Das BVerfG befragt den EuGH zur Rechtmäßigkeit von EZB-Anleihenkäufen. Außerdem in der Presseschau: IP-Adressen sind nicht per se personenbezogene Daten und das US-Justizministerium fordert 1,3 Millionen Nutzerdaten einer Website an.
Thema des Tages
BVerfG zu EZB-Anleihenkäufen: Das Bundesverfassungsgericht bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) und hat deshalb ein entsprechendes Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Es bestünden Zweifel, ob der Beschluss zum Public Sector Purchase Programme (PSPP) mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung vereinbar sei, wird die Entscheidung begründet. Die EZB kauft seit 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere zur Beeinflussung von Inflation und Konjunktur. FAZ (Philip Plickert/Hendrik Wieduwilt), SZ (Markus Zydra), taz (Christian Rath), Welt (Holger Zschäpitz) und zeit de berichten. Den Karlsruher Richtern liegen drei Verfassungsbeschwerden vor, Beschwerdeführer sind u.a. der AfD-Gründer Bernd Lucke und der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler. Unter anderem swr.de (Gigi Deppe) erinnert daran, dass sich das Bundesverfassungsgericht bereits schon einmal mit dem Kauf von Staatsanleihen zu beschäftigen hatte. Damals ging es um das sogenannte OMT-Programm, der EuGH befand dazu, dass die EZB zwar Papiere von kriselnden Staaten aufkaufen dürfe, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen.
Joachim Wieland (lto.de) meint, dass wenig dafür spreche, dass der zweite Versuch den EuGH zu einer durchgreifenden Änderung seiner Rechtsprechung bewegen werde. Zu erwarten seien aus Luxemburg lediglich einige mahnende Worte, die das BVerfG dann in seinem Schlussurteil noch einmal verschärfen werde. Auch Klaus Hempel (ard.de) geht nicht davon aus, dass der EuGH die EZB stoppen wird. Es gehe vielmehr darum, dass der EuGH bestimmte Spielregeln vorgebe, wenn die EZB in einer solchen Dimension Anleihen kauft. Für Christian Rath (taz) dreht es sich tatsächlich um verdeckte Staatsfinanzierung und eine verdeckte Förderung von Banken, die gegen die EU-Verträge verstoßen, die aber auch von allen Regierungen so gewollt seien. Reinhard Müller (FAZ) sieht das Verfahren als notwendige Erinnerung der mächtigen Organe der EU an die Grundlagen und Vereinbarungen – die EZB sei unabhängig, aber nicht vom Recht. Und auch Holger Zschäpitz (Welt) meint, dass jetzt der EuGH der EZB die Grenzen ihrer Handlungsfreiheit aufzeigen müsse. Philip Plickert (FAZ) befürchtet, dass auch diesmal die EZB weitermachen werde wie bisher, sie werde die "juristische Klatsche" einfach ignorieren. Heribert Prantl (SZ) hofft auf ein gutes Zusammenspiel zwischen den Gerichten in Karlsruhe und Luxemburg: Das deutsche Verfassungsgericht sei, was die Rechtskontrolle der EU-Organe und der EZB betrifft, fordernd; der Europäische Gerichtshof zurückhaltend, aber bereit, den Karlsruher Forderungen entgegenzukommen.
Im Interview mit dem Hbl (Robert Landgraf) widmet sich Rechtsanwalt Christoph Schalast der Frage, wie sich das Bundesverfassungsgericht und wie die Bundesregierung verhalten würden, wenn der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Staatsanleihen-Aufkäufe verneinen sollte.
ard.de (Frank Bräutigam/Benedikt Plesker) beantworten häufig gestellte Fragen zum Verfahren. Die FAZ (Reinhard Müller) porträtiert den Berichterstatter in diesem Verfahren, den Bundesverfassungsrichter Peter Huber.
Rechtspolitik
Finanzbeziehungen Bund-Länder: Wie die SZ meldet, hat der Bundespräsident das Gesetzespaket zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen trotz verfassungsrechtlicher Zweifel unterzeichnet. Bundespräsident Steinmeier kritisierte im Zusammenhang mit der Autobahngesellschaft die Möglichkeit der Rückübertragung der Verwaltungsaufgaben vom Bund auf die Länder, heißt es.
Unterhaltsrecht: Die Änderungen im Unterhaltsvorschussrecht sind in Kraft getreten. Darauf weist die FAZ (Dietrich Creutzburg) hin. Künftig erhalten alleinerziehende Mütter oder Väter, deren ehemaliger Partner keinen Unterhalt für das Kind zahlt, mehr Geld vom Staat. Allerdings würden die Jugendämter etwas Zeit brauchen, jeden einzelnen Fall zu bearbeiten, wird Katarina Barley (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zitiert.
