Der Generalanwalt am EuGH plädiert für die Gewährung von Hartz IV an arbeitssuchende EU-Ausländer, die bereits in Deutschland gearbeitet haben. Außerdem in der Presseschau: BVerwG stärkt Auskunftsrecht der Presse, zwei Anträge auf Immunitätsaufhebung des NPD-Europaparlamentariers Udo Voigt, "unkonventionelle Erbschaftsteuer-Modelle" und eine ganze Nachbarschaft bekifft wegen eines Fauxpas der Polizei.
Thema des Tages
EuGH-Generalanwalt zu Hartz IV für EU-Ausländer: Einem arbeitssuchenden EU-Ausländer darf nicht automatisch und ohne Einzelfallprüfung Hartz IV verweigert werden, wenn er bereits in Deutschland gearbeitet hat. Dies verstieße gegen den Gleichheitsgrundsatz, plädierte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Melchior Wathelet am gestrigen Donnerstag. Für EU-Ausländer, die gar keine Arbeit suchen oder nur zur Arbeitssuche eingereist sind, gelte dies allerdings nicht, so Wathelet. Im vorliegenden Fall waren eine Frau aus Bosnien mit schwedischer Staatsbürgerschaft sowie ihre Tochter bereits in mehreren Kurzzeitstellen tätig, bevor sie Hartz IV bezogen. Die Sozialleistungen wurden ihnen jedoch gestrichen, die Behörde berief sich auf § 7 des zweiten Sozialgesetzbuchs, welcher Geldleistungen versagt, wenn Ausländer nur zur Arbeitssuche in Deutschland seien. Das Bundessozialgericht hatte den Fall zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die FAZ (Joachim Jahn) erläutert die Argumentation Wathelets und verweist auch auf zahlreiche entsprechende Verfahren. Auch die taz (Christian Rath) informiert über die Stellungnahme Wathelets.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Der Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen Wolfgang Schön setzt sich für die FAZ kritisch und ausführlich mit der Erbschaftsteuer auseinander. Er erläutert, weshalb die derzeitige Regelung Steuergerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit nicht gerecht werde und damit nicht ihren "Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit" leiste. Die "Liquiditätsschonung" forme sich "zur allgemeinen Subvention für gewerbliche Vermögensbildung", dabei würde bereits die Stundung der Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen die Betriebserben vor einer Finanzierungsnot bewahren. Um Steuergerechtigkeit letztlich zu gewährleisten, bräuchte es eine "große Reform", meint Schön, und plädiert für die Einführung eines allgemeinen Niedrigsteuersatzes "für Erbschaften aller Art".
Auch das Handelsblatt (Axel Schrinner) befasst sich im Leitartikel mit der Erbschaftsteuer und moniert die Ungerechtigkeit der derzeitigen Regelung. Um dieser zu begegnen werden verschiedene "unkonventionelle Erbschaftsteuer-Modelle" vorgestellt: Der Staat könnte als "stiller Teilhaber" ins Unternehmen eintreten und Anteile in Höhe der Erbschaftsteuerschuld bekommen – mit dem Recht der Teilhaber den Staat jeder Zeit herauszukaufen. Auch die Stundung der Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen wird angeführt.
Konvention gegen Organhandel:Die von 47 Staaten des Europarats vereinbarte Konvention zur Bekämpfung des illegalen Organhandels kann in Kürze in Kraft treten, meldet die SZ. Bereits 14 Staatsvertreter hätten ihre Unterschrift geleistet – die Konvention benötige zum Inkrafttreten fünf Ratifizierungen. Sie diene der Harmonisierung der strafrechtlichen Bestimmungen und der Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit gegen den Organhandel.
Justiz
BVerwG zu Auskunftsrecht der Presse: Am vergangenen Mittwoch hat das Bundesverwaltungsgericht das Auskunftsrecht der Presse gegen Behörden gestärkt. Pressevertreter können demnach von der staatlichen Liegenschaftsverwaltung auch Informationen einfordern, wenn der betreffende Sachverhalt Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unterliegt. Voraussetzung sei ein überwiegendes Informationsinteresse, so der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof). Im vorliegenden Fall wollte die Bildzeitung eine Auskunft der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu der Vermietung des Tempelhofer Flughafengebäudes an die Modemesse "Bread & Butter".
