Immer mehr Menschen in Gaza leiden laut Vereinten Nationen Hunger, vor allem die Jüngsten. Das UN-Welternährungsprogramm warnt nun, dass mehr als 500.000 Menschen vom Hungertod bedroht sein könnten. CDU/CSU bezweifeln die Angaben.
Jedem vierten Palästinenser in Gaza droht laut Vereinten Nationen (UN) der Hungertod. Eine aktuelle UN-Studie kommt zu dem Schluss, dass in dem abgeriegelten Küstenstreifen 577.000 Menschen in die schwerwiegendste Kategorie des Hungers fallen. Im gesamten Rest der Welt zusammen gebe es dagegen gegenwärtig 129.000 Menschen, die ähnlich bedroht seien.
"So etwas habe ich noch nie gesehen. Das Ausmaß der akuten Ernährungsunsicherheit ist in Bezug auf Schwere, Geschwindigkeit der Verschlechterung und Komplexität beispiellos", sagte die New Yorker Sprecherin des Welternährungsprogramms (WFP), Shaza Moghraby. Bei den von "katastrophalem" Hunger bedrohten Menschen angesichts der israelischen Angriffe handele es sich um mehr als ein Viertel der über zwei Millionen Menschen in dem Gebiet. Fast alle Bewohner seien von Hunger oder Vertreibung betroffen.
Während der UN-Sicherheitsrat am Freitag mit viel Mühe eine Resolution verabschiedete, die die humanitäre Situation der Menschen in Gaza verbessern soll, bezweifelt in Deutschland die Bundestagsfraktion von CDU/CSU die Glaubwürdigkeit der UN-Angaben. Der rechtspoltische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Prof. Dr. Günter Krings, warf dem Generalsekretär der UN António Guterres vor, einseitig Partei für die Palästinenser zu ergreifen.
CDU kritisiert UN-Generalsekretär
"Die UN muss darauf achtgeben, dass sie nicht eine Täter-Opfer-Umkehr vornimmt. Dass der Generalsekretär seine Rechte aus Art. 99 der UN-Charta einseitig gegen Israel genutzt hat, während er das in vielen anderen, nicht weniger schlimmen Konflikten nicht getan hat, hat nicht nur mich verwundert", sagte Krings gegenüber LTO.
Der CDU-Rechtspolitiker erinnerte daran, dass es die palästinensische Terrororganisation Hamas war, die mit dem barbarischen Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 viele unschuldige Menschen in Israel getötet, verletzt und verschleppt habe. Zudem kontrolliere die Hamas nach wie vor weite Teile des Gazastreifens und führt offensichtlich unvermindert Krieg gegen Israel: "Noch am Donnerstag hat es laut Medienberichten in der Küstenmetropole Tel Aviv und anderen israelischen Städten erneut Raketenalarm gegeben. Es sollen rund 30 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden sein."
Grundsätzliche Zweifel äußerte Krings an den Angaben der UN, die die humanitäre Situation im Gaza-Streifen betreffen. Die Nachrichtenlage sei unübersichtlich, sagte er. "Auch Berichte der UN müssen mit einer gewissen Zurückhaltung betrachtet werden." Es sei ihm daher nicht möglich, die Seriosität der UN-Zahlen einzuschätzen, so Krings.
Dagegen nannte das Auswärtige Amt die Zahlen "zutiefst erschütternd". Israel müsse mehr Zugang für Hilfe gewähren, sein militärisches Vorgehen ändern und humanitäre Pausen zulassen, schrieb das Ministerium auf der Plattform X, vormals Twitter.
Linke: "Völkerrecht wird in Gaza missachtet"
Erstaunt über die Zweifel der CDU/CSU an der Glaubwürdigkeit der Angaben der UN zeigte sich im Gespräch mit LTO die Rechtspolitikerin der Linken, Clara Bünger: "Es ist verwunderlich, dass gerade von einer Partei, die sich selbst als christlich bezeichnet, von der humanitären Katastrophe abgelenkt wird. Das Völkerrecht steht in dem besonderen Fokus, die betroffenen Menschen bewaffneter Konflikte, also die Zivilbevölkerung, zu schützen. Das muss oberstes Gebot sein." Im gegenwärtigen Krieg in Gaza werde diese Vorgabe missachtet.
