Darf Deutschland arbeitslose EU-Bürger von Sozialleistungen ausschließen? Die EU-Kommission sagt Nein. Außerdem in der Presseschau: Ob Zuwanderung oder "Lex Gurlitt", Vorschläge aus Bayern stehen unter "Maut"-Verdacht. Ein Verfassungsrichter wünscht sich eine neue Finanzverfassung, der Wulff-Prozess dauert doch länger und Anders Breivik schreibt einen wirren Brief.
Thema des Tages
Sozialleistungen für EU-Bürger: Die EU-Kommission hält es für einen Verstoß gegen Europarecht, dass Deutschland arbeitslose EU-Bürger von Sozialleistungen ausschließt. Eine entsprechende Stellungnahme der Kommission zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg liegt der Süddeutschen Zeitung (Roland Preuss) vor. Geklagt hatte eine in Leipzig lebende Rumänin, nachdem das Jobcenter ihren Hartz-IV-Antrag abgelehnt hat. Das Sozialgericht Leipzig hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, der nun entscheiden muss, ob er der Stellungnahme folgt.
Die FR (Mira Gajevic) führt ein Interview mit dem Sozialrechtler Thorsten Kingreen, der davon ausgeht, dass der Europäische Gerichtshof die deutsche Ausschlussklausel kippen wird. Die Benachteiligung von EU-Bürgern im Sozialrecht sei zudem verfassungswidrig, so Kingreen. Die Forderungen der CSU, EU-Bürgern den Zugang zu Sozialleistungen zu erschweren, erinnere "an die Maut-Debatte".
Roland Preuss (SZ) schreibt in einem gesonderten Kommentar, Kommission und Mitgliedstaaten dürften das Thema "nicht den Gerichten überlassen", sondern müssten eine politische Lösung finden. Die Forderung der EU-Kommission komme vor der Europawahl "zur Unzeit" und könne Rechtspopulisten dienen.
Rechtspolitik
Finanzverfassung: Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof schlägt auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ eine neue Finanzverfassung vor. Die müsse alle Einnahmen und Ausgaben des Staates erfassen. Kirchhof schlägt insbesondere vor, die kameralistischen Haushaltsführung durch kaufmännische Buchführung zu ersetzen, den Bund konsequent für die Kosten seiner Gesetze aufkommen zu lassen, Steuerquellen aufgabengerecht zu verteilen und die Steuerverwaltung von Bund und Ländern getrennt durchzuführen. Am meisten dränge eine Reform des Länderfinanzausgleichs. Zudem müsse eine strengere Kreditbremse eingeführt werden.
Mitgliederentscheidungen in Parteien: Der emeretierte Rechtswissenschaftler Rudolf Steinberg befasst sich auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ mit vefassungsrechtlichen Fragen von Mitgliederentscheidungen in Parteien.
Beutekunst: Kritik an dem bayerischen Entwurf für ein Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz, der sogenannten "Lex Gurlitt", schildert die FAZ (Corinna Budras). Demnach bescheinigt der Berliner Kunstanwalt Peter Raue, dem Vorschlag "Maut-Niveau". Die Regelungen würden gegen das Rückwirkungsverbot, das Verbot eines Einzelfallgesetzes und das Gleichheitsgebot verstoßen und seien zudem nicht praktikabel.
Justiz
BGH zu Filesharing: Der Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler erklärt auf lto.de die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, wonach Inhaber eines Internetanschlusses grundsätzlich nicht für volljährige Familienmitglieder haften. Nun könnten sich Anschlussinhaber bei Abmahnungen zwar generell mit dem Verweis auf Familienmitglieder verteidigen, die ebenfalls Internetzugriff haben und die Rechtsverletzung jeweils abstreiten. Ungeklärt sei allerdings, inwiefern die Anschlussinhaber darlegen müssen, dass solch ein Geschehensablauf ernsthaft in Betracht komme.
BGH zu Untervermietung: Über das Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach Mieter eine Genehmigung des Vermieters brauchen, wenn sie ein Zimmer regelmäßig an Touristen untervermieten, berichtet auch die FR (Ursula Knapp).
Hessischer VGH zu Ökostrom-Umlage: Zwei Unternehmen wollten sich von der Ökostrom-Umlage befreien lassen, sind aber vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gescheitert. In beiden Fällen handelte es sich nach Ansicht der Richter nicht um entsprechende selbstständige Unternehmensteile. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen. Das meldet spiegel.de.