BVerfG – NPD-Verbot: Das Bundesverfassungsgericht forderte kürzlich im NPD-Verbotsverfahren, dass der Bundesrat den Nachweis erbringt, dass tatsächlich alle V-Leute in den Führungsgremien der NPD abgeschaltet wurden und somit eine Ausforschung auszuschließen ist. Die SZ (Wolfgang Janisch/Tanjev Schultz) erläutert, wieso das Verfahren "auf der Kippe" stehen könnte, denn auch nach Abschaltung der V-Leute und insbesondere bei der "Nachsorge" bestehe die Gefahr, dass Informationen fließen – wie beispielsweise im Fall des V-Mann "Ares". Probleme ergäben sich, wenn die Quellen Informationen über die Prozessstrategie der NPD an die Ämter lieferten, damit wäre die Fairness im Verbotsverfahren gefährdet. Die FAZ (Joachim Jahn) meldet, dass auf dem jährlichen Presseempfang des Bundesverfassungsgerichts mitgeteilt wurde, es sei geplant bis Ende April 2016 im NPD-Verbotsverfahren zu einem "endgültigen Ergebnis" zu kommen. Eine mündliche Verhandlung solle es noch in diesem Jahr geben. Auch die taz teilt die geplanten Termine mit.
Christian Rath (taz) hält es für realistisch, dass das NPD-Verbotsverfahren bis im April nächsten Jahres abgeschlossen wird. Er prophezeit ferner, dass die Karlsruher Richter dem Antrag wohl eine "ausreichende Aussicht auf Erfolg" zusagen und eine mündliche Verhandlung durchführen. Dann hinge die Begründetheit davon ab, ob sie eine "konkrete Gefahr für die Demokratie" fordern oder nicht. Rath meint, ein Blick ins Parteiprogramm der NPD genüge, um ihre Demokratiefeindlichkeit festzustellen, konkret gefährlich sei sie allerdings nicht, weil politisch "unbedeutend".
EuGH – Kohlekraftwerk Moorburg: Die EU-Kommission teilte am gestrigen Donnerstag mit, dass sie eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des Kohlekraftwerks Moorburg eingelegt hat. Der Vorwurf sei, dass bei der Planung des Kohlekraftwerks in Hamburg der Umweltschutz nicht ausreichend beachtet wurde. Die Wasserentnahme aus der Elbe zur Kühlung des Kraftwerks gefährde geschützte Fischarten. Die taz (Sven-Michael Veit).
OLG München – NSU: Die Verteidigung von Beate Zschäpe wirft Polizei und Verfassungsschutz vor, in ungesetzlicher Weise kooperiert zu haben, was zu einem Beweisverwertungsverbot für einige Beweise führen sollte. Die Vorwürfe beträfen die Durchsuchung von einer Garage, die Zschäpe angemietet hatte, und von Kellerräumen. Dies meldet die taz. welt.de stellt zudem die Aussagen von zwei Sparkassenangestellten dar, die sich am gestrigen Donnerstag zu dem NSU zur Last gelegten Banküberfallen äußerten.
StA Düsseldorf – Germanwings-Absturz: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat Ermittlungen hinsichtlich des Absturzes der Germanwings-Maschine am vergangenen Dienstag aufgenommen. Die Rechtsanwälte André-M. Szesny und Urs J. Stelten erklären für lto.de das für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörde geltende Legalitätsprinzip und legen dar, woraus sich der Anfangsverdacht für fahrlässige Tötung im vorliegenden Fall ergebe. Auch gehen sie auf das Territorialprinzip ein und erklären, aufgrund welcher Ausnahmen die StA Düsseldorf ermitteln darf.
StA Saarbrücken – Udo Voigt: fr-online und spiegel.de melden, dass derzeit zwei Anträge auf Aufhebung der Immunität des Mitglieds des Europäischen Parlaments Udo Voigt (NPD) vorliegen. Einer erging wegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, diese werfe ihm die Leugnung des Holocausts bei einem Neujahrsempfang der NPD vor. Hintergrund des zweiten Antrags sei die Revision Voigts gegen eine Entscheidung des Landgerichts Berlin. Dieses hatte ihn im vergangenen Jahr zu einer einjährigen Bewährungsstrafe wegen gemeinschaftlicher Beleidigung und Volksverhetzung verurteilt.
AG München – Gurlitt-Erbin: Das Amtsgericht München versagt der Erbin des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt die Ausstellung eines Erbscheins. Es halte das Testament für wirksam, in dem Gurlitt das Kunstmuseum Bern als Erben eingesetzt hat. Die Begründung des Gerichts sowie die Reaktionen von Museum und Cousine beschreibt welt.de.
Haftung von Gerichtsgutachtern: Der Professor für Medizinrecht Reinhard Damm erläutert in einem Leserbrief an die SZ die Rechtsgeschichte zur Haftungsprivilegierung gerichtlicher Sachverständiger bis zu ihrer Normierung in § 839a des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 2002. Sie haften nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Der Bundesgerichtshofs wollte, laut Damm, beispielsweise nach einer Entscheidung von 1973 die Sachverständigen nur für Vorsatz haften lassen – dies sei allerdings vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Er erinnert zudem an den "rechtlich wohl bedeutendsten Fall der Haftung gerichtlicher Sachverständiger" – den "Weigand-Fall" – die Kenntnis dieses Falls sei ausschlaggebend für das Verständnis der Formel "grobe Fahrlässigkeit".
