Erstmals legt das BVerfG dem EuGH ein Verfahren zur sogenannten Vorabentscheidung vor. Die Luxemburger Richter sollen prüfen, ob der Beschluss der Europäischen Zentralbank über den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen mit EU-Recht vereinbar ist. Für zwei der Richter sind dagegen schon die Klagen unzulässig. Martin W. Huff über das Novum aus Karlsruhe und was es für die Euro-Rettung bedeutet.
Das, was der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am Freitag in einer Pressemitteilung von acht Seiten und in gut hundert Seiten Entscheidungsbegründung veröffentlicht hat, ist ein verfassungsrechtlicher Paukenschlag.
Das BVerfG legt den umstrittenen Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) über den theoretisch unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor. Über die anderen Fragen wie die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt wird der 2. Senat seine Entscheidung am 18. März verkünden.
Die Richter haben – mit einer Mehrheit von sechs zu zwei Stimmen – erhebliche Zweifel daran, ob der sogenannte OMT-Beschluss über den Aufkauf von Staatsanleihen der EZB vom 6. September 2012 von deren Mandat gedeckt ist.
BVerfG: EZB nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt
Sehr viel spreche dafür, so die Richter in ihrer Begründung (Beschl. v. 14.01.2014, Az. 2 BvR 2728/13 u.a.), dass die EZB diesen Beschluss so nicht hätte fassen dürfen, sondern dafür eine Änderung der Europäischen Verträge erforderlich gewesen wäre. Denn es handele sich eher um wirtschaftspolitische Maßnahmen als um eine währungspolitischen Aufsicht. Dafür sei die EZB aber nicht zuständig. Bisher hat diese die entsprechenden Beschlüsse auch noch nicht in die Praxis umgesetzt.
Es sprächen "gewichtige Gründe" dafür, dass der Beschluss die souveränen Rechte der EU-Mitgliedstaaten verletze, heißt es in den Vorlagegründen an den EuGH.
Sollte das Programm je in Kraft treten, könnte es bei einem großen Ankauf maroder Staatsanleihen "zu einer erheblichen Umverteilung von Geldern zwischen den Mitgliedstaaten" kommen, schätzt das Verfassungsgericht. Dies würde dann "Züge eines Finanzausgleichs annehmen". Ein solcher sei aber in den europäischen Verträgen "nicht vorgesehen". Ihnen zufolge sei die EZB "nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt, sondern darauf beschränkt, die Wirtschaftspolitik der Union zu unterstützen".
Möglicherweise lasse sich der Beschluss über die Anleihenkäufe so einschränken, dass er mit EU-Recht vereinbar sei, teilte das Verfassungsgericht mit. Doch dafür ist eine eingehende Prüfung nötig. Karlsruhe sieht sich verpflichtet, den Fall dem EuGH vorzulegen. Als EU-Organ unterliegt die EZB nur der Rechtsprechung des Luxemburger Gerichts.
Da es aber darauf ankomme, wie der EuGH das europäische Primärrecht auslege, müsse diese Frage zunächst in Luxemburg geklärt werden. Danach müsse das BVerfG sehen, wie es damit umgeht und wie die verfassungsrechtliche Lage in Deutschland dann aussieht.
Gute Nachrichten für die Euro-Rettung
Es ist das erste Mal in der Geschichte des BVerfG, dass die Karlsruher Richter dem EuGH eine Rechtsfrage zur Prüfung vorlegen. In der Vergangenheit gab es immer teils heftige Auseinandersetzungen um die jeweiligen Kompetenzen.
Für die Euro-Rettung ist das wohl eine gute Nachricht. Das Verfassungsgericht gilt als Organ, das dem Anleihenkaufprogramm von EZB-Chef Mario Draghi besonders kritisch gegenübersteht. Vom EuGH wird eher erwartet, dass er der Politik der EZB positiv gegenüber steht.
Dies könnte aber bedeuten, dass das BVerfG nach einer EuGH-Entscheidung durchaus deutliche Anforderungen an die Bundesregierung formulieren wird, was den Ankauf der Staatsanleihen betrifft. Denkbar ist, dass das BVerfG die anderen Verfassungsorgane verpflichtet, auf europäischer Ebene aktiv zu werden.
Sondervoten: Das BVerfG ist "keine allgemeine Verfassungsaufsicht"
Ein Konflikt zwischen BVerfG und EuGH in den konkreten Fragen ist damit immer noch nicht ausgeschlossen. Deutlich wird dies besonders an den Sondervoten von zwei Richtern, die sich überhaupt gegen die Zulässigkeit der Verfahren in Karlsruhe wenden. Gertrude Lübbe-Wolff und Michael Gerhardt sehen eine - unzulässige - allgemeine Klage gegen die Politik der Bundesregierung und des Bundestags, nicht aber gegen einen verfassungsgerichtlichen Verstoß. Sie meinen, dass die Anträge im Wesentlichen in Bezug auf den OMT-Beschluss unzulässig sind, da kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, sondern es eher um eine allgemeinpolitische Frage gehe. Insbesondere, so formuliert es Gerhardt, obliege dem BVerfG "keine allgemeine Verfassungsaufsicht".
Beide Richter sehen eine nicht mehr von Art. 93 GG gedeckte Ausweitung des Art. 38 Grundgesetz, der die Rechte der Abgeordneten regelt. Hieraus könne man kein Verfassungsbeschwerderecht des Bürgers mit der Argumentation herleiten, gegen die Reduzierung der Rechte der Abgeordneten zu klagen. Es sei alleine eine Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Organe, wie sie auf Souveränitätsverletzungen reagiere. Gerichtlich aber könne dies nicht erzwungen werden.
Prozessual hat das BVerfG die verschiedenen Verfahren (Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren) in Bezug auf die Vorlage an den EuGH abgetrennt und neue Aktenzeichen vergeben (2 BvR 2728/13 u.a.). Die bisherigen Verfahren (2 BvR 1390/12 u.a.), die sich auch auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Vertrag vom 2. März 2012 unter dem Stichpunkt Fiskalpakt befassen, werden fortgeführt. Hier will das Gericht am 18. März 2014 ein Urteil verkünden.
Im Ankaufprogramm der EZB ist bislang noch kein Cent geflossen. Doch allein die Ankündigung durch Draghi, unbegrenzt Anleihen aufzukaufen, hatte zur Beruhigung der Finanzmärkte und zu sinkenden Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen geführt.
Martin W. Huff, BVerfG legt dem EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10929 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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