Das Grundgesetz garantiert der Opposition keine besonderen Rechte, so das BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Müssen Whistleblower geschützt werden, wird Frauke Petry angeklagt und verlangt Volkswagen Schadensersatz von seinen Vorständen?
Thema des Tages
BVerfG zu Oppositionsrechten: Die Oppositionsparteien müssen keine erweiterten Verfahrensrechte im Bundestag erhalten, entschied am gestrigen Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Die Bundestagsfraktion der Linken hatte dies mit einem im Jahr 2014 eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Minderheitsrechte im Parlament gefordert, weil für diverse Verfahren ein Antrag durch 25 Prozent der Abgeordneten notwendig ist – zu Zeiten der Großen Koalition für die Oppositionsparteien schwer erreichbar. Angestrebt wurde deshalb das Recht der nicht an der Regierung beteiligten Fraktionen, auch ohne bestimmtes Quorum etwa Normkontrollverfahren einleiten oder Untersuchungsausschüsse einsetzen zu dürfen. Die Große Koalition lehnte diese Gesetzesänderungen ab, wodurch die Linksfraktion die Rechte des Bundestags verletzt sah und ein Organstreitverfahren anstrengte. Zu Unrecht, so Karlsruhe: "Die Opposition" tauche im Grundgesetz nicht auf, ihr stünden keine eigenständigen Rechte als Gruppierung zu. Die teilweise festgelegten qualifizierten Minderheiten unterschieden nicht, ob die Abgeordneten zur Regierung oder zur Opposition gehörten. Vor allem aber würde eine Differenzierung zwischen den Abgeordneten aufgrund ihrer Haltung zur Regierung gegen deren Gleichheit verstoßen. Es berichteten spiegel.de (Dietmar Hipp), FR (Ursula Knapp) und die FAZ (Reinhard Müller).
Hinter dem Urteil vermutet Wolfgang Janisch (SZ) eine Angst der Karlsruher Richter vor einer zukünftigen "schillernden" Opposition, unter der die Regierungsfähigkeit leiden könnte. Auch Christian Rath (taz) fragt, ob das Urteil es den Mehrheitsparteien ermöglichen solle, bei einem eventuellen Einzug der AfD in den Bundestag selbst über deren Rechte zu entscheiden. Jost Müller-Neuhof (Tsp) hingegen lobt, das Urteil erinnere daran, dass Opposition "verfassungsrechtlich betrachtet in jedem einzelnen Volksvertreter" schlummere.
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Anlässlich der Diskussion um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts stellt die SZ (Constanze von Buillon u.a.) die Rechtslage in Schweden, den USA, Frankreich, Italien, Japan und Brasilien dar. Jost Müller-Neuhof (Tsp) spricht sich derweil für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung durch "Nein heißt Nein" aus. Die meisten Menschen merkten es sehr wohl, wenn der andere nicht will, und von der Frage der Beweisbarkeit vor Gericht dürfe sich der Gesetzgeber nicht leiten lassen – dies sei im Sexualstrafrecht auch heute schon fast immer kompliziert.
Whistleblower: Die Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament hat einen Entwurf für eine EU-Richtlinie vorgelegt, mit der Whistleblowern ein weitreichender Schutz zugebilligt werden soll, berichtet spiegel.de (Markus Becker). Sie sollen hiernach sowohl vor Strafverfolgung als auch vor zivil- und dienstrechtlichen Konsequenzen geschützt werden, wenn die enthüllten Sachverhalte "das öffentliche Interesse schädigen oder bedrohen", und zwar auch dann, wenn die Berichte sich als unabsichtlich falsch herausstellen.
§ 103 StGB: In der Diskussion um die Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch, wonach die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten gesondert bestraft wird, spricht sich Rechtsprofessor Marco Mansdörfer auf lto.de dafür aus, das politische Strafrecht in den ersten vier Titeln insgesamt zu überprüfen. Hier sei vieles überholt, unsystematisch und nicht stimmig. Sonderregeln für Staatsoberhäupter seien nicht mehr zeitgemäß; diese sollten schlicht unter die Straftatbestände gefasst werden, die für jedermann gelten.
