Um die Katastrophe bei der Love-Parade 2010 wird es vorerst keinen Strafprozess geben. Außerdem in der Presseschau: Auslieferung aufgrund Europäischen Haftbefehls kann menschenunwürdig sein und der EuGH zweifelt an Fluggastdatenspeicherung.
Thema des Tages
LG Duisburg – Love-Parade: Der tödliche Ausgang der Duisburger Love-Parade im Jahr 2010 wird vorerst keine strafrechtlichen Konsequenzen haben, entschied das Landgericht (LG) Duisburg am gestrigen Dienstag. Es lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters ab, weil es eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung für nicht hinreichend wahrscheinlich hält. Insbesondere das Gutachten des britischen Professors Keith Still sollte belegen, dass die Angeschuldigten bei der Veranstaltungsplanung Sorgfaltspflichten verletzten, die den Tod der 21 Opfer kausal verursachten. Es enthalte jedoch "gravierende inhaltliche und methodische Mängel" sowie unsachliche Äußerungen des Gutachters und sei daher nicht verwertbar. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Ablehnung des Hauptverfahrens Beschwerde eingelegt. Es berichten spiegel.de (Jörg Diehl/Matthias Gebauer) und lto.de.
Udo Vetter (Lawblog.de) kritisiert, dass kein weiteres Gutachten eingeholt wurde, nachdem Zweifel an dem Sachverständigen aufgekommen waren. Dies hätte auch nach Anklageerhebung sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch vom Gericht initiiert werden können. Bernd Dörries (SZ) meint, "die Angst vor einem Prozess, der ohne Urteil bleibt, war nun größer als die Pflicht gegenüber den Hinterbliebenen", Pascal Beucker (taz) bezeichnet die Ablehnung des Hauptverfahrens als "bittere Farce". Jost Müller-Neuhof (Tsp) hingegen ist der Ansicht, das Gericht habe es sich nicht zu leicht gemacht – und bei einer Tragödie müsse es nicht unbedingt Schuldige geben.
Rechtspolitik
Panama-Papers: Wird genug gegen Steuerhinterziehung in Steueroasen unternommen? Darüber wird seit Enthüllung der "Panama Papers" intensiv diskutiert – sogar ein weltweites Verbot von Briefkastenfirmen wurde schon gefordert, wie zeit.de (Lisa Caspari/Philip Faigle/Katharina Schuler) zusammenfasst. Für die Rechtslage in Deutschland ist insbesondere interessant, welche Maßnahmen zur bis 2017 fälligen Umsetzung der EU-Geldwäsche-Richtlinie getroffen werden, berichtet das Hbl (Holger Alich/Jan Hildebrand/Donata Riedel). In den geleakten Dokumenten tauchen auch 28 deutsche Banken auf, die an der Gründung von Briefkastenfirmen beteiligt sein sollen. Die Kanzlei Mossack Fonseca, von der die veröffentlichten Daten stammen, hat laut SZ derweil Strafantrag gestellt, weil sie einen Hackerangriff auf ihre Server vermutet.
Lohngerechtigkeit: In einer Umfrage des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU) hat sich die Mehrheit der teilnehmenden Arbeitgeberinnen gegen das geplante Lohngerechtigkeitsgesetz ausgesprochen. Mit diesem sollen Arbeitnehmerinnen erfahren können, wie viel ihre männlichen Kollegen verdienen, und bei unbegründeter Schlechterbezahlung mehr Gehalt verlangen können. Dies wird jedoch als „marktfern und mittelstandsfeindlich“ bezeichnet, so die SZ (Costanze von Bullion).
Justiz
EuGH zum Europäischen Haftbefehl: Ein Europäischer Haftbefehl zwingt einen EU-Staat nicht, in einen anderen Mitgliedstaat auszuliefern, wenn in dessen Gefängnissen unmenschliche oder erniedrigende Bedingungen befürchtet werden müssen. Das hat der Europäische Gerichtshof auf eine Vorlage des OLG Bremen entschieden, in der es um die Auslieferung nach Rumänien und Ungarn ging, berichten FAZ (Helene Bubrowski) und SZ (Wolfgang Janisch). Damit werde "eine Art Solange-Vorbehalt in den Anerkennungsgrundsatz" eingebaut, so verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis).
