Baden-Württemberg legt Sprungrevision gegen das Stuttgarter Diesel-Fahrverbot-Urteil ein. Außerdem in der Presseschau: Das nächste Wirtschaftsstrafverfahren befasst sich mit Cum-Ex-Deals und EGMR verurteilt Spanien wegen Abschiebungen.
Thema des Tages
BVerwG – Diesel-Fahrverbot: Die grün-schwarze Landesregierung Baden-Württembergs wird gegen das Diesel-Fahrverbot-Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht einlegen. Durch eine voraussichtlich im kommenden Jahr ergehende Entscheidung wird das Leipziger Gericht darüber befinden müssen, ob ein lokales Verbot einer bundesgesetzlichen Regelung bedarf. Die Berichte von SZ (Josef Kelnberger), FAZ (Rüdiger Soldt) und taz (Christian Rath) beschreiben das nun eingelegte Rechtsmittel als Kompromiss der Stuttgarter Koalitionspartner. Seitens der CDU sei gewünscht worden, durch eine Berufung in einer weiteren Tatsacheninstanz die beim sogenannten Diesel-Gipfel abgegebenen Versprechungen der Auto-Industrie in das Verfahren einzuführen.
Diesen Kompromiss bezeichnet Malte Kreutzfeldt (taz) in einem Kommentar als "vernünftig". Beim Bundesverwaltungsgericht sei bereits im Februar eine andere Entscheidung zum gleichen Thema angekündigt. Es bestehe die Chance, den Stuttgarter Fall bei dieser Gelegenheit auch rechtskräftig abzuschließen.
Rechtspolitik
Unternehmensstrafrecht: Die vom früheren nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) vertretene Forderung nach Einführung eines Unternehmensstrafrechts wird von seinem Amtsnachfolger Peter Biesenbach (CDU) abgelehnt. Nordrhein-Westfalen solle nicht mehr das Land des Unternehmensstrafrechts sein, so der Minister gegenüber der FAZ (Hendrik Wieduwilt), die deutsche Differenzierung zwischen Strafrecht und Recht der Ordnungswidrigkeiten finde dagegen seine Unterstützung, wobei eine Erhöhung der Bußgeldgrenzen diskutabel sei.
Bundestagspräsidium: In einem Kommentar zum Streit um die Besetzung des künftigen Bundestagspräsidiums fordert Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) die "Gleichbehandlung der AfD". War bereits die geänderte Bestimmung zur Eröffnung des neuen Parlaments "ein Fehler", so müsse nun das "Bemühen um Neutralität" auch im Umgang mit der AfD und "bei aller Abwägung im Konkreten" höchste Priorität besitzen.
Investitionskontrolle: Rechtsanwältin Anahita Thoms macht in einem Gastbeitrag für den Wirtschafts-Teil der FAZ auf eine Novelle der Außenwirtschaftsverordnung aufmerksam, durch die Übernahmen deutscher Unternehmen künftig leichter beschränkt oder verhindert werden können. Die Autorin stellt hierzu das Prozedere der Prüfung einer solchen Entscheidung, die dem Bundeswirtschaftsministerium obliegt, vor und meint, dass es "interessant" sei, wie die EU auf die Entwicklung reagieren werde.
EU-Steuerpolitik: EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici will am heutigen Mittwoch seine Pläne für eine europaweite Reform der Mehrwertsteuer vorstellen. Wie die SZ (Alexander Mühlauer) schreibt, sollen dabei sogenannte Karussell-Betrugs-Methoden unmöglich gemacht werden, indem bei grenzüberschreitenden Online-Geschäften die Mehrwertsteuer am Ort der Dienstleistung fällig wird.
Justiz
EuGH – Datentransfer: In dem vom österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems vor dem irischen High Court betriebenen Verfahren über die Zulässigkeit von Facebook-Datentransfers hat das Gericht angekündigt, bestimmte Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof vorlegen zu wollen. Hierzu werden die Parteien um Formulierungsvorschläge gebeten, meldet community.beck.de (Axel Spies).
