Ein OLG äußert sich zur Rechtmäßigkeit des No-Spy-Erlasses. Außerdem in der Presseschau: Haderthauer erwartet Strafbefehl, VW vor US-amerikanischem Mammutprozess und Beweissicherung auf niederländisch.
Thema des Tages
OLG Düsseldorf zu No-Spy-Erlass: Mit dem sogenannten No-Spy-Erlass verpflichtete das Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr Unternehmen, die sich auf öffentliche Ausschreibungen mit möglicher Sicherheitsrelevanz bewerben, zur Garantie, dass keine Daten an ausländische Geheimdienste weitergegeben würden oder diese Dienste anderweitig Zugriff auf Daten hätten. Mit Verweis auf diesen Erlass wehrte sich ein bei der Ausschreibung der Vergabe für die Beschaffung einer Virenschutzsoftware durch die Bundestagsverwaltung unterlegener Anbieter vor dem Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Geklagt hatte er mit der Begründung, der für den Auftrag vorgesehene andere Bieter könne die geforderten „No-Spy“-Anforderungen des Bundes nicht erfüllen. Wie das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet, wurde der Klage stattgegeben.* Begründet wurde dies jedoch mit Transparenzmängeln im Vergabeverfahren. Der rechtlich beachtlichere Teil der Entscheidung sei dem beigefügten obiter dictum zu entnehmen. Nach diesem sei die staatliche Forderung nach Garantien zur Datensicherheit "als besondere Anforderungen an die Auftragsausführung" zulässig. Entsprechend** der Auffassung des klagenden Unternehmens wirke der Erlass auch nicht diskriminierend gegenüber ausländischen Anbietern. Denn von den Anforderungen seien alle auftragsinteressierten Unternehmen betroffen. Der öffentliche Auftraggeber müsse seine Ausschreibungen nicht so konzipieren, "dass sie zum Unternehmens- und Geschäftskonzept jedes potenziellen Bieters passen".
Rechtspolitik
Sterbehilfe: Aus Anlass der am kommenden Freitag bevorstehenden Bundestagsentscheidung zur Sterbehilfe bringt nun auch die SZ (Renate Meinhof) eine Darstellung der vertretenen Positionen als Seite-Drei-Reportage. In dieser werden auch die häufig persönlichen Motive der maßgeblichen politischen Akteure beleuchtet.
Gewalt gegen Flüchtlinge: Angesichts zahlreicher gewalttätiger Übergriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte fordert der Städte- und Gemeindebund nach einem Bericht des Handelsblatts (Dietmar Neuerer) die Verbesserung entsprechender Sicherheitskonzepte durch die Polizei. Hierzu gehöre auch finanzielle Unterstützung durch den Bund für neues Personal. Weil zunehmend auch Kommunalpolitiker bedroht würden, fordere der Verband die Einführung eines Straftatbestandes "Stalking von Mandats- und Entscheidungsträgern". In einem Kommentar fordert Reinhard Müller (FAZ), dass "schlicht und schnell die Strafgesetze durchgesetzt werden". Hierbei bedürfe die Justiz keiner "Anfeuerung, die Polizei hoffentlich auch nicht". Politiker dagegen täten gut daran, "ihre Kraft der Lösung der Flüchtlingskrise" zu widmen.
Meldegesetz: Datenschutzrechtliche Belange des zum Monatsbeginn bundesweit einheitlichen Meldegesetzes beleuchtet der Datenschutzblog projekt29.de (Christian Volkmer).
* Anm. d. Red., 4.11.2015, 10:09: Nach einer Bitte um Berichtigung des Handelsblatts wurden die beiden vorangehenden Sätze leicht geändert.
** Anm. d. Red., 4.11.2015, 12:57: Aus demselben Grund wurde hier das Wort "Entgegen" durch "Entsprechend" ersetzt.
Justiz
EuGH – Haftung für Hyperlinks: Beim Europäischen Gerichtshof sind gegenwärtig zwei Verfahren anhängig, die eine Klärung der gerade in Deutschland umstrittenen Frage verspricht, unter welchen Voraussetzungen eine Verlinkung von Web-Inhalten haftungsbegründend wirkt. Rechtsanwalt Sascha Abrar stellt auf lto.de die bisher von der deutschen und europäischen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze dar und erläutert die Hintergründe der aktuellen Verfahren beim EuGH. Der Urheberrechtsexperte plädiert im Anschluss für eine umfassende Regelung durch den europäischen Gesetzgeber.
BVerfG zu Umgangsrecht für Neonazis: Die SZ (Ulrike Heidenreich) erinnert an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vor zwei Jahren, in dem ein Umgangsverbot eines geschiedenen Neonazis gegenüber seinen Kindern bestätigt wurde. Derartige familienrechtliche Verfahren könnten sich künftig häufen. Die Entscheidung, ob bekennenden oder aktiven Neonazis das Umgangsrecht untersagt werden könne, müsse aber immer im Einzelfall und zuvörderst unter Beachtung des Kindeswohls getroffen werden.
