Bundesinnenminister de Maizière hat die Plattform "linksunten.intermedia" verboten. Außerdem in der Presseschau: CDU-/CSU-Minister fordern den Einsatz von Video-Gesichtserkennung zur Fahndung und VW-Manager in den USA zu Haftstrafe verurteilt.
Thema des Tages
Verbot "linksunten.indymedia": Innenminister Thomas de Maizière hat das Internetportal "linksunten.intermedia" verboten. Es sei eine Internetseite für gewaltbereite Linksextremisten, die seit Jahren benutzt worden sei, um Hass gegen Andersdenkende und Repräsentanten des Landes zu säen, hieß es zur Begründung. Die Samstags-FAZ (Mona Jaeger/Markus Wehner), Samstags-SZ (Stefan Braun), Samstags-Welt (Florian Flade/Tobias Heimbach u.a.), Samstags-taz (Plutonia Plarre/Tobias Schulze) und lto.de (Maximilian Amos) berichten. (Die Montags-taz (Christian Rath, ausführlichere Fassung hier) fasst die vereinsrechtlichen Grundlagen für das Verbot zusammen. So werfe das Innenministerium den Betreibern nicht vor, selbst gegen Strafgesetze verstoßen zu haben, sie hätten jedoch die Straftaten anderer "ermöglicht und erleichtert". Es gehe dabei insbesondere um öffentliche Aufforderungen, Androhungen und Billigung von Straftaten, Anleitungen dazu sowie um Beleidigung und üble Nachrede. Im Interview mit der Samstags-taz (Plutonia Plarre) meint der frühere Piraten- und jetzige SPD-Politiker Christopher Lauer, dass das Verbot zwar richtig sei, aber falsch begründet wurde und nicht umsetzbar sei. Die Seite werde schnell wieder woanders auftauchen und der Effekt werde gleich null sein.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) begrüßt das Verbot. Das mache Eindruck auch auf die Betreiber ähnlicher Plattformen, die unverhüllt zur Gewalt gegen Polizisten aufrufen und detaillierte Anleitungen zum Kampf gegen die Staatsgewalt lieferten. Diesem Treiben weiterhin tatenlos zuzusehen, wäre einer offenen Duldung rechtsstaatszersetzender Angriffe gleichgekommen. Michael Hanfeld (Samstags-FAZ) fragt im Feuilleton, warum die Behörden erst jetzt tätig wurden. Das lasse sich nur dadurch erklären, dass die Sicherheitsbehörden hier ein Fenster offenhielten, um die (sich radikalisierende) Szene zu beobachten. Joachim Käppner (Samstags-SZ) erinnert an das Übermaßverbot. Es sei ein Unterschied, ob eine Plattform von vorneherein als Forum zur Begehung oder Planung von Straftaten da sei wie im Falle rechtsextremistischer oder islamistischer Seiten, die aus dem Verkehr gezogen wurden; oder ob sich auf einer Seite, deren Inhalte meist noch von der Meinungsfreiheit getragen werden, einzelne strafbare Äußerungen finden. Mit der scharfen Waffe des Verbots sollten die Behörden sehr zurückhaltend umgehen, so Käppner. Auch Markus Reuter (netzpolitik.org) kritisiert, dass nicht zunächst die Löschung einzelner strafrechtlich relevanter Artikel versucht, sondern gleich die ganze Plattform verboten wurde.
Rechtspolitik
Asylrecht: Die Samstags-taz (Christian Jacob) gibt einen Überblick über die Änderungen im Asylrecht seit 2015. Seitdem sei ein "Mehr-Klassen-Asylrecht" entstanden, so der Autor.
Entgelttransparenzgesetz: Laut Samstags-FAZ (Sven Astheimer) halten viele Manager und Personalverantwortliche das neue Entgelttransparenzgesetz für überflüssig. Drei Viertel der Befragte sahen in ihren Unternehmen keine Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen. Daneben wurde der hohe Aufwand bei der betrieblichen Umsetzung betont.
Videoüberwachung/Gesichtserkennung: Der Spiegel (Melanie Amann/ Wolf Wiedmann-Schmidt) kündigen für diese Woche eine Erklärung aller CDU/CSU-Innen- und Justizminister an, in der die "modernste Technik" für die Sicherheitsbehörden, darunter "intelligente Videotechnik zur Fahndung mit Gesichtserkennung" gefordert wird. Sicherheitsinteressen und Datenschutz müssten "in einen angemessenen Ausgleich" gebracht werden, heißt es laut Spiegel im Entwurf der Erklärung.