BVerfG – Numerus clausus: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet nun über die am heutigen Mittwoch anstehende Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit eines Numerus-clausus-Verfahrens bei der Verteilung von Studienplätzen. Der Artikel zieht einen Bogen zur NC-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1972, die verdeutliche, "wie der Zeitgeist sich in höchstrichterlichen Entscheidungen spiegelt". Sollte dies auch bei dem für das Ende des Jahres erwarteten Urteil der Fall sein, könnte indes der damalige "egalitäre Ansatz" zugunsten einer standortdefinierten "Exzellenz" von Hochschulen fallengelassen werden.
BVerwG zu Rundfunkbeitrag: Auch die Welt (Michael Gassmann) schreibt nun über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus der vergangenen Woche, nach der in Zimmern eines Beherbergungsbetriebes ohne Empfangsmöglichkeiten kein Rundfunkbeitrag verlangt werden könne. Der Spruch sei bemerkenswert, weil er erstmals "wenn auch nur in einem Teilbereich, den Zusammenhang von Wohnung und Beitragszahlung" auflöse.
OVG Sachsen-Anhalt zu Mindestgröße von Polizisten: Nach einem am Montag veröffentlichten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt aus der vergangenen Woche ist die in der Polizeilaufbahnverordnung festgeschriebene Mindestkörpergröße von 160 Zentimetern rechtmäßig. Kleinere Bewerber für den Polizeidienst verursachten Zweifel sowohl hinsichtlich ihrer Durchsetzungsfähigkeit bei körperlichen Auseinandersetzungen als auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes, das "Kraft und Durchsetzungsfähigkeit" widerspiegeln solle. Über die Entscheidung berichtet lto.de.
LG Wiesbaden – Cum-Ex: Nach Information der SZ (Klaus Ott) hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bei der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden Anklage gegen Aktienhändler der Hypo-Vereinsbank und einen Rechtsanwalt erhoben. Den Angeschuldigten werde Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft erhoffe in dem jetzigen Musterfall eine klarstellende Entscheidung notfalls auch durch den Bundesgerichtshof. Ulrich Schäfer (SZ) hofft, "dass die Aufarbeitung vor Gericht" erfolgreicher verlaufen werde "als in vielen anderen großen Wirtschaftsfällen". Die jüngst den vormaligen Managern der Hypo Real Estate auferlegte "läppische Geldstrafe" beweise, dass Staatsanwälte in solchen Verfahren "oft auf verlorenem Posten" kämpften.
AG München zu Dashcam: Wegen vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, ist eine Autofahrerin vom Amtsgericht München zur Leistung eines Bußgeldes verurteilt worden. Die Betroffene hatte, nachdem ihr Beschädigungen an ihrem geparkten Fahrzeug aufgefallen waren, der Polizei Aufnahmen der im Auto installierten Dashcam übergeben, woraufhin das im jetzt veröffentlichten Urteil vom August vorläufig abgeschlossene Verfahren eingeleitet wurde. Es berichten FAZ (Karin Truscheit) und Rechtsanwalt Thomas Hummel (sie-hoeren-von-meinem-anwalt.de), der im Fall als als Verteidiger tätig war. Weil die zivilprozessuale Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen mittlerweile durch einige Gerichte anerkannt wurde, böten sich gute Chancen, mittels der Rechtsbeschwerde die als Ordnungswidrigkeit gewertete Beweiserhebung zu Fall zu bringen.
BSG-Präsident: Den seit einem Jahr als Präsident des Bundessozialgerichts amtierenden Rainer Schlegel interviewt lto.de (Annelie Kaufmann) zu seiner Bilanz, zu Konkurrentenklagen, der medialen Präsenz des Gerichts und seinen Hoffnungen für rechtspolitische Schwerpunkte der nächsten Regierung.
Recht in der Welt
EGMR – Spanien: Durch spanische Polizisten vorgenommene sogenannte "heiße Rückführungen", bei denen Flüchtlinge ohne jede Feststellung der Personalien von der Exklave Melilla nach Marokko abgeschoben werden, verstoßen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Spanien habe an den überwundenen Zäunen die faktische Kontrolle ausgeübt. Nach Auffassung des Gerichts ist die Konvention daher anwendbar, unabhängig davon, ob die Flüchtlinge bereits spanisches Staatsgebiet erreicht hätten. Die Fakten der Entscheidung stellt die taz (Christian Rath/Dominic Johnson) dar.