Mutterschutz: Am heutigen Mittwoch befasst sich das Bundeskabinett mit der Reform des Mutterschutzgesetzes. Bis zuletzt war im Entwurf umstrittener Punkt, ob die Regelungen auch auf Schülerinnen und Studentinnen ausgedehnt werden sollten. Diese sollen nun davon Gebrauch machen können, aber nicht müssen, so die SZ.
Religionsfreiheit: Anlässlich der Äußerung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, Europa sei ein "christlicher Club", fragt Reinhard Müller (FAZ) danach, welche Rolle die Religionen im deutschen Grundgesetz haben. Dieses sei christlich geprägt, mache den Religionen aber keinerlei Vorgaben, sondern schütze sie, solange sie mit anderen Grundrechten vereinbar seien – auch der Islam gehöre daher zu Deutschland.
Cannabis für Schwerkranke: Am heutigen Mittwoch möchte das Bundeskabinett über den Gesetzentwurf entscheiden, mit dem Schwerkranken die Behandlung mit Cannabis auf Kassenrezept erlaubt werden soll, berichtet die Welt (Claudia Kade). Experten rechnen damit, dass dies 800.000 Patienten im Jahr betreffen könnte.
TTIP: Im Zusammenhang mit den geleakten TTIP-Dokumente befasst sich die FAZ (Hendrik Wieduwilt) mit dem Stand der Diskussion um die vorgesehenen Schiedsgerichte.
Heiko Maas im Interview: Die FAZ (Jasper von Altenbockum/Helene Bubrowski/Reinhard Müller/Matthias Wyssuwa) spricht mit Bundesjustizminister Heiko Maas über das rechtspolitische Tagesgeschehen.
Justiz
OLG Düsseldorf zur "Scharia-Polizei": Gegen acht im September 2014 als "Scharia-Polizei" patrouillierende Islamisten wird nun doch ein Strafprozess durchgeführt, meldet lto.de. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hält die Verurteilung der Angeklagten wegen eines Versammlungsgesetzverstoßes für hinreichend wahrscheinlich und hat daher auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wuppertal die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, nachdem das Landgericht Wuppertal dies abgelehnt hatte.
GenStA Dresden – Frauke Petry: Auch vor dem Wahlprüfungsausschuss ist ein strafbarer Meineid möglich, befand die Generalstaatsanwaltschaft Dresden und hob die Verfügung auf, mit der die Staatsanwaltschaft Dresden ein Verfahren gegen AfD-Chefin Frauke Petry eingestellt hatte. Damit sind weitere Ermittlungen zu den im November 2015 getätigten Aussagen Petrys im Wahlprüfungsausschuss, bei denen es um Wahlkampfspenden im sächsischen Landtagswahlkampf geht, möglich, so zeit.de.
AG Dresden – Lutz Bachmann: Wegen Volksverhetzung durch Kommentare auf Facebook, in denen er Migranten als "Viehzeug" und "Gelumpe" bezeichnete, ist Pegida-Gründer Lutz Bachmann zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 80 Euro verurteilt worden. Er hatte sich darauf berufen, die Kommentare nicht selbst verfasst zu haben, berichtet zeit.de (Tilman Steffen).
OLG Düsseldorf – Kriegsverbrechen in Syrien: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen einen Deutschen begonnen, der wegen Kriegsverbrechen im bewaffneten Kampf in Syrien angeklagt ist. Unter anderem soll er mit abgetrennten Köpfen auf Fotos posiert haben, meldet spiegel.de.
LG Bochum – Thyssen-Krupp: Das Hbl (Martin Murphy) berichtet über das Strafverfahren gegen zwei frühere Thyssen-Krupp-Manager wegen Kartellverstößen und Bestechlichkeit, in dem nun auch die internen Ermittlungen des Unternehmens im Fokus stehen und insbesondere der als Zeuge vernommene Ex-Compliance-Chef in die Kritik gerät.
