Hat der Justizminister die Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org" behindert und damit Strafvereitelung begangen? Außerdem in der Presseschau: Afghanistan-Papiere offline und Übertragbarkeit von Einsatzkosten für Fußballspiele.
Thema des Tages
Ermittlungen gegen Maas: Justizminister Heiko Maas sieht sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und zeit.de berichten, hat die Staatsanwaltschaft Berlin im Fall "Netzpolitik.org" Ermittlungen wegen Strafvereitelung im Amt aufgenommen. Kritik an Maas wird auch von Seiten des Vereins der Bunderichter und Bundesanwälte beim Bundesgerichtshof laut. Diese sehen in der politischen Einflussnahme "schwerwiegende Gefahren für den Rechtsstaat", berichtet der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt). Die SZ (Hans Leyendecker) führt als Erklärung hierfür das der Fachaufsicht immanente Spannungsverhältnis an, in dessen Rahmen Ranges Rebellion Solidaritätsgefühle ausgelöst habe. Range sei bei seinem Abschied in der Bundesanwaltschaft gefeiert worden.
Abschaffung des Weisungsrechts: Die FAZ (Alexander Haneke) berichtet über die Forderung des Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes (DRB), das Weisungsrecht der Politik gegenüber Staatsanwälten abzuschaffen und es durch ein eigenständiges Klageerzwingungsverfahren beim zuständigen Oberlandesgericht zu ersetzen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) halte dagegen, dass die Staatsanwaltschaft nicht zur unabhängigen Judikative sondern zur Exekutive zähle und daher den Weisungen der Justizminister unterliegen müsse. Der DRB-Vorsitzende Christoph Frank führt in einem FAZ-Gastbeitrag die Forderung näher aus. In einem Interview mit der Welt (Thorsten Jungholt) spricht sich die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger dafür aus, die Unabhängigkeit der Generalstaatsanwälte zu stärken und sie möglichst frei von Weisungen zu machen.
Ranges Entlassung: Günter Bannas (FAZ) hält im Leitartikel die Entlassung Ranges für notwendig. Sonst wäre Ranges Anklage in der Öffentlichkeit für wahr gehalten worden und Maas wäre nur noch ein politisches Leichtgewicht gewesen. Auch Heribert Prantl (SZ) verteidigt in seinem Leitartikel die Entlassung Ranges. "Wer an der Spitze solcher Behörden steht, sollte nicht den Ehrgeiz haben, mit Whistleblowern so umzugehen wie die USA mit Edward Snowden." Range sei zuletzt ein Rebell ohne gute Sache gewesen. In seiner Amtszeit hätte es viel besser Möglichkeiten gegeben, die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft zu demonstrieren. Der letzte Generalbundesanwalt, der Autorität ausstrahlte, sei Kurt Rebmann gewesen. Eine nach allen Seiten kritisch kommentierende Gesamtdarstellung gibt Pia Lorenz (lto.de).
Die SZ (Robert Roßmann) und die taz (Christian Rath) zeichnen noch einmal die unterschiedlichen Positionen zur Frage nach, ob die von Range behauptete Weisung von Maas überhaupt vorlag.
Peter H. Frank: Die FAZ (Albert Schäffer) und die taz (Christian Rath) portraitieren den designierten neuen Generalbundesanwalt Peter H. Frank.
Maaßens Rolle: Die Opposition fordert nach Angaben des Handelsblatts (Till Hoppe/ Dietmar Neuerer) einen Rücktritt des Verfassungsschutzchefs. Ebenso plädiert hierfür internet-law.de (Thomas Stadler). In einem Kommentar beleuchtet Stephan-Andreas Casdorff (Tsp) Maaßens Rolle in der Affäre und fordert eine Untersuchung im Bundestag.
Dienstgeheimnis vs. Staatsgeheimnis: Christian Rath (taz) macht sich in einem Kommentar für eine schnellstmögliche Einstellung des Verfahrens gegen die "Netzpolitik.org"-Journalisten stark. Bei den veröffentlichten Papieren handele es sich offenkundig nicht um Staatsgeheimnisse, sondern nur um Dienstgeheimnisse, deren Veröffentlichung für Journalisten straffrei sei, weshalb die Ermittlungen von vornherein abwegig gewesen seien.