Waffenrecht: Die Sächsische Staatsregierung hat die Einrichtung von Waffenverbotszonen ermöglicht und dazu eine neue Verordnung beschlossen. Es gehe um Bereiche, in denen gehäuft Straftaten unter Waffeneinsatz begangen werden, wie Raub, Körperverletzungen, Bedrohungen und Sexualdelikte, heißt es auf zeit.de unter Bezugnahme auf eine Mitteilung der Staatsregierung. Die Polizei habe die Möglichkeit, in solchen Zonen nach Polizeirecht zu kontrollieren und auch Durchsuchungen vorzunehmen. Bei Verstößen drohten Bußgelder bis zu 10.000 Euro.
Kirchenasyl: Die SZ berichtet, dass in einer gemeinsamen Stellungnahme die drei bayerischen Generalstaatsanwaltschaften am Montag erklärt haben, dass sie in Bezug auf das sogenannte Kirchenasyl keine Weisungen der Regierung erhalten haben und dass auch künftig das Legalitätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Richtschnur für die Staatsanwaltschaften seien.
Ehe für alle: Die Rechtswissenschaftlerin Judith Sikora (juwiss.de) befasst sich noch einmal mit dem jüngst beschlossenen Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. Die Autorin hält eine klarstellende Verfassungsänderung für wünschenswert, es sei allerdings fraglich, ob dafür im Bundestag die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande käme. Solange aber Karlsruhe keine gegenteilige Entscheidung getroffen habe, gelte einstweilen die (einfach-) gesetzgeberische Vorstellung, dass gleichgeschlechtliche Eheschließungen bzw. Eheumwandlungen möglich seien.
Justiz
BGH zur Personenbezogenheit von IP-Adressen: Die Rechtsanwälte Ingemar Kartheuser und Friedrich Gilsdorf stellen in der FAZ ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof vor, in dem sich der "Piraten"-Politiker Patrick Breyer gegen die Speicherung seiner IP-Adresse durch Bundesbehörden verwahrt, deren Internetseiten er besucht hatte. Der BGH hat jetzt entschieden, dass diese IP-Adressen nicht grundsätzlich als personenbezogene Daten mit dem entsprechenden Schutz gelten, sondern nur für denjenigen, der über realistische Mittel zur Identifizierung verfügt. Außerdem befasste sich der BGH damit, wie IP-Adressen genutzt werden dürfen.
LG Freiburg – Amtshaftungsklage wegen Dieselmanipulationen: Die Rechtsanwälte Holger Schmitz und Max Helleberg erläutern in der FAZ die jüngst beim Landgericht Freiburg eingereichte Klage gegen das Kraftfahrtbundesamt. Die Erfolgsaussichten schätzen sie als nicht hoch ein, denn es dürfte an der erforderlichen Drittbezogenheit fehlen, also dem Nachweis, dass die betroffene Amtspflicht nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz des Klägers diene.
LG Krefeld zu Dieselmanipulationen: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet jetzt auch über die Entscheidung des Landgerichts Krefeld, in der festgestellt wurde, dass die Volkswagen-Konzernspitze von den falschen Übereinstimmungsbescheinigungen wusste, die von Audi ausgestellt wurden. Dem Fall liegt die Klage eines Kfz-Käufers auf Kaufpreiserstattung und Schadensersatz zugrunde.
Umwelthilfe kündigt weitere Klagen an: Die Deutsche Umwelthilfe hat laut einem Bericht der FAZ (Kerstin Schwenn) angekündigt, die Klageverfahren für Fahrverbote in 16 deutschen Städten voranzutreiben. Die geplanten Software-Aktualisierungen für Dieselautos sowie die Kaufprämien für Neuwagen reichten nach Auffassung des Verbandes nicht aus, um Fahrverbote zu verhindern.
OLG Hamm zur Auskunftspflicht eines Krankenhauses: Das Oberlandesgericht Hamm hat einer Meldung von lto.de das Auskunftsbegehren einer Patientin zurückgewiesen, die vermutete, Geschädigte eines Behandlungsfehlers zu sein, und deshalb die Namen und Anschriften sämtlicher behandelnder Ärzte erfahren wollte. Die Klägerin habe ein berechtigtes Interesse nicht überzeugend darstellen können, entschied das Landgericht Bochum in erster Instanz und jetzt auch das OLG Hamm.
