Nach dem umstrittenen Urteil des polnischen Verfassungsgerichts haben am Wochenende Tausende Menschen in Polen demonstriert. Friedensnobelpreisträger Lech Walesa und BVerfG-Präsident Stephan Harbarth warnen vor den aktuellen Entwicklungen.
In Polen haben landesweit Tausende Menschen gegen ein umstrittenes Urteil des Verfassungsgerichts und für den Verbleib ihres Landes in der Europäischen Union (EU) demonstriert. In Warschau versammelten sich die Demonstrierende auf dem Schlossplatz. Sie schwenkten polnische und Europa-Flaggen und riefen: "Wir bleiben" und "Wir sind Europa!". Auch in Danzig, Posen, Stettin, Krakau und vielen weiteren Städten gab es Proteste.
Das Verfassungsgericht des Landes hatte kürzlich geurteilt, dass bestimmte Elemente des EU-Rechts gegen die polnische Verfassung verstoßen. Damit gab es nationalem Recht den Vorrang vor EU-Recht. Diese Entscheidung heizt den Konflikt zwischen der EU-Kommission und Warschau um die Reform des polnischen Justizsystems weiter an.
"Der Platz Polens ist in Europa"
Zu den Protesten aufgerufen hatte der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk. Bei seinem Auftritt vor den Demonstrierenden in Warschau sagte er, die nationalkonservative Regierungspartei PiS verschweige nicht mehr, dass sie das Land aus der EU führen wolle. "Der Platz Polens ist in Europa", so Tusk. "Wir werden gewinnen, denn wir sind mehr!" Sowohl Tusk als auch andere Redner wurden immer wieder durch laute Zwischenrufe und Sprechchöre aus einer Gegendemonstration rechtsnationaler Gruppierungen unterbrochen.
In Danzig sprach der Friedensnobelpreisträger und einstige polnische Präsident Lech Walesa zu den Demonstranten. "Die Menschen, die heute den Staat führen, sind ein großes Unglück für Polen", sagte der frühere Chef der Gewerkschaft Solidarnosc. Kein Feind, der Polen je regiert habe, habe die Menschen im Land derart gespalten wie die PiS.
Die PiS-Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um. Kritiker werfen ihr vor, die Richterschaft unter Druck zu setzen. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.
Stillstand im "Siegeszug" der Demokratie
Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Prof. Dr. Stephan Harbarth, macht sich Sorgen um die Entwicklung in der EU. "Der unaufhaltsame Siegeszug, den die freiheitliche Demokratie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 anzutreten schien, ist in den vergangenen Jahren leider zu einem vorläufigen Stillstand gekommen", sagte er den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) am Montag. "Manche sehnen sich nach autoritären Herrschaftssystemen." Deshalb seien alle aufgerufen, die Freiheit zu verteidigen. "Freiheit ist nicht denkbar ohne unabhängige Gerichte", fügte Harbarth hinzu.
dpa/ast/LTO-Redaktion
Streit um polnisches Justizsystem: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46295 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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