Frank Pergande (FAS) spricht sich dafür aus, den Test am Bahnhof Südkreuz in Berlin zunächst einmal zu Ende zu bringen. Dann müsse der Gesetzgeber tätig werden und zwischen Bürgerrechten und Bedrohung abwägen.
Reform im Strafvollzug: Für eine Reform des Strafvollzugs spricht sich in der Montags-SZ der Bernd Maelicke, Jurist und Sozialwissenschaftler, aus. Der Bundestag sollte dazu nach der Wahl eine unabhängige Enquetekommission einsetzen, die die gesamte Sicherheits- und Resozialisierungsarchitektur kritisch überprüft. Ersatzfreiheitsstrafen müssten nach dem Vorbild der skandinavischen Länder abgeschafft und kurze Freiheitsstrafen weiter reduziert werden.
Verwertungsrecht: Im Feuilleton der Montags-FAZ erläutert Florian Kölsch die Konsequenzen, die sich aus einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom vergangenen Jahr und einer Änderung des Verwertungsgesellschaftengesetzes ergeben. Verlage werden seitdem nicht mehr pauschal an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften beteiligt. Die sich daraus ergebende Rückzahlungspflicht für vergangene Jahre bedeute insbesondere für kleinere Verlage eine erhebliche Belastung.
Justiz
VG Düsseldorf zu Tätowierung bei Polizeibewerber: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat einem jungen Mann recht gegeben, der sich gegen seinen Ausschluss vom Auswahlverfahren für den Polizeidienst gewandt hatte. Das Landratsamt hatte ihn abgewiesen, weil er eine großflächige Tätowierung trug. Eine solche sei nach einem Erlass des Landesinnenministeriums ein "absoluter Eignungsmangel". Die Verwaltungsrichter verpflichteten das Land-Nordrhein-Westfalen nun in einem Eilverfahren, den Bewerber zum Auswahlverfahren zuzulassen. Es reiche für einen Eignungsmangel nicht aus, dass Teile der Bevölkerung großflächige Tätowierungen unpassend oder unästhetisch fänden, wird von lto.de und Samstags-FAZ (Reiner Burger) die Begründung zitiert.
OLG München – NSU-Prozess: Der Spiegel (Julia Jüttner) porträtiert den Vorsitzenden Richter im NSU-Prozess Manfred Götzl und blickt dabei auch auf die bisherige Prozessführung zurück.
OLG München – Waffe für Amokläufer: Am heutigen Montag beginnt der Prozess gegen Philipp K., der über das Darknet dem späteren Münchener Amokläufer David Sonboly die Waffe verkauft haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fahrlässige Tötung in neun Fällen und unerlaubten Waffenhandel vor. Die Samstags-taz (Konrad Litschko) gibt einen Ausblick auf das Verfahren, in dem es auch darum gehen wird, ob rassistische Motive eine Rolle gespielt haben. Zeit.de (Tom Sundermann) fasst die bisherigen Kenntnisse über David Sonboly und über Philipp K. zusammen.
LG Heidelberg zum Amokfahrer: Im Verfahren gegen einen Amokfahrer hat das Landgericht Heidelberg die Schuldunfähigkeit des Täters festgestellt und die Einweisung in Psychiatrie angeordnet. Spiegel.de berichtet über die Entscheidung. Der 35-Jährige hatte vor einem halben Jahr ein Kraftfahrzeug in eine Menschengruppe gesteuert. Ein 73 Jahre alter Mann starb, zwei weitere Personen wurden verletzt.
LG Nürnberg-Fürth – Mordprozess gegen "Reichsbürger": Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth muss sich ab morgen der der "Reichsbürger"-Szene angehörende Wolfgang P. wegen Mordes und versuchten Mordes verantworten. Die Montags-FAZ (Albert Schäffer) erläutert das Verfahren. Ursprünglich wurde von der Staatsanwaltschaft auch Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gegen einen Beamten, der vom Waffenbesitz des P. gewusst haben soll, erhoben. Das Landgericht hat jedoch hier die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde eingelegt.
BGH zum Syndikusrechtsanwalt: Der BGH hat sich erstmals mit dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht der Syndikusrechtsanwälte befasst. lto.de (Pia Lorenz) fasst Sachverhalt und Gründe der Entscheidung zusammen. Die Karlsruher Richter mussten die Frage klären, ob der Schadensachbearbeiter einer Versicherung zur Anwaltschaft zugelassen werden kann, wenn er lediglich an allgemeine rechtliche Vorgaben gebunden ist. Im Fall ging es um sogenannte Verrechnungsgrundsätze und Auslegungsbeschlüsse, die von dem Allgemeinen Kommunalen Haftpflichtschaden-Ausgleich (AKHA), einem sogenannten Rückdeckungspool, angewendet werden. Der BGH stellte jetzt klar, dass es sich bei den Verrechnungsgrundsätzen gerade nicht um interne Regelungen handele, die weisungsähnlich die Tätigkeit des Schadensachbearbeiters beim AKHA beschränken würden. Vielmehr seien es allgemein geltende Regeln, die auch ein externer, vom AKHA eingeschalteter Anwalt zu beachten und seiner – freien und ungebundenen – Analyse der Rechtsgrundlage zugrunde zu legen hätte.
Amtsgericht Hamburg – G-20-Unruhen: In der kommenden Woche beginnen die ersten Strafverfahren wegen der Ausschreitungen während des G-20-Gipfels. Wie die Samstags-FAZ (Matthias Wyssuwa) berichtet, geht es um einen Niederländer, der sich wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und schweren Landfriedensbruchs verantworten muss, sowie um einen polnischen Staatsbürger, dem Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff und Versammlungsrecht vorgeworfen werden.
VG Jena – AfD gegen Jenas Oberbürgermeister: lto.de meldet, dass die AfD Thüringen beim Verwaltungsgericht Gera zwei Eilanträge eingereicht hat, die darauf gerichtet sind, dem Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) bestimmte Äußerungen zu untersagen. Konkret geht es demnach um die Aussage: "In diesem Jahr besteht die Sorge, dass demokratie- und menschenfeindliches, antifeministisches, sozialchauvinistisches und völkisch-nationales Gedankengut in den Bundestag einziehen wird". Der thüringische Landesverband der AfD wirft ihm Verstöße gegen seine Neutralitätspflicht als Amtsträger vor.
BFH zu Scheidungskosten: Die Montags-Welt (Berrit Gräber) beleuchtet jetzt auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofes, nach der die Prozesskosten für ein Ehescheidungsverfahren nicht mehr als außergewöhnliche Belastung steuerlich berücksichtigt werden.
Recht in der Welt
USA – Dieselskandal: In den USA ist ein amerikanischer Volkswagen-Ingenieur zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten sowie zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 200.000 Dollar verurteilt worden. Der langjährige Volkswagen-Manager habe sich mit den Ermittlungsbehörden auf einen Vergleich geeinigt, heißt es in den entsprechenden Berichten der Samstags-FAZ (Christian Müßgens/Winand von Petersdorff), der Samstags-SZ (Claus Hulverscheidt) und der Samstags-Welt (Philipp Vetter). Gegen insgesamt acht frühere oder aktuelle Mitarbeiter haben die amerikanischen Behörden Anklage erhoben, darunter der in Untersuchungshaft sitzende Deutsche Oliver Schmidt.
Corinna Budras (FAS) meint, dass die Entscheidung ein unmissverständliches Signal aussende und eine abschreckende Wirkung entfalten soll. Auch wenn man das Ziel der Abschreckung nicht teile, zeige die Entscheidung jedoch, dass das amerikanische Rechtssystem hier der deutschen Justiz um Längen voraus sei. Auch Max Hägler (Montags-SZ) ist der Auffassung, dass es erfreulich wäre, wenn nun auch bald in Deutschland vor Gericht die Frage geklärt würde, wer diesen Betrug wirklich angezettelt hat – auch weil dann ein Schlusspunkt absehbar wäre.