Rechtspolitik
Ein-Personen-Gesellschaft: Die Pläne der EU-Kommission für eine online eintragbare Ein-Personen-Gesellschaft kritisiert der hessische Finanzminister Thomas Schäfer im Handelsblatt. Die Eintragung über das Internet bringe Sicherheits- und Transparenzlücken mit sich. Zudem habe das neue Verfahren Konsequenzen für den Steuervollzug, weil die gesetzlich vorgesehene Übermittlung von Informationen an die Finanzverwaltung durch die Notare entfalle.
Justiz
BGH - Afghanistan-Papiere: Die Funke-Mediengruppe hat anlässlich einer von der Bundesregierung angedrohten Zwangsvollstreckung mehrere tausend Seiten vertraulicher Afghanistan-Papiere offline geschaltet. Gegen die Veröffentlichung im Jahr 2012 war das Verteidigungsministerium unter Berufung auf eine Urheberrechtsverletzung vorgegangen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht Köln folgten dieser Argumentation. Gegen den Ausschluss der Revision durch das Oberlandesgericht hat der Verlag mittlerweile Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH erhoben, berichtet die SZ (Karoline Meta Beisel).
BVerfG zu privaten Einstandspflichten: Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2014 kritisiert Professor Christian Koenig in der FAZ die Praxis vieler Bundesländer, die Einreise von Syrien-Flüchtlingen von einer zeitlich unbegrenzten Einstandsverpflichtung des Einladenden für den Lebensunterhalt abhängig zu machen. Das Gericht habe damals klargestellt, dass diese Pflicht mit der Asylanerkennung entfalle.
VG Stuttgart zu EnBW-Untersuchungsausschuss: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat zwei Klagen gegen das Land Baden-Würtemberg abgewiesen, mit denen der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus die Behandlung als Betroffener im EnBW-Untersuchungsaussuss erzwingen wollte, berichtet spiegel.de. Hintergrund des Untersuchungsausschusses ist, dass Mappus den Rückkauf der EnBW-Anteile vom französichen Energieversorger EdF für 4,7 Millarden Euro am Landtag vorbei eingefädelt hatte.
BAG zu "Spätehenklausel": Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die sogenannte "Spätehenklausel", nach der die betriebliche Hinterbliebenenversorgung nur beansprucht werden kann, wenn der verstorbene Mitarbeiter die Ehe vor Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat, eine AGG-widrige Altersdiskriminierung darstellt, berichtet lto.de.
AG Köln zu "Hogesa"-Krawallen: Das Amtsgericht Köln hat einen Beteiligten der "Hogesa"-Ausschreitungen, bei denen im vergangenen Jahr 50 Polizisten verletzt wurden, zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Wie lto.de berichtet, handelt es sich dabei um die höchste bislang verhängte Strafe.
ArbG Berlin zu "Mall of Berlin": Wie die SZ meldet, haben zwei der Wanderarbeiter, die beim Bau des Berliner Einkaufszentrums "Mall of Berlin" um ihren Lohn geprellt wurden, einen ersten Erfolg erzielt. Das Berliner Arbeitsgericht habe ein Subunternehmen verpflichtet, die ausstehenden Löhne zu zahlen.
StA Berlin - Burak-Mord: Die SZ (Carolin Wiedemann) geht dem Mord am Berliner Burak Bektas im Frühjahr 2012 nach und zieht eine Parallele zu den Taten des NSU. Wie bei den NSU-Morden habe das Opfer einen Migrationshintergrund, es gäbe kein erkennbares Motiv und die Staatsanwaltschaft ermittle seit drei Jahren im Dunkeln.