Spanien – Katalonien: Das Hbl (Sandra Louven) porträtiert den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont, der nach den Bestimmungen des regionalen Abstimmungsgesetzes 48 Stunden nach Verkündung eines positiven Ergebnisses die Unabhängigkeit der Region auszurufen habe. Diese Frist habe bislang noch nicht zu laufen begonnen, Puigdemont jedoch bewiesen, dass er sich bei seinem Kampf "zumindest nicht von Gesetzen" aufhalten lasse. Derweil hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Vermittlerrolle der EU im Sezessionsstreit abgelehnt. Nach dem Bericht der taz (Eric Bonse) fürchte die EU auch, dass sich Regionen wie Flandern, Korsika oder Südtirol "vom katalanischen Fieber" anstecken lassen könnten.
In der Einschätzung von Sebastian Schoepp (SZ) bedroht eine Abspaltung Kataloniens auch Interessen der EU, die nach dem Brexit-Votum einen weiteren wirtschaftlich geschwächten Krisenherd kaum vertrage. Daher müsse den sezessionswilligen Katalanen "deutlich und klar vernehmbar" gesagt werden, was passiere, "wenn sie wirklich eine unabhängige Zwergrepublik gründeten".
USA – Waffenrecht: Hubert Wetzel (SZ) beschreibt im Leitartikel der Zeitung die dem Massaker von Las Vegas folgenden Betroffenheitsrituale und prognostiziert, dass "auch diese sogenannte Debatte" keine praktischen Folgen haben werde. Neben gewöhnlichen Waffenlobbyisten seien hierfür auch "jene konservativen Richter, die das in der Verfassung verbriefte, aber unklar formulierte Recht als ein individuelles und absolutes Recht interpretieren", verantwortlich.
Sonstiges
Münchner Amoklauf: Drei von der Münchner Fachstelle für Demokratie der Stadt in Auftrag gegebene sozialwissenschaftliche Gutachten sind zu dem Ergebnis gelangt, dass der Amoklauf vom Juli 2016 als politisch motivierte rechte Tat zu werten sei. Die am kommenden Freitag vorgestellten Gutachten, über die die SZ (Lena Kampf/Kassiah Stroh) exklusiv berichtet, widersprechen damit der Einschätzung der Ermittlungsbehörden, David S. habe seine Tat infolge von persönlichen Kränkungen verübt.
Großprojekte: Rechtsanwalt Thomas Senff nimmt auf lto.de den Bau der alt-ägyptischen Cheops-Pyramide als Beispiel "einer durchdachten und sorgfältigen Planung" eines baulichen Großprojekts und beschreibt, was erforderlich sei, um aktuelle Großbauprojekte in der Bundesrepublik zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Thomas Middelhoff: Der wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilte Manager Thomas Middelhoff hat mit seiner Autobiographie "A115" einen Bestseller gelandet. Die hierdurch genährte Hoffnung der Gläubiger, vom insolventen Autor zumindest auf einen Teil ihrer nach wie vor offenen Forderungen Zahlungen zu erhalten, könnte nach dem Bericht des Hbl (Massimo Bognanni) enttäuscht werden. Offenbar seien die Rechte an autobiographischen Werken bereits vor mehreren Jahren an eine bislang unbekannte Gesellschaft nach US-amerikanischem Recht abgetreten worden.
Das Letzte zum Schluss
Frühstück: Die Frage eines angemessenen Frühstücks entzweit nicht nur Familien oder Paare, sondern kann auch die Finanzgerichtsbarkeit zu juristisch-kulinarischen Argumentationen beflügeln. In einem nun veröffentlichten Urteil von Ende Mai befand das Finanzgericht Münster, dass die bloße Zurverfügungstellung trockener Brötchen und Heißgetränken die Voraussetzungen einer für Arbeitgeber steuerfreien Darreichung einer Mahlzeit nicht erfülle. Denn es erfordere ein Frühstück nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch einen entsprechenden Brotaufstrich. lto.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Oktober 2017: Diesel-Fahrverbot beim BVerwG / Anklage wegen Cum-Ex / Rechtswidrige Rückführung . In: Legal Tribune Online, 04.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24819/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag