Martin Schulz will die "Vereinigten Staaten von Europa" schaffen. Außerdem in der Presseschau: Drei osteuropäische Staaten werden wegen mangelnder Aufnahme von Flüchtlingen verklagt und Oliver Schmidt wurde zu hoher Haftstrafe verurteilt.
Thema des Tages
Schulz – 'Vereinigte Staaten von Europa': Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz will bis 2025 die Europäische Union in die "Vereinigten Staaten von Europa" umwandeln. Wie zeit.de berichtet, hat Schulz seine Vorstellungen eines künftigen Europas mit durch einen gemeinsamen Verfassungsvertrag verbundenen Mitgliedstaaten auf dem Parteitag der SPD in Berlin präsentiert. Die EU-Mitglieder, die einer solchen föderalen Verfassung nicht zustimmen, müssten, so Schulz, automatisch die EU verlassen. Aus den Reihen der CDU kam Kritik an dem Vorschlag. Nötig sei eine sehr viel engere Zusammenarbeit in der Verteidigungs-, Außen-, Forschungs-, Bildungs- und Entwicklungspolitik, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem weiteren Artikel auf zeit.de zitiert. Die Handlungsfähigkeit sollte jetzt im Vordergrund stehen, und nicht eine Zieldefinition, wie immer man das nennt", so Merkel. Alexander Dobrindt (CSU) formulierte es noch schärfer: "Man muss jemanden, der die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 fordert, der damit die Auflösung der Nationalstaaten in den kommenden sieben Jahren will und der alle, die sich diesem Diktat nicht beugen wollen, aus der EU rausschmeißen will, wohl als einen Europa-Radikalen bezeichnen".
Mark Schieritz (zeit.de) sieht das Ende Europas, wenn diese Vorstellungen umgesetzt werden würden. Wer jetzt eine europäische Verfassung fordere, sei entweder naiv oder handele verantwortungslos.
Rechtspolitik
Innenministerkonferenz: Die SZ (Constanze von Bullion) fasst den ersten Tag der Innenministerkonferenz zusammen. Auf der zweitägigen Besprechung stehen u.a. die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität, die Frage, ob Maut-Daten künftig zur Verfolgung von Straftätern genutzt werden, und die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr nur fünf, sondern künftig zehn Jahre nach der Einbürgerung zurückzunehmen, auf der Tagesordnung. Am ersten Tag wurde insbesondere über Abschiebungen straffällig gewordener Syrer diskutiert.
Berliner Neutralitätsgesetz: Die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus fordert die Überarbeitung des umstrittenen Neutralitätsgesetzes, das u.a. Lehrkräften an öffentlichen Schulen verbietet, innerhalb des Dienstes sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole zu tragen. Darüber berichtet der Tsp (Johannes C. Bockenheimer). Die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek habe gefordert, schnell eine "rechtskonforme Formulierung" des Gesetzes anzustreben. Der seit September geltende Leitfaden der Senatsbildungsverwaltung für das Tragen religiöser Symbole in der Schule sei "völlig inakzeptabel".
Justiz
EuGH – Klage gegen Ungarn, Polen und Tschechien: Die EU-Kommission verklagt Polen, Ungarn und Tschechien vor dem Europäischen Gerichtshof. Das berichten u.a. SZ (Thomas Kirchner, lto.de und taz (Eric Bonde). Hintergrund ist die Weigerung der drei Mitgliedstaaten, Flüchtlinge aus Italien und Griechenland nach dem von der EU aufgestellten Verteilungsschlüssel aufzunehmen. Im Juni hatte die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren gegen die drei Länder eröffnet. Ungarn hatte gegen die Umverteilung geklagt, war aber beim EuGH gescheitert.
Reinhard Müller (FAZ) zeigt zwar Verständnis dafür, dass Warschau, Prag und Budapest nicht der deutschen Flüchtlingspolitik folgen wollten. Sie müssten sich aber an die in der EU getroffenen Beschlüsse halten. Die EU gebe es nur ganz – oder gar nicht. Die Klage sei überfällig gewesen, meint Florian Hassel (SZ). Länder, die von der EU profitieren, aber die gemeinsamen Prinzipien aufgeben würden, müssten einen Preis zahlen.
EuGH – Klage gegen Ungarn: Die EU-Kommission verklagt laut faz.net Ungarn wegen dessen neuen NGO-Gesetzes. Nach diesem sind Organisationen, die mehr als 24.000 Euro aus dem Ausland erhalten, verpflichtet, sich registrieren zu lassen und in allen Publikationen anzugeben, dass sie "vom Ausland unterstützte Organisationen" sind. Nach Auffassung der EU-Kommission schränkt das neue Gesetz unverhältnismäßig stark Auslandsspenden für zivilgesellschaftliche Organisationen ein.
EuGH – Klage gegen Deutschland: Deutschland droht ein Zwangsgeld von mehr als 60.000 Euro am Tag, weil es die europäischen Regelungen zur Anerkennung von Berufsabschlüssen nicht rechtzeitig umgesetzt hat, meldet die FAZ.
EuGH zum Abschiebungshindernis bei langem Aufenthalt: Laut einem Bericht der FAZ (Constantin van Lijnden) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Drittstaatenangehörige, die über eine langfristige Aufenthaltserlaubnis verfügen, auch nach der Begehung erheblicher Straftaten nicht abgeschoben werden können. Ein Automatismus, wonach Verurteilungen zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe stets zur Abschiebung führten, sei nicht mit den europäischen Bestimmungen vereinbar, so das Gericht.
BVerfG zur gerichtlichen Aufklärungspflicht bei Auslieferung: Die Rechtsanwälte Frederik von Harbou und Johanna Künne erläutern auf verfassungsblog.de eine neuere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Auslieferungsrecht. In dem Fall ging es um einen tschetschenischen Bürger, gegen den ein Auslieferungsersuchen Russlands vorlag. Die Karlsruher Richter sahen in der Auslieferungsentscheidung des Oberlandesgerichts einen Verstoß gegen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf effektiven Rechtsschutz. Das Instanzgericht hätte vor seiner Entscheidung das Bestehen einer Gefahr politischer Verfolgung umfassend aufklären müssen.
LG Duisburg – Loveparade-Verfahren: lto.de (Pia Lorenz) gibt einen Ausblick auf den heute beginnenden Loveparade-Prozess. Es sei ein Mammutprozess, der alle Beteiligten vor historische Herausforderungen stellen werde. Sie würden bei der Technik des Sitzungssaals beginnen, strafrechtliche Grundsatzfragen in das Licht der Öffentlichkeit stellen und bei der Frage, was das Strafrecht überhaupt leisten kann, enden. Auch die taz (Hanna Voß, Andreas Wyputta) widmet sich dem anstehenden Verfahren.
GStA Naumburg – Oury Jalloh: Wie die taz (Konrad Litschko) und lto.de berichten, hat Anne-Marie Keding (CDU), Justizministerin Sachsen-Anhalts, die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg gebeten, das Verfahren an sich zu ziehen. Zur Begründung heißt es, dass es einen Konflikt in der Einschätzung des Falls zwischen der Staatsanwaltschaft Halle und der zuvor zuständigen Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau gebe. Um diesen Konflikt aufzulösen, werde die Generalstaatsanwaltschaft nun eine "eigenständige" Bewertung durchführen, so die Ministerin. Jollah ist vor 13 Jahren auf einer Dessauer Polizeiwache verbrannt. Mitte November ist ein Dokument aufgetaucht, in dem der "Anfangsverdacht eines Mordes" thematisiert wird.
OLG München zu Falschbehauptungen bei Werbeanrufen: Das Oberlandesgericht München hat laut einer Meldung der SZ dem Telefonanbieter O2 untersagt, bei Werbeanrufen falsche Behauptungen zum Konkurrenten Telekom zu verbreiten. In einem Fall wurde beispielsweise gegenüber einem Telekom-Kunde damit argumentiert, die Telekom werde seinen Anschluss nicht mehr bedienen.
SG Freiburg zur Befreiung von der Versicherungspflicht: Das Sozialgericht Freiburg hat sich mit der Regelung für die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für Syndikusrechtsanwälte befasst. Rechtsanwalt Martin W. Huff erläutert auf lto.de die Problematik und die Freiburger Entscheidung.
LG Dessau-Roßlau zum versuchten Mord an Informatiker: Das Landgericht Dessau-Roßlau hat vier Angeklagte zu Freiheitsstrafen zwischen acht und zehn Jahren und in einem Fall zu einer Jugendhaftstrafe wegen der Tötung eines Informatikers verurteilt. Wie spiegel.de berichtet, sah es das Gericht als erwiesen an, dass die aus Litauen stammenden Männer den 39-Jährigen im Januar 2012 auf einem Parkplatz an der A9 in Sachsen-Anhalt überfallen, verschleppt und getötet haben, um an dessen Geldkarten und Geheimnummern zu kommen. Die Angeklagten wurden erstmals bereits 2014 verurteilt, der Bundesgerichtshof hob die damalige Verurteilung wegen u.a. erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge aber auf und verwies das Verfahren zurück an das Landgericht. Die Karlsruher Richter rügten, dass die tatsächlichen Feststellungen im Verfahren nicht belegen würden, dass die todesursächlichen Gewalthandlungen vom Tatvorsatz der Angeklagten umfasst gewesen seien.
StA Düsseldorf – Anklage wegen Anschlag vor 17 Jahren: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat im Fall des Bombenanschlags am S-Bahnhof Wehrhahn gegen einen 51-jährigen Mann Anklage erhoben. Wie spiegel.de berichtet, soll es sich um einen Rechtsradikalen handeln. Ihm wird zwölffacher versuchter Mord vorgeworfen.
Recht in der Welt
USA – VW-Verfahren: Ein US-Gericht hat den früheren VW-Manager Oliver Schmidt zu sieben Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 400.000 Dollar verurteilt. Hbl (Martin Murphy, Katharina Kort u.a.), spiegel.de (Kristina Gnirke), FAZ (Carsten Germis, Marcus Jung) und SZ (Max Hägler, Claus Hulverscheidt) widmen sich dem Urteil ausführlich. Die taz (Christian Rath) fragt, weshalb die juristische Aufarbeitung in den USA deutlich schneller gehe als in Deutschland und gibt eine Zusammenfassung des aktuellen Standes.
Marcus Jung (FAZ) hofft, dass deutsche Staatsanwälte in dem Urteil den Ansporn sehen, auch hierzulande in den Ermittlungen gegen beschuldigte VW-Mitarbeiter zu einem Ende zu kommen. Claus Hulverscheidt (SZ) findet das Strafmaß von sieben Jahren Haft allerdings völlig unverhältnismäßig. Es speise sich aus dem Frust des Richters Sean Cox darüber, dass der Polizei bisher nur kleine Fische ins Netz gegangen sind. Um dennoch ein Exempel statuieren zu können, habe er Oliver S. und dessen Ex-Kollegen James L. zu "Schlüsselfiguren" des VW-Skandals erklärt.
EuGH – Italien/Taricco II: Die Rechtswissenschaftlerin Dana Burchardt setzt sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) kritisch mit der kürzlich ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Taricco II auseinander. Es geht dabei um die Verjährungsregeln für bestimmte Straftaten nach italienischem Recht. Solche Regelungen könnten zur "nationalen Verfassungsidentität" gehören, so dass sie nicht zuungunsten des Beschuldigten verändert werden könnten.
EuG – Markenschutz für Coca Cola: Die amerikanische Coca-Cola Company hat sich erfolgreich gegen die Eintragung der Unionsmarke "Master Cola" für einen syrischen Getränkehersteller gewandt. Das berichtet lto.de. Während das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum noch den Einspruch gegen die Markeneintragung zurückgewiesen hatte, gab das Gericht der Europäischen Union jetzt Coca Cola recht: Das syrische Unternehmen habe die Wertschätzung der Marke Coca Cola in westlichen Verkehrskreisen durch die nachempfundenen Zeichen ausnutzen wollen, so die Richter.
Juristische Ausbildung
Frauenbild in Examensfällen: Auf lto.de stellt Manuel Leidinger einen neuen tumblr-Blog vor, der Beispiele für Diskriminierung in der juristischen Ausbildung sichtbar machen und Studierende sowie Lehrpersonal in der Rechtsdidaktik sensibilisieren soll. Eine der drei Gründerinnen, Dana-Sophia Valentiner, hatte kürzlich eine Studie über Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen veröffentlicht. Darin kommt sie zu dem Ergebnis, dass Frauen in den Prüfungs- oder Übungsfällen "meist als Anhängsel eines Mannes, das sich für Schuhe und Handtaschen interessiert", vorkommen. Sie würden in den untersuchten Fällen auch deutlich seltener berufstätig dargestellt als Männer.
Sonstiges
Kontrolle des BND: Wie die SZ (Hans Leyendecker, Reiko Pinkert) erfahren hat, gestaltet sich die Arbeit des im Frühjahr geschaffenen Unabhängigen Kontrollgremiums für den Bundesnachrichtendienstes als schwierig. Das Gremium, das aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt besteht, kritisiert in seinem ersten geheimen Bericht, dass es nur unzureichenden Zugang zu wichtigen Informationen erhalte. Der BND soll die Einsicht in wichtige Vorgänge nicht erlaubt haben und Kontrollbesuche beim BND in Pullach und Rheinhausen sollen für die Mitglieder des Gremiums zum Teil frustrierend verlaufen sein, heißt es in dem Bericht.
EGVP-Client läuft länger: lto.de meldet, dass der EGVP-Client entgegen der bisherigen Planung, noch bis zum 14. Februar 2017 weiterlaufen wird. Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach EGVP wird bisher insbesondere für Mahnbescheide benutzt und für Rechtsanwälte künftig durch das besondere elektronische Anwaltspostfach abgelöst. Derzeit laufen die beiden Systeme parallel.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2017: "Vereinigte Staaten von Europa" / Klage wegen Nichtaufnahme von Flüchtlingen / VW-Manager verurteilt . In: Legal Tribune Online, 08.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25915/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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