Recht in der Welt
Weltbank - Sozialstandards: Die Weltbank hat neue soziale und ökologische Standards für die Kreditvergabe an Schwellen- und Entwicklungsländer vorgelegt. Nach einem Bericht der taz (Anja Krüger) werden diese von NGOs kritisiert, weil die Pflicht zur vorherigen Konsultation der von Großprojekten betroffenen Gemeinden wegfallen soll und sie nicht zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichten. Zudem bestehe das Kontrolldefizit fort.
USA - Libor-Manipulation: Im weltweiten Zinsskandal drohen einer Reihe von Großbanken nun auch Zivilprozesse, wie die FAZ meldet. Eine New Yorker Bezirksrichterin habe festgestellt, dass es eine Grundlage für entsprechende Klagen gebe. Wenn es stimme, dass die Banken bei der Ermittlung des Referenzzinssatzes Libor bewusst falsche Angaben machten, handele es sich um Betrug.
Türkei - Journalisten: Im Fall der in der Türkei angeklagten 18 Journalisten hat die Staatsanwaltschaft in Istanbul Haftstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren gefordert, wie die FAZ (Michael Martens) berichtet. Den Journalisten wird vorgeworfen durch das Abdrucken des Fotos einer Geiselnahme der linksextremistischen DHKP-C "terroristische Propaganda" verbreitet und versucht zu haben, eine Terrororganisation als "stark" und "fähig zu jeder Tat" darzustellen.
Israel - Jüdische Extremisten: Nach einer Anschlagsserie jüdischer Extremisten haben israelische Behörden erstmals die sogenannte Verwaltungshaft gegen einen radikalen jüdischen Siedler verhängt. Die Verwaltungshaft ermöglicht es, verdächtige Personen ohne Anklage oder Urteil praktisch uneingeschränkt festzuhalten und wurde bisher meist gegen Palästinenser eingesetzt, berichtet spiegel.de.
Russland - Nordpol: Russland hat bei bei der "UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels" seine Gebietsansprüche in der Arktis bekräftigt. Mit neuen Daten versuchte Russland zu belegen, dass die beanspruchten Gebiete, zu denen der Nordpol gehört, eine geologische Fortsetzung seiner Landmasse sind. In einem ausfürlichen Bericht schildert die FAZ (Nikolas Busse) auch die geostrategische und wirtschaftliche Bedeutung der Region. Die Kommission wird vermutlich drei Jahre brauchen, die Daten zu prüfen.
Sonstiges
Polizeikosten bei Fußballspielen: Die Rechtsprofessorin Monika Böhm befasst sich in der FAZ anlässlich der Änderung des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes mit der Übertragbarkeit von Polizeikosten auf die Veranstalter von Fußballspielen. Die Neuregelung stelle polizeirechtliche Haftungsgrundsätze auf den Kopf. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sei Aufgabe des Staates. Eine Kostenanlastung komme insoweit nicht in Betracht.
Bitcoins und Kriminalität: Michael Brächer (Handelsblatt) widerspricht einer US-Studie nach der Bitcoins vor allem Kriminelle anziehen. Die Studie sei unter Verwendung zweifelhafter Methoden zustande gekommen. Tatsächlich seien Bitcoins nur bedingt für illegale Machenschaften geeignet, da dem Nutzer eine Bitcoin-Adresse zugeordnet werde, durch die sich seine Spur spätestens beim Tausch der virtuellen Währung in Bargeld verfolgen lasse.
Das Letzte zum Schluss
Diktiergerät ist kein Fahrtenbuch: Ein Kölner Steuerberater hatte keine rechte Lust auf ein Fahrtenbuch für seinen Dienstwagen. Um dennoch die Ein-Prozent-Regelung zu umgehen, griff er in seinem Porsche Carrera zum Diktiergerät und hielt alle seine Fahrten auf Tonband fest. Das Finanzamt wollte sich aber nicht mit den Tonbändern abgeben. Zu Recht, meinte laut lawblog.de (Udo Vetter) das Finanzgericht Köln.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. August 2015: Ermittlungen gegen Maas? – Geleakte Dokumente offline – Teurer Fußball . In: Legal Tribune Online, 06.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16514/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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