BGH zu Rechtsschutzversicherungen: Die SZ (Herbert Fromme) berichtet über zwei bislang unveröffentlichte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Monat. Nach den Urteilen könnten Rechtsschutzversicherer die Übernahme von Anwaltskosten für Anlegerklagen künftig leichter ablehnen. Die Versicherungen erbrächten ihre Leistungen nämlich auch durch die Abwehr von unberechtigten Gebührenforderungen von Anwälten. Diese Ansicht hatte auch der beklagte Arag-Konzerns vertreten. Dieses Modell entspräche der Regelung bei Haftpflichtversicherungen.
BVerwG zu Bundestags-Gutachten: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) erinnert an ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Transparenzpflichten des Bundestags. Ende Juni hatte das Leipziger Gericht entschieden, dass die vom Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments erstellten Gutachten auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes auf Nachfrage hin öffentlich gemacht werden müssen. Die hierdurch geschaffene Rechtslage, nach der auch die jeweiligen Auftraggeber bekannt gemacht werden, "stelle die bisherigen Gepflogenheiten auf den Kopf". Denn es werde nunmehr schwieriger für Politiker, die Arbeiten als Argumente im politischen Meinungskampf zu verwenden.
OLG Hamm zu Vollzugslockerungen: Dass ein Verurteilter auch nach 15 Jahren Haft die ihm zur Last gelegte Tat leugnet, darf nicht zur Begründung der Verweigerung beantragter Vollzugslockerungen angeführt werden. Dies entschied nach Meldung von lto.de das Oberlandesgericht Hamm in einem nun veröffentlichten Beschluss von Ende September. Auch unter Berücksichtigung eines der Justizvollzugsanstalt einzuräumenden Beurteilungsspielraums sei bei zu gewährenden Vollzugslockerungen vielmehr ein vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde zu legen.
BayVGH zu Rundfunkbeitrag: Nach Meldung der FAZ hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die vom Autovermieter Sixt eingelegte Berufung gegen die Abweisung einer Klage gegen den Rundfunkbeitrag verworfen. In der bislang unveröffentlichten Entscheidung sei jedoch die Revision zugelassen worden.
LG Landshut – Müller-Brot: Vor dem Landgericht Landshut müssen sich drei ehemalige Chefs der mittlerweile insolventen Großbäckerei Müller-Brot unter anderem wegen Insolvenzverschleppung verantworten. Der Prozess begann mit der Verlesung von Protokollen des Gesundheitsamts, das zahlreiche Hygieneverstöße im Betrieb festgestellt hatte. Demnächst werde die wirtschaftliche Situation des Unternehmens im Mittelpunkt stehen, schreibt die SZ (Katja Riedel).
LG Detmold – Auschwitz-Wachmann: Nach Meldung der FAZ (Alexander Haneke) ist ein 93-jähriger früherer Wachmann im KZ-Auschwitz, dem Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen vorgeworfen wird, eingeschränkt verhandlungsfähig. Ein medizinisches Gutachten habe nach Mitteilung des Landgerichts Detmold ermittelt, dass er zwei Stunden pro Tag an einer Hauptverhandlung teilnehmen könne. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens werde nach Ablauf einer Stellungnahmefrist entschieden.
VG Potsdam zu Agententätigkeit: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet über ein "Lehrstück über Gefahren der Überwachungsroutine". Ein brandenburgischer hochrangiger Berufsbeamter, mittlerweile pensioniert, sei wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit jahrelangen Überwachungsmaßnahmen durch den Landesverfassungsschutz ausgesetzt gewesen. Das Verwaltungsgericht Potsdam hatte zwischenzeitlich die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen festgestellt. Gleichwohl gehe die Landesregierung nach wie vor davon aus, dass der zugrunde liegende Verdacht eine Rechtfertigung begründe. Dementsprechend sehe sie keine Veranlassung, den Betroffenen zu entschädigen.
StA München II – Christina Haderthauer: Nach Bericht der SZ (Dietrich Mittler) hat die Staatsanwaltschaft München II ihre gegen die frühere bayerische Staatskanzleichefin Christine Haderthauer (CSU) gerichteten Ermittlungen wegen des Verdachts des Betruges und der Steuerhinterziehung im Zusammenhang der sogenannten Modellbau-Affäre eingestellt. Der Anwalt der Politikerin habe verlauten lassen, dass ein von der Anklagebehörde angekündigter Strafbefehl wegen "eines möglichen Verstoßes" gegen die Abgabenordnung akzeptiert würde, solange dieser "angemessen" sei.
Der Strafbefehl verdeutliche, dass die Politikerin in ihren Erklärungen gegenüber dem Landtag des Freistaats "wohl nicht die volle Wahrheit gesagt" habe, kommentiert Dietrich Mittler (SZ). Während der gesamten Affäre und durch ihr "ungeschicktes Krisenmanagement" habe ihre politische Glaubwürdigkeit gelitten. Insgesamt beweise ihr Verhalten fehlende Demut.