BGH zu Gesellschafterabberufung: Dem Geschäftsführer einer GmbH, der sich mit den Gesellschaftern überworfen hat, ist das Erscheinen bei einem Treffen in der Privatwohnung eines Gesellschafters nicht zuzumuten. Er muss jedoch, wenn dort in seiner Abwesenheit seine Abberufung beschlossen wird, dies rechtzeitig anfechten – sonst ist die Entscheidung wirksam, so der BGH nach einer Meldung der FAZ (Joachim Jahn).
BGH zur Wahl von BGH-Anwälten: In einem Audio-Bericht befasst sich lto.de (Michael Reissenberger) mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem das Wahlverfahren für BGH-Anwälte rechtmäßig sei. Der Kläger Volker Röhmermann, der sich zu Unrecht abgelehnt wähnt, kritisiert, die Maßstäbe der Zulassung seien nicht nachvollziehbar.
BGH zu Insolvenzverwalterliste: In mehreren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof Kriterien für die Insolvenzgerichte aufgestellt, die sie bei der Aufnahme von Insolvenzverwaltern in die Vorauswahllisten beachten müssen, etwa zur Ortsnähe und fachlichen Eignung. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn).
VG Gera zu Wurstverkauf an Raststättenzaun: In einem Streit zwischen dem Freistaat Thüringen und einem Imbissbetreiberpaar, das über den Zaun zu einem Raststättenparkplatz an der A9 Würste verkauft, hat das Verwaltungsgericht Gera diese Verkaufspraxis als rechtswidrig eingestuft. Da die Verkäufer keine Konzession oder Sondernutzungserlaubnis für ihren Wursthandel haben, wies das Gericht die Klage gegen ein Zwangsgeld ab, das sich gegen die Praxis richtete, so die SZ (Christoph Dorner).
OLG Köln zu Urheberrechtsschutz bei Twitter: Auch sehr kurze Texte, etwa 140 Zeichen bei Twitter, können urheberrechtlich geschützt sein – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen. Dem Buchtitel "Wenn das Haus nasse Füße hat" erkannte das Oberlandesgericht Köln diesen Schutz nicht zu und entschied, dass er als Werbespruch getwittert werden darf, schreibt die SZ (Hendrik Wieduwilt).
Recht in der Welt
EGMR zu Malta: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat einer jungen Somalierin ein Schmerzensgeld von 12.000 Euro gegen Malta zugesprochen, weil der Staat gegen das Verbot menschenunwürdigender Behandlung verstoßen habe, indem er die Frau mehr als 16 Monate unter untragbaren Umständen in einem Flüchtlingslager verbringen ließ. Dies meldet die taz.
Sonstiges
Mitwirkung bei Telefon-Entsperrung? Angesichts einer Entscheidung in den USA, nach der eine Beschuldigte im Ermittlungsverfahren zur Entsperrung ihres Smartphones mit ihrem Fingerabdruck gezwungen wurde, stellt lawblog.de (Udo Vetter) seine rechtliche Einschätzung eines solchen Vorgehens in Deutschland dar.
VW-Skandal: In einem Gastbeitrag in der FAZ schreibt Rechtsprofessor Marcus Lutter, der Volkswagen-Konzern habe hohe Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder, in deren Verantwortung der Abgasskandal falle. Denn wie auch immer die jahrelangen Rechtsverstöße zustande kamen, die Verhinderung wäre ihre Aufgabe gewesen, und nach § 93 Abs. 2 des Aktiengesetzes werde ihr individuelles Verschulden vermutet. Der Aufsichtsrat müsse eine Haftungsklage vorbereiten und Schritte zur Forderungssicherung unternehmen, etwa Boni kürzen.
Das Letzte zum Schluss
Trügerisches Eis? Eine Frau aus Chicago verklagt die Café-Kette Starbucks, weil der Eiskaffee zu viel Eis enthalte und zu wenig Kaffee. Diesen Konsumentenbetrug, dass im 0,7-Liter-Becher wegen des vielen Eises nur 0,4 Liter Kaffee seien, möchte sie mit mehr als fünf Millionen Dollar Schadensersatz geahndet sehen, meldet die SZ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 04. Mai 2016: Opposition geschwächt? / Whistleblower schützen? / VW-Vorstand haftbar? . In: Legal Tribune Online, 04.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19291/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag