der Bundesgerichtshof entscheiden, ob Kinder auch dann Unterhalt für ihre Eltern zahlen müssen, wenn sie in ihrer Jugend schlecht behandelt wurden und jahrzehntelang kein Kontakt mehr bestand. "Muss ich später auch für böse Eltern sorgen?" fragt der Focus (Petra Hellwig/Ansgar Siemens) in einem Vorbericht.
VGH Mannheim zu Koch-Mehrin: Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin muss auf ihren Doktortitel verzichten. Das entschied laut spiegel.de der Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Zum Schluss ging es nur noch um die Frage, ob die Universität Heidelberg bei der Aberkennung des Titels Verfahrensfehler gemacht hatte.
LG Stuttgart - Porsche: An diesem Montag beginnt am Landgericht Stuttgart die Verhandlung über Klagen mehrerer Hedgefonds gegen Porsche. Die Fonds fordern 1,36 Milliarden Euro Schadensersatz, weil Porsche im Vorfeld der versuchten Übernahme des VW-Konzerns entsprechende Absichten bestritten hatte und die Fonds darauf hin falsch spekulierten. Die Montags-SZ (Max Hägler) erläutert die Vorgeschichte.
Redtube-Abmahnungen: zeit.de (Kai Biermann) gibt einen Überblick über die Beteiligten an den wohl unberechtigten Abmahnungen von angeblichen Nutzern des Porno-Stream-Portals Redtube. Er beschreibt die Formen der Mitwirkung und die jeweilige Verteidigungsstrategie. Einige der Beteiligten hat Biermann dabei auch interviewt.
Biblis-Stillegung: Die FAS (Thomas Holl) zeichnet nach, warum Hessen 2011 das AKW Biblis ohne Anhörung des Betreibers stillegte. Der Berliner Rechtsanwalt Siegfried de Witt hatte dazu geraten. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel und jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht monierten jedoch die fehlende Anhörung, weshalb nun Schadensersatzforderungen drohen.
Anzahlung bei Flugtickets: Beim Buchen eines Flugtickets muss nicht gleich der volle Preis bezahlt werden, sondern nur eine Anzahlung von 20 Prozent. Das entschieden laut Focus jüngst das Landgericht Hannover und das Oberlandesgericht Frankfurt/Main. Das Landgericht Köln halte noch an der gängigen Praxis der kompletten Vorkasse fest.
Olympiaschutzgesetz: Seit 2004 sind in Deutschland die olympischen Embleme und Bezeichnungen gesetzlich geschützt. Sie dürfen deshalb nur von Sponsoren zur Werbung eingesetzt werden. Der Anwalt Sascha B. Greier stellt auf lto.de die bisherige Rechtsprechung und ungeklärte Fragen hierzu dar.
Recht in der Welt
Russland - Amnestie: Die Samstags-FAZ beschreibt Anlass und Auswirkungen einer speziellen Amnestie für inhaftierte Geschäftsleute. Diese seien besonders häufig Opfer von Fehlurteilen, wenn sie keine Bestechungsgelder zahlen wollen oder von Konkurrenten mit Hilfe der Justiz aus dem Weg geräumt werden. Im Zuge der Amnestie kamen nur 2.300 von über 100.000 Betroffenen frei.
Sonstiges
Stromtrassen und Enteignungen: Im Zuge der Energiewende müssen neue Stromtrassen von Nord nach Süd gebaut werden. Die WamS (Michael Gassmann) schildert wie betroffene Bauern gegen Entschädigung teilenteignet werden, wenn sich mit dem Trassenbetreiber Tenet nicht über die Einräumung von Grunddienstbarkeiten einigen können.
Rückfallstatistik: blog.beck.de (Bernd von Heintzschel-Heinegg) stellt die vom Bundesjustizministerium herausgegebene Rückfallstatistik für die Jahre 2004 bis 2010 vor. Danach wurde jeder dritte Straftäter innerhalb von drei Jahren nach Verurteilung oder Entlassung aus der Haft erneut straffällig
Das Letzte zum Schluss
Freiheit dank defektem Fax: In Bobigny bei Paris musste ein Mordverdächtiger aufgrund einer Justizpanne freigelassen werden. Sein Anwalt hatte per Fax die Entlassung des Mandanten aus der U-Haft beantragt. Allerdings kam das Fax nie an, da das Fax-Gerät des Gerichts schon seit längerem keine Tinte mehr hatte. Aufgrund der französischen Gesetzeslage musste der Mann entlassen werden, nachdem der Antrag binnen 20 Tagen nicht beschieden wurde, berichtet spiegel.de. Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an: "Wir müssen diesen Fehler verstehen."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. - 10. Februar 2014: BVerfG mit dem oder gegen den EuGH? – Maas will neuen Mord-Paragraphen – BGH billigt Boykottaufrufe . In: Legal Tribune Online, 10.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10934/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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