Während der Jurist Krings die Frage von LTO, inweiweit Israels Vorgehen weiterhin noch von seinem Recht auf Selbstverteidigung gedeckt sei, nicht beantworten wollte, forderte die Linken-Abgeordnete Bünger die Einhaltung des Völkerrechts: "Alle an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien müssen die Normen des Völkerrechts im Allgemeinen und das Recht des bewaffneten Konflikts im Besonderen einhalten, einschließlich des Verbots von wahllosen Angriffen und Maßnahmen gegen Zivilisten", so Bünger.
Zudem dürfe es jetzt kein Ablenken von der Situation der Zivilbevölkerung geben, wenn es darum geht, ihre Versorgung zu gewährleisten. "Humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung sollte zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden. Es muss daher unmittelbar gehandelt werden, damit die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen gesichert wird und eine Hungerkatastrophe abgewendet wird."
Die grüne Rechtspolitikerin Canan Bayram, MdB, betonte gegenüber LTO ebenfalls, dass die humanitäre Situation in Gaza vor Ort "kaum auszuhalten" sei. Eine Debatte um die völkerrechtliche Frage bezüglich der Reichweite des Selbstverteidigungsrechts helfe aber nicht weiter, so die Abgeordnete. "Wir sollten unseren Beitrag leisten, damit die von den Vereinten Nationen geforderte humanitäre Hilfe bei den Menschen ankommt."
UN-Resolution laut Ärzte ohne Grenzen nahezu bedeutungslos
Inweiweit diese tatsächlich im Gaza-Streifen im ausreichendem Maße ankommen wird, ist auch nach der Resolution des UN-Sicherheitsrates von Freitag weiter fraglich. Das Gremium hatte nach tagelangem Ringen in einer Resolution die Aufstockung der humanitären Hilfe die Menschen im Gazastreifen gefordert. Die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe findet sich dagegen nicht im Text. Die USA, der wichtigste Unterstützer Israels in deren Krieg gegen die islamistische Hamas, enthielten sich bei der Abstimmung. "Israel wird die gesamte humanitäre Hilfe für Gaza weiterhin aus Sicherheitsgründen inspizieren", schrieb Außenminister Eli Cohen am Freitagabend auf X. Er betonte, sein Land werde den Krieg fortsetzen, "bis alle Geiseln freigelassen sind und die Hamas im Gazastreifen eliminiert ist".
Als völlig unzureichend kritisierte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) die Resolution: "Diese Resolution wurde so weit abgeschwächt, dass deren Wirkung auf das Leben von Zivilisten in Gaza nahezu bedeutungslos sein wird", teilte MSF am Freitag nach Verabschiedung mit. Der Text bleibe "schmerzhaft weit" hinter dem zurück, was angesichts der Krise im Gazastreifen notwendig sei: "eine sofortige und anhaltende Waffenruhe", so Avril Benoit mit, MSF-Exekutivdirektor in den USA.
Benoit kritisierte auch die Arbeitsweise des mächtigsten UN-Gremiums, das sich mehr als zwei Monate nach Kriegsbeginn zu der Resolution durchgerungen hatte. "Es ist unergründlich, dass der UN-Sicherheitsrat mitten in einer totalen humanitären Katastrophe, wo jede Minute zählt, tagelang in Uneinigkeit feststeckte über etwas, das vom Beginn der Krise hätte etabliert werden müssen", teilte Benoit mit – nämlich der schnelle Fluss von Hilfsgütern nach Gaza und ungehinderte Lieferungen innerhalb des Küstengebiets.
Mit Material von dpa
Gaza am Rande der Hungerkatastrophe?: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53493 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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