EuGH – Fluggastdatenspeicherung: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am gestrigen Dienstag mündlich über das Abkommen zwischen der EU und Kanada verhandelt, in dem die jahrelange Speicherung von Fluggastdaten vorgesehen ist. Dabei hat das Gericht deutliche Zweifel an der grundrechtlichen Zulässigkeit dieser Form der Vorratsdatenspeicherung geäußert, schreibt die taz (Christian Rath). Das EU-Parlament hatte den EuGH um ein Gutachten gebeten.
BVerwG zu Ramstein: Ein Anwohner des US-Miltärflughafens Ramstein in Rheinland-Pfalz hat keine Klagebefugnis für eine Klage, mit der die Bundesrepublik Deutschland zur Kontrolle von Drohneneinsätzen gezwungen werden soll, entschied das Bundesverwaltungsgericht. Der Kläger sehe sich nicht durch die Drohnen bedroht, sondern nur indirekt durch mögliche Gegenschläge aus dem Ausland. Durch solche seien seine Rechte allerdings höchstens mittelbar betroffen, was nicht ausreiche, so der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und die SZ (Wolfgang Janisch).
BGH zu Betriebskosten: Die Bezugnahme auf die Anlage 3 zur Betriebskostenverordnung in einem Mietvertrag führt zur Umlagefähigkeit der Betriebskosten, weil der Begriff der Betriebskosten im Gesetz definiert ist und daher weder inhaltlich unbestimmt noch intransparent ist. Dies entschied der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs im Februar, wie blog.beck.de (Klaus Lützenkirchen) meldet.
BGH zu Arzthaftungsprozess: Für den Nachweis eines ärztlichen Kunstfehlers muss sich der Patient kein medizinisches Fachwissen aneignen, um den Krankheitsverlauf bestmöglich zu schildern. Darin, dass das Oberlandesgericht Saarbrücken die Schadensersatzforderungen einer Patientin wegen nachlässiger Darlegung zurückwies, sah der Bundesgerichtshof eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, so die FAZ (Joachim Jahn).
OLG München – NSU: Im Terrorprozess um den NSU hat der Vorsitzende Richter Manfred Götzl der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zehn weitere Fragen gestellt, auf deren Beantwortung sie sich nun vorbereiten muss. Dabei geht es insbesondere um den Kontakt zu dem teilgeständigen Mitangeklagten Holger G. sowie um die Wortwahl in einer Wette zwischen Zschäpe und dem verstorbenen mutmaßlichen Haupttäter Uwe Böhnhardt. Diese lege nahe, dass Zschäpe die verübten Morde akzepierte, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
LG München I – Deutsche Bank-Manager: Zum Prozess gegen den Deutsche Bank-Chef Jürgen Fitschen und vier weitere Ex-Top-Manager wegen vorsätzlichen Prozessbetrugs in einem Schadensersatzprozess schreibt die SZ (Harald Freiberger), dass inzwischen von allen Seiten ein Freispruch der Angeklagten erwartet wird. Darauf, dass die Staatsanwaltschaft dennoch immer weitere Beweisanträge stellt, reagierten alle Beteiligten des Verfahrens zunehmend ungehalten.
AG Bautzen – Polizeiprofessor: Im Fall des Professors der sächsischen Landespolizeihochschule, dem Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) mittels einer Abmahnung verboten hat, Ulbig die persönliche Eignung für sein Amt abzusprechen, ist ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Bautzen gescheitert. Dies berichtet lto.de (Tanja Podolski) in einem ausführlichen Bericht.
StA Hannover – Foltervorwurf gegen Bundespolizisten: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat keine "Anhaltspunkte für die systematische Misshandlung" von Menschen im Polizeigewahrsam durch einen Bundespolizisten festgestellt und ein entsprechendes Verfahren eingestellt, wie spiegel.de berichtet. Der Beamte hatte mit der Misshandlung eines Flüchtlings geprahlt – wohl aber nur, um sich damit zu brüsten. Anklage wurde dennoch wegen anderer Taten erhoben, unter anderem dem Besitz von Kinderpornografie.
StA Kiel – Belästigung in Einkaufszentraum: Die Vorwürfe gegen zwei Afghanen, in einem Kieler Einkaufszentrum junge Mädchen belästigt zu haben, haben sich nicht bestätigt. Behauptete Videoaufnahmen seien auf ihren Mobiltelefonen nicht gefunden worden, teilt die Staatsanwaltschaft Kiel mit. Weiterhin ermittelt werde nun noch wegen anderer Delikte, etwa Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, meldet die SZ.
