Nach den Ereignissen in Köln ruft Merkel laut nach dem Rechtsstaat, Prantl guckt ins StGB. Außerdem: Vorratsdaten für Verfassungsschutz, Pflicht- und Sicherungsverteidiger, privilegierte Steuerberater und ein Justizopfer macht Karriere bei Netflix.
Thema des Tages
Übergriffe in Köln: Auch Tage nach den Übergriffen auf Frauen in Köln und andernorts nimmt die Befassung der Politik mit dem Thema noch einmal zu. So fordere Bundeskanzlerin Merkel eine "harte Antwort des Rechtsstaates" und schnelle Ermittlungen ohne Ansehen der Herkunft, wie u.a. spiegel.de meldet. Auch Bundesinnenminister de Maizière und Bundesjustizminister Maas verurteilten die Taten, Maas forderte auch einen besseren Schutz in den Städten, so berichtet etwa zeit.de. Wie die Welt (Claudia Kade/Manuel Bewarder) berichtet, die die Ereignisse und Reaktionen ausführlich zusammenfasst, übte der Bund Deutscher Kriminalbeamte Kritik an der Kölner Justiz: Zwar gebe es Verbesserungen, noch immer stehe die Stadt aber nicht in Verdacht, mit "atemberaubend hohen Strafen" abschreckend auf Straftäter einzuwirken. In Köln wird laut FR (Claudia Hauser u.a.) über intensive Videoüberwachung, verstärkte Polizeipräsenz und Aufenthaltsverbote für die kommenden Karnevalstage nachgedacht.
Heribert Prantl (sueddeutsche.de) sieht die klare Antwort auf die vielen offenen Fragen im Gesetz: im Strafgesetzbuch, im Aufenthaltsgesetz und im Asylgesetz. Sollten die Täter Flüchtlinge gewesen sein, sei das "Asylrecht nicht blind", es stimme einfach nicht, dass kriminelles Verhalten keinen Einfluss auf Asylverfahren hätte; dies stelle auch keine nationale Schärfe dar, vielmehr sehe dies bereits die Genfer Flüchtlingskonvention vor. Gemäß dem Art. 33 Abs. 2 könne derjenige Flüchtling sich auf die Vergünstigungen der Konvention nicht berufen, "der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde".
Mit Deutschlands "bekanntestem Jugendrichter" Andreas Müller spricht focus.de (Julian Rohrer) über die Vorfälle. Dass der Rechtsstaat funktioniere, müsse sich darin zeigen, dass "Verdächtige nach Antrag der Staatsanwaltschaft schnell in Untersuchungshaft landen und dass Anklagen so schnell wie möglich erhoben werden". Weiter erläutert focus.de unter Berufung auf den Anwalt und Lehrbeauftragten für Strafrecht Jesko Baumhöfener die derzeit in Frage kommenden Delikte: Raub und sexuelle Nötigung. Baumhöfener rechne indes nicht damit, dass jemandem ein konkreter Tatnachweis belegbar sei.
Rechtspolitik
Gesetzesänderungen 2016: lto.de (Marcel Schneider) stellt wichtige Gesetzesänderungen für das Jahr 2016 vor: Geschlechterquote für Führungspositionen, allgemeiner Rechtsanspruch auf Eröffnung eines einfachen Girokontos, verpflichtende Einführung der sog. IBAN, Einschränkungen der Möglichkeit für vertragliche Befristungen in der Wissenschaft, Pflegereformen und Anhebung von Hartz-IV- und BaföG-Sätzen.
Vorratsdaten und Verfassungsschutz: Nachdem im Dezember vergangenen Jahres bekannt geworden war, dass Bayern beabsichtigt, die gesammelten Vorratsdaten auch dem Landesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung zu stellen, hatte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Die Linke) eine diesbezügliche Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. netzpolitik.org (Tomas Rudl) informiert über die Antwort aus dem Justizministerium: Danach liege eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Datenweitergabe an den Verfassungsschutz als Gefahrenabwehrbehörde in § 113c Abs. 1 Nr. 2 des Telekommunikationsgesetzes, auch wolle man sich nicht in Ländersachen einmischen.
Residenzpflicht für Asylbewerber: Wie die Welt (Sabine Menkens) meldet, schlägt der Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes eine Residenzpflicht für "anerkannte" Asylbewerber vor, "um sie dort anzusiedeln, wo wir sie dann auch haben wollen"; diese solle dann mit einer entsprechenden Beschäftigungsförderung einhergehen.
Justiz: EuGH zu Steuerberater-Privilegien, Zettel-Testamente, Unterhaltsrichtlinien vom OLG Hamm
Justiz
EuGH zu Steuerberatern: Nach Vorlage des Bundesfinanzhofes hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Privilegien für deutsche Steuerberater nicht grundsätzlich gegen EU-Recht verstießen. So könne die Dienstleistungsfreiheit zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und zur Stärkung des Verbraucherschutzes dann eingeschränkt werden, wenn die konkreten Qualifikationen ausländischer Anbieter von Steuerberatungen bei der Zulassung berücksichtigt werden, erläutert die FAZ (Joachim Jahn).
OLG Hamm zu Zettel-Testament: Das Oberlandesgericht Hamm hat am Dienstag eine Entscheidung zu einem sog. "Zettel"- Testament getroffen und darin Mindestanforderungen an Form und Inhalt zur Wirksamkeit formuliert. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, sei das Gericht im konkreten Fall, in welchem es um die Vererbung eines Hauses ging, von einer Unwirksamkeit ausgegangen: Die Schriftstücke, ein Papierschnipsel und ein kleines Pergamentpapier, stellten u.a. wegen zahlreicher Grammatik- bzw. Rechtschreibfehler und dem Ort der Aufbewahrung kein wirksames Testament dar.
