Das OLG München hat einen Arzt zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, weil er einen Patienten am Leben erhielt. Sein Vertreter sieht darin eine Wende in der Medizinethik.
Muss ein Sterbenskranker weiter behandelt werden, obwohl es keine Chance auf Besserung gibt? Gibt es so etwas wie ein wrongful life, ein erlittenes Leben? Diese gewichtigen Fragen wurden in einem Fall relevant, über den nun das Oberlandesgericht (OLG) München zu entscheiden hatte. Das Gericht verurteilte schließlich einen Arzt, weil er einen Patienten zu lange am Leben erhalten hatte (Urt. v. 21.12.2017, Az. 1 U 454/17).
Der inzwischen verstorbene Mann war tödlich erkankt und außerdem schwer dement gewesen. Der behandelnde Hausarzt hatte ihn in den Jahren 2010 und 2011, obwohl keine Aussicht auf Besserung seines Zustandes bestand, mittels einer PEG-Sonde künstlich ernährt und so am Leben erhalten.
Für diese Leiden seines Vaters verlangte nun sein Sohn aus übergegangenem Recht Schadenersatz sowie Ersatz der dadurch entstandenen Behandlungskosten i. H. v. zusammengerechnet rund 150.000 Euro. Er war der Auffassung, dass die Verlängerung des Lebens seines Vaters keinen Sinn gehabt habe und medizinisch auch nicht angezeigt gewesen sei. Sein Vater habe in dieser Zeit nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen, schwer gelitten und am Leben nicht mehr teilgenommen.
Leben kann ein Schaden sein
Der Arzt indes wies den Vorwurf eines Behandlungsfehlers zurück und beharrte darauf, nach dem Grundsatz "in dubio pro vita", im Zweifel für das Leben, gehandelt zu haben. Schließlich habe er dem damaligen Betreuer des Mannes dessen Situation geschildert und die Möglichkeit einer Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen diskutiert. Der Betreuer habe sich aber für deren Fortsetzung ausgesprochen.
Schon das Landgericht (LG) München I hatte in erster Instanz daraufhin festgestellt, dass in der Aufrechterhaltung der lebenserhaltenden Maßnahmen ein Behandlungsfehler liege und dies einen Schaden herbeiführe. Allerdings verneinte es im Ergebnis einen Schadensersatzanspruch, da nicht nachgewiesen sei, dass dieser auch kausal für den "Schaden", also das Weiterleben des Mannes gewesen sei. Zwar sei der Mediziner nach § 1901b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Pflicht gewesen, für die Weiterbehandlung die Zustimmung des Betreuers, respektive des Sohnes einzuholen, doch hätte dies nicht zwangsläufig zu einem Behandlungsabbruch geführt, so das LG. Die Beweislast hierfür trage der klagende Sohn.
Das OLG schloss sich nun der Auffassung der Vorinstanz insoweit an, als dass die Weiterbehandlung einen Behandlungsfehler darstelle und somit rechtswidrig gewesen sei. Auch die ethisch aufgeladene Frage nach dem wrongful life, dem Lebens als Schaden, beantwortete man ebenso wie das LG: Die Lebensverlängerung können für einen Patienten ggf. einen Schaden im Rechtssinne darstellen. Der Mann habe schwer gelitten und sei aufgrund seiner Demenzerkrankung in seiner Wahrnehmungsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen.
Klägervertreter: "Traurige Realität in der Altenpflege"
Der Arzt wäre daher verpflichtet gewesen, die Situation des Mannes mit dem Betreuer gründlich zu erörtern, so das OLG. Geschehen sei das aber nicht. Die Beweislast dafür, dass bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine Entscheidung zur Fortsetzung der Lebenserhaltung gefallen wäre, trage bei einer nicht indizierten Behandlung der Mediziner und nicht die Vertretungsberechtigten, so das OLG. So kam es zu einer Haftung des Hausarztes.
Wolfgang Putz, der den klagenden Sohn im Prozess vertritt, zeigte sich nach der Entscheidung erfreut. Fälle wie der seines Mandanten seien "die traurige Realität in der Breite der Altenpflege", sagte er gegenüber LTO. "Ohne nachzudenken, wird immer einfach weiter behandelt." Aus Sicht des Dozenten für Medizinrecht kulminiert in dem Schluss der beiden Münchner Gerichte, dass eine Lebenserhaltung nicht immer medizinisch indiziert sei, ein jahrzehntelanger Wandel in der Medizinethik. Schließlich hat der Bundesgerichtshof schon in einem Urteil vom 13. September 1994 (BGH, Az. 1 StR 357/94) eine absolute Pflicht des Mediziners zur Lebenserhaltung verneint.
Dass Ärzte künftig einer vorher nicht dagewesenen Rechtsunsicherheit ausgesetzt sein könnten, glaubt der Münchener Patientenvertreter nicht: "Grauzonen gibt es in der Behandlung ständig. Im Zweifel wird man in einem Prozess immer zugunsten des Arztes vom spätesten Zeitpunkt ausgehen, in dem er hätte handeln müssen", so Putz. Auch einen Konflikt mit dem ärztlichen Standesrecht, welches ebenfalls eine Liberalisierung erfahren hat, sieht er nicht. "Die ärztlichen Leitlinien sind ja gerade Grundlage des Urteils gewesen. Das zeigt, dass hier nicht Richter sondern Ärzte Ärzte verurteilen."
In Revision gegen das Urteil will sein Mandant übrigens - ebenso wie der beklagte Arzt - dennoch gehen, da er die Schadensberechnung durch das OLG bemängelt. Der Fall landet somit vor dem BGH.
Maximilian Amos, OLG München verurteilt Arzt zu Schadensersatz: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26163 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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