LG Hannover – Wulff: Im Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, soll nun dessen früherer Sprecher Olaf Glaeseker vernommen werden. Wie die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet, hatte Glaeseker sich bisher auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, um sich nicht selbst strafbar zu machen. Die Vorwürfe gegen ihn seien aber mit Ende des Jahres 2013 verjährt. Glaeseker soll für den 16. Januar geladen werden, das Verfahren dürfte sich damit doch länger hinziehen. Auf der Tagesthema-Seite der SZ kritisieren Heribert Prantl und Hans Leyendecker das Vorgehen der Staatsanwaltschaft scharf. Sie werde ihrer Verpflichtung zur Objektivität nicht gerecht und zeige eine "krankhafte Verfolgungssucht". Annette Ramelsberger schildert in einem weiteren Bericht einen angesichts der dünnen Beweislage genervten Richter Frank Rosenow, der offensichtlich "keine Lust mehr auf dieses Verfahren" habe. Auch Die Welt (Ulrich Exner) berichtet.
SG-Richter zu Sozialmissbrauch: Die SZ (Daniela Kuhr) spricht mit Michael Kanert, Richter am Sozialgericht Berlin, über angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen durch rumänische und bulgarische Zuwanderer. Kanert betont, neunzig Prozent der Zuwanderer nähmen keine Hartz-IV-Leistungen in Anspruch. Im Übrigen gehe es bei Missbrauchsfällen regelmäßig nicht um "Sozialtouristen", sondern vor allem um Bauarbeiter und Putzfrauen, die als Scheinselbsständige arbeiten. Dieses System werde durch Bau- oder Reinigungsfirmen in Deutschland teilweise gezielt unterstützt, weil die Unternehmen so Sozialversicherungsbeiträge sparen. Hier müssten die Jobcenter stärker gegen die Verantwortlichen vorgehen.
Ärger für Urmann: focus.de (Jonas Fehling) wittert neuen Ärger für die Kanzlei Urmann + Collegen, die derzeit wegen massenhaften Abmahnungen kritisiert wird. Der Siegerländer Rechtsanwalt Daniel Nierenz will herausgefunden haben, dass die Kanzlei ihre Zulassung verlieren könnte – allerdings nicht wegen der Abmahnungen, sondern wegen einer für die GmbH unzulässigen Verlegung des Zulassungsorts.
Recht in der Welt
Kroatien – Josip Perković: Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat die Entscheidung eines kroatischen Gerichts begrüßt, wonach der ehemalige kroatische Geheimdienstchef Josip Perković nach Deutschland ausgeliefert werden kann. Dies sei ein "guter Anfang", zitiert die FAZ (Karl-Peter Schwarz). Perković Anwalt will die Entscheidung beim Obersten Gerichtshof anfechten und notfalls vor den kroatischen Verfassungsgerichtshof ziehen.
Großbritannien – Mark Duggan: Die FAZ (Jochen Buchsteiner) und die taz (Daniel Zylbersztajn) berichten nun über die Entscheidung der Jury eines Londoner Gerichts, die den Polizisten entlastet, der im August den Schwarzen Mark Duggan erschossen hatte. Die Jury hatte den Fall nicht in einem Strafverfahren, sondern in einer öffentlichen Untersuchung zu klären. Sie kam zu dem Schluss, der Polizist habe sich und seine Kollegen in Gefahr gesehen, weil er irrigerweise annahm, Duggan halte eine Waffe in der Hand.
Sonstiges
Gefahrengebiet: lto.de (Claudia Kornmeyer) führt ein Interview mit dem Rechtsprofessor Dirk Heckmann über das Gefahrengebiet in Hamburg. Unterdessen hat die Polizei die Zone, in der verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt werden können auf "Gefahreninseln" rund um mehrere Polizeiwachen verkleinert. Das meldet spiegel.de.
Das Letzte zum Schluss
Breivik Brief: Der norwegische rechtsextreme Terrorist Anders Breivik hat aus der Haft einen wirren Brief an norwegische Behörden, seine Anwälte und internationale Medien, darunter Die Welt (Per Hinrichs), geschrieben. Breivik hatte im Jahr 2011 bei seinen Anschlägen in Oslo und Utøya 77 Menschen getötet und ist zu 21 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Er bezeichne seine Haftbedingungen als schlimmste Gefangenenfolterung in Europa und fordere die russische und die chinesische Botschaft in Oslo auf, Menschenrechtsbeobachter zu schicken. Seiner Unterschrift habe er acht verschiedene Organisationen angefügt, darunter die "NSU- Nordic Student Union", die offenbar eine Erfindung Breiviks ist.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Januar 2014: Sozialleistungen für EU-Bürger – Kirchhof für neue Finanzverfassung – Breivik schreibt Brief . In: Legal Tribune Online, 10.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10622/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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