OLG Hamm zu Unterhaltsrichtlinien: Wie lto.de knapp meldet, hat das Oberlandesgericht Hamm am gestrigen Dienstag neue Leitlinien für das Unterhaltsrecht veröffentlicht. Das entsprechende Dokument des OLG ist wie auch die neue Düsseldorfer Tabelle, die es berücksichtigt, bei lto.de verlinkt.
LG Heidelberg zu Maschmeyer: Wie das Handelsblatt informiert, wurde der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer vom Landgericht Heidelberg verurteilt, an die Klägerin MLP Auskunft zu erteilen über Transaktionen im Zusammenhang mit dem Versuch, die beiden Finanzdienstleister zusammen zu bringen.
AG Oranienburg – Berufung im Fall "Nazi-Tattoo": Im Falle des durch das Amtsgericht Oranienburg zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilten NPD-Politikers, der in einem Schwimmbad ein Nazi-Tattoo gezeigt hatte, hat laut lto.de nun auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt; sie strebe ein höheres Strafmaß an.
StA Darmstadt – Schüsse auf Flüchtlingsunterkunft: Wie die FR (Hanning Voigts) meldet, hat die Staatsanwaltschaft Darmstadt nach dem Schüssen auf eine Flüchtlingsunterkunft in Dreieich, bei welchen ein Flüchtling verletzt wurde, Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen.
Pflichtverteidiger: "Der Verteidiger und seine Pflicht" – In seiner Rechtskolumne befasst sich Bundesrichter Thomas Fischer für zeit.de mit der Verteidigung im Strafprozess: "Anlass, [aber] nicht Gegenstand" des Beitrags sei der NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht. In dem umfangreichen Beitrag nähert er sich über die Frage, was Verteidiger eigentlich tun, wie man diese mandatiert und wie sie die Rechte der Beschuldigten schützen, dem Wesen der Pflichtverteidigung; weiter geht es um die nicht erst seit den RAF-Prozessen bekannte Sicherungsverteidigung und die Abberufung von Verteidigern.
Kanzlei-Budgetierung: Unter dem Titel "Raus aus dem Mittelmaß" erläutert für lto.de Christopher Holl, Kaufmännischer Leiter einer Versicherungs- und Haftungsrechtskanzlei, wie sich wachsende Kanzleien bei den Themen Management, Planung und Budgetierung systematisch am besten aufstellen.
Recht in der Welt
USA – US-Regierung verklagt VW: Die FAZ (Helene Bubrowski; Zeitgeschehen-Teil) befasst sich mit den Hintergründen und Voraussetzungen der am Montag dieser Woche vom US-Justizministerium gegen den Autokonzern Volkswagen eingereichten Zivilklage nach dem sog. Clean Air Act. Dabei stellt die FAZ die Klage auch in Zusammenhang mit den zahlreichen bereits angestrengten Prozessen, in denen VW sich in den USA befindet. Auch ein strafrechtliches Vorgehen der Behörden sei keineswegs unwahrscheinlich.
Dazu auch die taz (Richard Rother).
USA – Waffenrechte: Die taz (Bernd Pickert) erläutert einen 10-Punkte-Plan des US-Präsidenten Barak Obama, womit der Verkauf von Schusswaffen eingeschränkt und intensiver reguliert werden soll. Danach sollen sog. Background-Checks von Käufern verbessert werden und die Lizensierung als Waffenhändler auch bei nur gelegentlichen Verkäufen notwendig werden. Dazu auch zeit.de und spiegel.de.
Indien – Prozess gegen Unilever: Vor dem Hohen Gericht in Madras in Indien läuft derzeit ein Entschädigungs-Prozess gegen den Konzern Unilever, der bis zum Jahr 2001 in der südindischen Stadt Kodaikanal Thermometer mit Quecksilber produzierte. Die für etwa 500 ehemalige Arbeiter klagende Gewerkschaft wirft dem Unternehmen vor, Menschen und Umwelt in der Region vergiftet zu haben. Die taz (Lalon Sander) berichtet.
Polen – EU-Sanktionen: spiegel.de (Markus Becker) erläutert ausführlich, welche rechtlichen Maßnahmen die EU-Kommission gegenüber Polen ergreifen kann, so etwa den sog. Rechtsstaatsmechanismus.
Sonstiges
Autos im Schnee: Anlässlich des teilweisen Wintereinbruchs in Deutschland stellt spiegel.de (Christian Frahm) verschiedene Verkehrsregeln vor, mit denen Autofahrer sicher durch den Schnee kommen, u.a., welche Sonderrechte für Streufahrzeuge gelten und was es bei Mietwagen im Winterurlaub zu beachten gilt.
Das Letzte zum Schluss
USA – "Making a Murderer": zeit.de (Eike Kühl) stellt die Doku-Serie des Streaming-Portals Netflix "Making a Murderer" vor, die sich mit dem Fall von Steven Avery auseinandersetzt: Avery habe als "Opfer des Justizsystems landesweit Schlagzeilen" gemacht und "wurde bekannt als der Mann, der 18 Jahre lang fälschlicherweise im Gefängnis saß". Zwei Jahre nach seiner Entlassung wurde Avery abermals verhaftet und wegen Mordes verurteilt. Die Serie habe insbesondere in Internetforen zu heftigen Reaktionen geführt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Januar 2016: Köln und Rechtsstaat / Pflicht- und Sicherungsverteidigung / Vorsicht bei Zettel-Testament . In: Legal Tribune Online, 06.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18029/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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