AG Dessau-Roßlau zu "König von Deutschland": Peter Fitzek, selbsternannter König des "Königreichs Deutschland", ist wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hat Berufung eingelegt, wie mdr.de schreibt.
Gefängnis statt Rundfunkbeitrag: Eine Frau, die aufgrund der Verweigerung der Rundfunkbeitragszahlung in Erzwingungshaft genommen wurde, ist nach 61 Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden, meldet spiegel.de.
Recht in der Welt
Kongo/Frankreich – Missbrauchsverdacht gegen Soldaten: Soldaten der kongolesischen Armee, die als Blauhelme der Vereinten Nationen im Nachbarland Zentralafrikanische Republik stationiert waren, sollen dort Frauen und minderjährige Mädchen vergewaltigt haben. Gegen drei UN-Soldaten beginnt daher nun ein Prozess, 18 ihrer Kollegen sind in separaten Verfahren angeklagt. Das berichtet die SZ (Tobias Zick). Zudem ermittelt in diesem Zusammenhang auch die Staatsanwalt in Paris wegen des Missbrauchsverdachts gegen französische Soldaten.
Türkei – Gewalt gegen Frauen: Die FAZ (Cigdem Toprak) befasst sich mit Gewalt gegen Frauen in der Türkei, die ein großes Problem sei. Fast jede zweite verheiratete Frau habe physische Gewalt durch ihren Partner erfahren. Zwar seien die gesetzlichen Grundlagen für Gleichberechtigung und Schutz von Frauen inzwischen geschaffen, allerdings würden sie wegen vorherrschender traditioneller Denkmuster unzureichend umgesetzt.
Sonstiges
Mobiltelefondaten in Ermittlungsverfahren: Anlässlich der Auseinandersetzung zwischen dem FBI und der Firma Apple um die Entschlüsselung des iPhones eines mutmaßlichen Verbrechers gibt netzpolitik.org (Constanze Kurz) einen Überblick darüber, wann in Deutschland Computer und Telefone beschlagnahmt und ausgewertet werden und wie die Verschlüsselung umgangen werden darf.
Fischer zu Gefängnissen: In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de dieses Mal mit dem Gefängnissystem. Dabei geht er auch auf seine vorheigen Texte ein, die sich damit beschäftigen, wie und warum Strafen verhängt werden. Er schließt: "Wir müssen versuchen, mit dem Strafen etwas für die Zukunft Positives zu bewirken: Die Bestraften von weiteren Taten abhalten, die Übrigen von Anfangstaten."
Rechtsbereinigungsgesetz: Die Bundesregierung will 149 Gesetze und Verordnungen abschaffen oder ändern, um veraltete und bedeutungslose Vorschriften abzuschaffen. Teilweise enthielten Gesetze etwa noch D-Mark-Angaben statt Euro, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
Rechtsvergleichung: Die FAZ (Martin Otto) bespricht das Buch "Rechtsvergleichung" des Staatsrechtlers Uwe Kischel, wobei der Autor besonders die Beschäftigung mit islamischem, jüdischen und kanonischen Recht hervorhebt. Er bezeichnet es als kluges und ernstzunehmendes Buch, das "weit über die weiteren Fachgrenzen hinaus bemerkenswert" sei.
Juristische Ausbildung
Promovend mit rechter Gesinnung? Die FAZ (Jochen Zenthöfer) berichtet von einem Rechtsradikalen, der bis Herbst 2014 Zivilrichter auf Probe in Bayern war, dessen Dienst jedoch nach Bekanntwerden seiner Ansichten beendet wurde. Im Anschluss promovierte er bei einem Professor für Zivilrecht in Greifswald, dem aufgrund früherer Äußerungen ebenfalls eine Nähe zum Rechtsradikalismus unterstellt wird.
Das Letzte zum Schluss
Flugzeugpfändung wegen 600 Euro: Dass die Ferienairline Condor einem Reisegast nach einem jahrelangen Mahnverfahren die verlangte Entschädigung von 600 Euro auch dann nicht zahlte, als dieser einen Vollstreckungstitel erwirkte, führte zu drastischen Maßnahmen: Ein Gerichtsvollzieher hat versucht, am Flughafen Salzburg ein Flugzeug des Unternehmens im Wert eines zweistelligen Millionenbetrags zu pfänden. Um dem zu entgehen, beglich die Airline dann ihre Schulden, meldet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. April 2016: Kein Love-Parade-Prozess / EuGH zum EU-Haftbefehl / EuGH zu Fluggastdaten . In: Legal Tribune Online, 06.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18911/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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