ArbG Berlin zum Anwesenheitsnachweis eines Taxifahrers: lto.de berichtet von einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin, mit der die Verpflichtung eines Taxifahrers, während der Wartezeit alle drei Minuten einen Signalknopf zu drücken, für rechtswidrig erklärt wurde. Der Arbeitgeber wollte auf diese Weise nachgewiesen wissen, dass der Taxifahrer auch tatsächlich im Auto sitzt, während er auf Fahrgäste wartet. Drückte der Fahrer nicht eine entsprechende Taste, wurde seine Standzeit vom Taxameter nicht als Arbeitszeit, sondern als unbezahlte Pausenzeit erfasst. Das Gericht war nun der Ansicht, dass Standzeiten und sonstige Zeiten, in denen ein Fahrer bereit ist, einen Auftrag auszuführen, Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst und deshalb mindestlohnpflichtig sind.
LG Trier zu Untreue und Betrug eines überschuldeten Rechtsanwalts: Das Landgericht Trier hat laut lto.de einen Rechtsanwalt, der sich mit knapp einer halben Million Euro verschuldete und Mandantengelder einbehalten hatte, zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt.
GStA Celle – Anklage wegen Staatsgefährdung: Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat Anklage gegen einen 26-jährigen Deutschen wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat und wegen des unerlaubten Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen erhoben. Ihm wird vorgeworfen, sich alle notwendigen Materialien zur Herstellung eines fernzündbaren Sprengsatzes verschafft zu haben. Die damit geplanten Anschläge sollten dem "Eintritt" zum IS dienen, berichtet die taz (Reimar Paul).
LG Krefeld – Haftbefehl für Arzt der Colonia Dignidad: Wie nun auch die SZ (Peter Burghardt) berichtet, hat das Landgericht Krefeld am Dienstag beschlossen, die Haftstrafe gegen Hartmut Hopp, den früheren Arzt der Colonia Dignidad, zu vollstrecken. Hopp gehörte zu den Vertrauten des Sektengründers Paul Schäfer, 2011 wurde er in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt, flüchtete aber nach Deutschland.
"Hinter Gittern" – Justizvollzug in Deutschland: Die SZ (Alexander Krützfeld) beginnt eine Serie, in der der Gefängnisalltag beschrieben wird. In seinem begleitenden Kommentar beklagt Heribert Prantl (SZ) das Verstummen der Diskussion über die Haftbedingungen in Deutschland. Als Ursache dafür sieht er die Föderalismusreform, mit der vor gut zehn Jahren die Zuständigkeit für den Vollzug auf die Länder übertragen wurde. Seitdem gebe es einen Quantitäts-und Qualitätsverlust in der öffentlichen Diskussion über den Reformbedarf im Strafvollzug
Recht in der Welt
USA – Datenabfrage durch Justizministerium: spiegel.de berichtet, dass das amerikanische Justizministerium die IP-Adressen von mehr als 1,3 Millionen Internetnutzern angefordert haben soll, die eine regierungskritische Webseite angesurft hatten. Das Magazin bezieht sich dabei auf den Blog der Firma Dreamhost, an die der Durchsuchungsbefehl adressiert sein soll. Über die von Dreamhost betreute Seite "disruptj20.org" waren Proteste gegen die Amtseinführung Trumps organisiert worden. Die Justizbehörde soll es dem Bericht zufolge nicht nur auf die Namen der Betreiber der Webseite abgesehen haben, sondern auch auf sämtliche verfügbaren Daten zu den Besuchern.
USA – Klageerfolg für Taylor Swift: Die amerikanische Sängerin Taylor Swift hat in dem Verfahren gegen den Radiomoderator David Mueller, dem sie sexuelle Belästigung vorwirft, obsiegt. Wie u.a. spiegel.de meldet, entschieden am Montag die acht Geschworenen, dass Mueller der Sängerin als Entschädigung für sexuelle Belästigung einen symbolischen Betrag in Höhe von einem Dollar zahlen muss. Swift hatte diese Summe gefordert.
Vereinigtes Königreich – Datenschutzrecht: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) teilt mit, dass Großbritannien trotz des bevorstehenden Austritts aus der Europäischen Union sein Datenschutzrecht nach dem Vorbild der Datenschutzgrundverordnung überarbeiten will. Der britische Digitalminister habe eine entsprechende "Absichtserklärung" veröffentlicht.
Sonstiges
Work-Live-Balance in Anwaltskanzleien: lto.de (Anja Hall) hat die Unternehmensberaterin Carmen Schön zum Kulturwandel in Kanzleien in Fragen der Work-Life-Balance befragt. Heute fänden sich deutlich mehr entsprechende Angebote – wie Teilzeit, verbindliche Arbeitszeiten oder Sabbaticals – als noch vor einigen Jahren. Allerdings fehlte Mitarbeitern häufig der Mut, diese auch anzunehmen, so das Resümee der Beraterin.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. August 2017: Vorlageverfahren wegen EZB-Anleihenkäufen / BGH zu IP-Adressen / USA – Datenabfrage . In: Legal Tribune Online, 16.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23965/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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