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Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Bay­erns Infek­ti­ons­schutz­ge­setz ver­fas­sungs­widrig?

15.04.2020

Bayerns Regierungschef Markus Söder, der das Vorhaben zügig vorangetrieben hatte

Bild: Olaf Kosinsky, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 DE, Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat die bayerische Staatsregierung im Eiltempo ein Infektionsschutzgesetz durchgeboxt. Der Wissenschaftliche Dienst zweifelt nun dessen Verfassungsmäßigkeit an: Fehlte dem Freistaat die Gesetzgebungskompetenz?

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Das bayerische Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) zur Eindämmung der Corona-Pandemie stößt beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags auf rechtliche Zweifel. Konkret bezieht sich die Kritik des fünfseitigen Gutachtens, welches der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, auf die im Landesgesetz geregelten Kompetenzen des Staates, medizinisches Material zu beschlagnahmen und medizinisches sowie pflegerisches Personal für bestimmte Arbeiten zu verpflichten.

Am 25. März hatte der bayerische Landtag das Infektionsschutzgesetz beschlossen. Alle sechs Fraktionen stimmten dem in Rekordzeit erarbeiteten Gesetz zu. Um diese Befugnisse nutzen zu können, muss die Regierung aber zuvor den Gesundheitsnotstand ausrufen. Dies ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums aber noch nicht erfolgt.

Beschlagnahmungen sind auch im Bundesgesetz geregelt

Darüber hinaus seien die Beschlagnahmungen auch im bundesweit geltenden Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt, weswegen nach Auffassung der Bundestagsjuristen eine direkte Konsequenz für das bayerische Gesetz besteht: "Es dürfte daher davon auszugehen sein, dass § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG eine Sperrwirkung in Bezug auf Regelungen zur Versorgung der Bevölkerung mit medizinischem und sanitärem Material bewirkt", heißt es wörtlich im Gutachten.

Das Ministerium in München wies die Kritik aus dem Gutachtens zurück: Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung hätten die Länder laut Grundgesetz die Befugnis zur Gesetzgebung, "solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat", sagte ein Sprecher. Da das Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG) von dieser Gesetzgebungskompetenz keinen abschließenden Gebrauch gemacht habe, durften die Regelungen des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes auf dieser Grundlage erlassen werden.

Noch kritischer wird in Berlin die Verpflichtungsoption für Mediziner und Pfleger interpretiert. Das Bundesgesetz enthält eine solche Regelung nicht, obwohl dies auch ursprünglich angedacht war. "Die Tatsache, dass der Bund einen bestimmten Bereich ungeregelt gelassen hat, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass daraus eine Regelungskompetenz der Länder folgt", heißt es im Gutachten.

Sollte medizinisches Personal zwangsverpflichtet werden?

Die Sperrwirkung gegenüber der Landesgesetzgebung könne auch dann eintreten, wenn der Bund eine bestimmte Materie bewusst nicht geregelt hat und damit zu erkennen gebe, dass er einer Regelung dieser Materie insgesamt ablehnend gegenüber stehe, so der Wissenschaftliche Dienst. "Die Tatsache, dass der Bund auf die Aufnahme einer Regelung zur Verpflichtung von medizinischem oder pflegerischem Personal im IfSG verzichtet hat, kann daher auch so interpretiert werden, dass er eine solche Verpflichtung generell nicht geregelt sehen wollte."

Das bayerische Infektionsschutzgesetz könnte am Ende sogar in Gänze unzulässig sein, da dem Gutachten zufolge eine konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Land vorliegen könnte. Um diese Frage zu beantworten, brauche es aber eine konkrete Betrachtung. Gleichwohl verweisen die Bundestagsjuristen darauf, dass generell in dem Umfang eine Sperrwirkung für eine gesetzgeberische Tätigkeit der Länder eintrete, in dem der Bundesgesetzgeber tätig geworden sei. Weiter heißt es: "Landesrecht, das trotz Sperrwirkung erlassen wurde, ist nichtig. Dies gilt nicht nur, wenn das Landesrecht vom Bundesrecht abweicht, sondern auch dann, wenn es dem Bundesrecht entspricht."

Das Gutachten wurde im Auftrag des Bundestagsabgeordneten Niema Movassat erstellt. Bayern habe gar kein Infektionsschutzgesetz erlassen dürfen, so der Politiker der Linkspartei. "Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ist eindeutig." Die Möglichkeit, Personal zwangszuverpflichten, sei "nicht nur ein herber Schlag in das Gesicht von hunderttausenden Ärzten und Pflegekräften, sondern auch ein Schlag gegen das Grundgesetz". Das Gesetz müsse schleunigst wieder aufgehoben werden.

dpa/mgö/LTO-Redaktion

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Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Bayerns Infektionsschutzgesetz verfassungswidrig? . In: Legal Tribune Online, 15.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41311/ (abgerufen am: 02.03.2021 )

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