USA – Begnadigung Joe Arpaio: Auf heftige Kritik ist die Begnadigung von Joe Arpaio durch US-Präsident Trump gestoßen. Unter anderem spiegel.de (Marc Pitzke), die Montags-taz (Dorothea Hahn) und die Montags-FAZ (Andreas Ross) berichten. Arpaio lässt sich selbst "Amerikas härtester Sheriff" nennen, die US-Bürgerrechtsorganisation wirft ihm Verletzung der Menschenwürde vor. Arpio soll selektive Ausweiskontrollen nach Hautfarbe durchgeführt, Häftlinge – insbesondere Latinos – beleidigt, erniedrigt und misshandelt und sich mit Drohungen und Festnahmen an Journalisten und Richtern, die ihn kritisierten, gerächt haben. Weil er seine Racial-Profiling-Methoden nicht änderte, wurde er im Juli 2016 wegen Missachtung des Gerichts schuldig gesprochen.
Dorothea Hahn (Montags-taz) meint, dass Trump mit dieser Begnadigung den reaktionärsten Elementen unter seinen Wählern signalisiere, dass sie jetzt freie Hand hätten. Und alle Gerichte wüssten jetzt, dass Trump bereit ist, ihre Unabhängigkeit mit Füßen zu treten.
Polen/EU – Justizreform: Der Spiegel (Peter Müller/Christoph Schult) meldet, dass der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, angedroht habe, Polen die Stimmrechte im Europäischen Rat zu entziehen, wenn das Land nicht die umstrittenen Gesetze zur Justizreform ändere. Zur Einleitung eines entsprechenden Verfahrens ist laut Spiegel eine Mehrheit von vier Fünfteln der Mitglieder, für den tatsächlichen Stimmentzug die Einstimmigkeit erforderlich. Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Steinmeier haben sich skeptisch gegenüber dem Vorstoß geäußert.
USA – Todesstrafe: In Florida wurde erstmals ein Todeskandidat unter Verwendung eines bisher nicht getesteten Narkosemittels hingerichtet. Wie spiegel.de berichtet, hatte sich der Verurteilte zuvor vergeblich gerichtlich gegen die Verwendung des Mittels gewandt. Laut dem Bericht hat der Hersteller die Verwendung seines Medikaments kritisiert. Ziel der Firma sei es, "Leben zu retten und zu verbessern", wird ein Firmenvertreter zitiert.
Südkorea – Gefängnis für Samsung-Erbe: Der Erbe des südkoreanischen Unternehmens Samsung Lee Jae-yong ist unter anderem wegen Bestechung und Veruntreuung zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Er soll in eine Zahlung von umgerechnet 5,4 Millionen Euro für das Reittraining der Tochter einer Vertrauten von Ex-Präsidentin Park involviert gewesen sein, berichten die Samstags-FAZ (Patrick Welter), die Samstags-SZ (Christoph Neidhard) und die Samstags-taz (Fabian Kretschmer). Das Urteil ist Teil der Aufarbeitung des Korruptionsskandals, der schon zur Amtsenthebung und U-Haft von Ex-Präsidentin Park Geun Hye geführt hat. Laut Samstags-SZ befürchten Wirtschaftskreise die Folgen des Urteils. Samsung generiere ein Viertel von Südkoreas Wirtschaftsleistung und sei, seit Lee im Februar in Untersuchungshaft kam, führungslos.
Sonstiges
"The Once and Future Liberal: After Identity Politics": Auf verfassungsblog.de rezensiert Rechtsprofessor Robert Howse von der New York University (in englischer Sprache) das Buch von Mark Lilla, Professor für Ideengeschichte an der Columbia University, "The Once and Future Liberal: After Identity Politics".
Verfassungsrechtsgeschichte: Der Spiegel (Klaus Wiegrefe) weist auf einen Fund im Bundesarchiv hin, der in einem Fall Zweifel an der politischen Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichtes weckt. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Gebhard Müller soll 1960 den Innenminister von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, und einem Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes getroffen und ihnen u.a. mitgeteilt haben, wie voraussichtlich die Richterkollegen im seinerzeit laufenden Rundfunk-Verfahren urteilen würden. Außerdem soll er Tipps für ein weiteres Vorgehen gegeben haben. Ob Müller öfter mit der Politik kungelte, sei unklar, heißt es im Spiegel.
Jagdhunde und Jagdgesetze: Martin Rath befasst sich auf lto.de mit einer Entscheidung des Reichsgerichtes von vor achtzig Jahren. Es ging um das "tragische Schicksal eines Deutsch-Drahthaars", der durch einen Schuss des Hilfsförsters sein Leben verlor.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. August 2017: Internetplattform verboten / Gesichtserkennung / Verurteilung von VW-Mananager . In: Legal Tribune Online, 28.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24157/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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