Recht in der Welt
EGMR zu Tschetschenienkrieg: Am gestrigen Donnerstag verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland wegen drei verschwundener Menschen im Tschetschenenkrieg zur Zahlung von Schmerzensgeldern von fast 80.000 Euro an die Angehörigen. Die Ermittlungen der russischen Behörden zur Aufklärung des Verschwindens seien unzureichend gewesen – drei Männer seien von russischen Soldaten während des Krieges in Tschetschenien verschleppt worden. Russland könnte noch Berufung gegen das Urteil einlegen, so die Meldung auf spiegel.de.
Bulgarien – Vorratsdatenspeicherung: Das bulgarische Parlament hat am gestrigen Donnerstag ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Die Laufzeit der Datenspeicherung sei von einem Jahr auf sechs Monate gesenkt worden. Das bulgarische Verfassungsgericht hatte vor zwei Wochen die alte Regelung außer Kraft gesetzt, die das Speichern der Daten für mindestens ein Jahr vorschrieb. Die Regierungspartei Gerb begründete die erneute Einführung der Vorratsdatenspeicherung damit, dass "die Arbeit der Sicherheitsdienste nicht erschwert werden dürfe", so spiegel.de.
Großbritannien – Prince Charles Briefe: Der Oberste Gerichtshof in Großbritannien gestattete am gestrigen Donnerstag der britischen Tageszeitung "Guardian" Einsicht und Veröffentlichung von Briefen Prince Charles an verschiedene britische Ministerien aus den Jahren 2004 und 2005. Der Guardian hatte sich erfolgreich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen, es bestehe ein öffentliches Interesse daran zu wissen, ob der Prinz – entgegen des Neutralitätsgebots – Einfluss auf die Politik genommen hat. spiegel.de und die SZ (Christian Zaschke) schildern den Fall.
verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) erläutert die verfassungsrechtlich relevanten Aspekte des Falls und die Entscheidung des britischen Supreme Court. Dabei ging es insbesondere um die Frage, "ob das Parlament der Regierung erlauben darf, sich über die Justiz einfach hinwegzusetzen".
Sonstiges
Ausreisegewahrsam: In der Schwerpunktwoche "Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung" plädiert der wissenschaftliche Mitarbeiter Carsten Hörich auf juwiss.de, für die "Streichung der Idee des 'Ausreisegewahrsams'" aus dem Aufenthaltsgesetz-Entwurf. Der in § 62b des Aufenthaltsgesetz-Entwurfs geplante Ausreisegewahrsam sei verfassungs- wie unionsrechtswidrig. So verstießen bereits einige Voraussetzungen des Gewahrsams gegen Unionsrecht und rechtsstaatliche Prinzipien.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter Marcus Bergmann kritisiert auf juwiss.de die Neuregelungen der Abschiebungshaft, insbesondere hinsichtlich der Fluchtgefahr, im Aufenthaltsgesetz-Entwurf. Eine Reform des Abschiebungsrechts sei nötig, da der Gesetzgeber drohe "sich zu verzetteln" – beispielsweise gäbe es keine "widerspruchsfreie und für die Rechtspraxis handhabbare Regel" zur richterlichen Anordnung der Abschiebungshaft.
Das Letzte zum Schluss
Drogenrausch durch Polizei: Die Polizei eines Stadtteils im indonesischen West-Jakarta wollte eigentlich die Bevölkerung vor dem Missbrauch von Drogen schützen. Die Beamten hatten 3,3 Tonnen Cannabis beschlagnahmt. Der nächste Schritt war allerdings nicht mehr von Erfolg gekrönt. Die Polizei kam auf die glorreiche Idee, die Drogen zu verbrennen. Die dadurch entstandene Wolke brachte dann das, was die Beamten zu verhindern suchten, einen Drogenrausch für die Anwohner. Immerhin hatten die Beamten daran gedacht sich selbst zu schützen – sie trugen Atemschutzmasken. justillon.de (Stephan Weinberger) berichtet von dem Fauxpas der indonesischen Drogenbekämpfungsbeamten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. März 2015: EuGH-Generalanwalt zu Hartz IV – Auskunftsrecht der Presse gestärkt – Drogenrausch durch Polizei . In: Legal Tribune Online, 27.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15083/ (abgerufen am: 16.05.2024 )
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