Steuerfahndung NRW – Datenkauf: Zu dem nun bekannt gewordenen neuerlichen Datenkauf nordrhein-westfälischer Steuerfahnder prognostiziert Sönke Iwersen (Handelsblatt) eine "Allianz aus Bankmanagern, Moralaposteln und Rechtsprofessoren", die demnächst den "Untergang des Rechtsstaates" beschwören würden. Dabei dürfe der Staat "natürlich" Informationen über illegale Steuergeschäfte auch mit Geld entlohnen. Diese Praxis stünde zwar "in keinem Lehrbuch der Rechtswissenschaft", ebenso wenig aber entsprächen die durch die Datenerlangung aufgedeckten Praktiken "hochbezahlter Steuerexperten" den Grundsätzen der Finanzwissenschaft. Dass der um Steuereinnahmen in Milliardenhöhe geprellte Staat dann auf diese Weise reagiere, belege die "Wehrhaftigkeit" des Rechtsstaates.
Recht in der Welt
Frankreich – Flüchtlinge: Vor dem Verwaltungsgericht Lille muss sich Frankreich wegen der Unterbringung mehrerer tausend Flüchtlinge bei Calais verantworten. Als Kläger treten mehrere Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen auf, schreibt die SZ (Christian Wernicke). Sie beklagten "dauerhafte Verletzungen fundamentaler Freiheiten" und unterlassene Hilfeleistung wegen der gesundheitsgefährdenden Zustände in einem "Neuer Dschungel" genannten Zeltlager in der Nähe des Eurotunnels.
USA – VW: zeit.de (Thorsten Schröder) berichtet über Vorbereitungen des in den USA anstehenden Verfahrens zu Schadensersatzforderungen gegen VW wegen der Abgas-Affäre. Wegen der großen Anzahl bereits eingereichter Klagen werde allgemein deren Zusammenfassung in einem "Mammutprozess" erwartet. Für diesen brächten sich renommierte Kanzleien, die sich nicht nur Gewinn, sondern auch Renommee versprächen, in Stellung. Wegen des großen Umfangs seien aber tatsächlich nur eine begrenzte Anzahl von Kanzleien in der Lage zur tatsächlichen Prozessführung.
Sonstiges
NSU-U-Ausschuss: In einem offenen Brief fordern zahlreiche Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München vom demnächst beginnenden zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages eine umfassende Aufklärung zu bislang zurückgehaltenen Informationen über Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Angesichts etlicher Verknüpfungspunkte zwischen Zuträgern des Verfassungsschutzes und dem NSU-Trio sei es "nahezu unvorstellbar, dass es keine Informationen gab", zitiert die SZ (Tanjev Schultz) aus der Erklärung. Die taz (Konrad Litschko) berichtet ebenfalls.
Wohnraum für Flüchtlinge: Im Interview mit lto.de (Anne-Christine Herr) erläutern die Anwälte Markus Vogt und Sebastian Schmitz, unter welchen Voraussetzungen Kommunen Mietern in öffentlich gehaltenen Immobilien kündigen dürfen, um Flüchtlinge unterzubringen.
Fritz Bauer: Micha Brumlik (taz) räsoniert in einem Kommentar über die Beweggründe des früheren hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, der nach in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Forschungsergebnissen "aus heutiger Sicht unverständliche" Verfahrenseinstellungen gegen mutmaßliche NS-Täter verantwortete. Gerade die zeitliche Überschneidung einer beispielhaft genannten Einstellung zu dem maßgeblich von Bauer in Gang gesetzten Auschwitz-Prozess belege, dass es ihm "tatsächlich nicht auf Sühne individueller Verbrechen ankam, sondern auf einen strikt rechtsstaatlichen Schauprozess, der die (west-)deutsche Gesellschaft aufklären sollte".
VW-Abgas-Affäre: lawblog.de (Udo Vetter) berichtet über eine Mitteilung des VW-Konzerns gegenüber einer Bremer Kanzlei, nach der das Unternehmen erklärt, sich gegenüber Sachmängelansprüchen infolge der Abgas-Affäre bis zum Ablauf des Jahres 2016 nicht auf Verjährung zu berufen, soweit die Ansprüche bislang noch nicht verjährt sind. Ob die Zusage nur für Mandanten der betroffenen Kanzlei oder alle VW-Kunden gelte, sei allerdings unklar.
Der Konzern sei nicht verpflichtet, betroffenen Kunden Folgekosten etwa für Ersatzfahrzeuge während einer Reparatur zu ersetzen. Zu diesem Ergebnis gelangt ein von der Verbraucherzentrale Bundesverband beauftragtes Gutachten, über das spiegel.de berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Beweissicherung: Ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. So oder ähnlich dürften die Amsterdamer Verkehrsbetriebe gedacht haben, als sie ihre Mitarbeiter mit sogenannten Spuck-Kits ausstatteten. Wie spiegel.de (Benjamin Dürr) schreibt, ist die Maßnahme Folge sich mehrender Übergriffe auf Busfahrer. Diese würden dabei regelmäßig auch angespuckt. Vor der Entfernung des Speichels soll dieser nun mit dem Kit gesichert und der zu fertigenden Anzeige beigefügt werden.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. November 2015: OLG zu No Spy-Erlass / Strafbefehl für Haderthauer / VW vor Mammutprozess . In: Legal Tribune Online, 03.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17413/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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