Bedürftige unterstützt der Staat mit Sozialleistungen. Dass damit aber kein Luxusleben finanziert werden soll, hat nun das BVerfG deutlich gemacht. Ihre 77-Quadratmeter-Wohnung bekommt eine arbeitslose Beschwerdeführerin nicht bezahlt.
Bürger, die nicht für sich selbst sorgen können, haben einen Anspruch darauf, menschenwürdig wohnen zu können - so sieht es das Grundgesetz vor. Was das bedeutet, muss im Einzelfall ermittelt werden. Einen Anspruch darauf, jede noch so große Wohnung staatlich finanziert zu bekommen, gibt es aber nicht, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am Dienstag veröffentlichtem Beschluss feststellte (Beschl. v. 06.10.2017, Az. 1 BvR 617/14).
Damit wies die 2. Kammer des Ersten Senats die Verfassungsbeschwerde einer Frau zurück, die Arbeitslosengeld II bezieht und die Kosten für ihre 77 Quadratmeter große Wohnung in voller Höhe vom Jobcenter bezahlt haben wollte. Zunächst hatte das Amt die Kosten tatsächlich vollständig übernommen, dabei aber bereits moniert, dass sie zu hoch seien. Seit 2008 zahlte man schließlich nur noch einen Teil. Zuletzt erreichte die Miete plus Nebenkosten einen Betrag von 706 Euro monatlich.
Daraufhin klagte die Frau zunächst vor dem Sozialgericht, scheiterte dort aber. Auch Berufung und Revision brachten keinen Erfolg. Vor dem BVerfG trug sie nun vor, die begrenzte Kostenübernahme verletze sie in ihrem grundrechtlichen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Auch SG Mainz zweifelte an Verfassungsmäßigkeit der Norm
Auch das Sozialgericht (SG) Mainz hatte Zweifel an der gesetzlichen Grundlage für die Kostendeckung und legte dem BVerfG diese Frage vor. Die Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II), wonach Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt werden, soweit diese angemessen sind, hielt man auch dort für verfassungswidrig.
Was mit dem Rechtsgebiet weniger Vertraute für selbstverständlich halten mögen, war vor den Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit in den vergangenen Jahren tatsächlich immer wieder ein Streitpunkt gewesen: Die Frage danach, ob der Gesetzgeber das Wohngeld für Arbeitslose auf das Angemessene begrenzen dürfe.
Die Karlsruher Richter trafen nun eine Grundsatzentscheidung. Der Tenor: Ja, er darf. Die sozialstaatliche Grundsicherung muss demnach keinen Anspruch auf unbegrenzte Kostenübernahme für eine Wohnung enthalten, eine Begrenzung auf das Angemessene ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
2/2: Grundgesetz enthält keinen bezifferbaren Anspruch
Mit der Regelung in § 22 SGB II habe der Gesetzgeber einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum geschaffen, so das BVerfG. Damit ist er in den Augen des Senats seinem verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen. Dieser wird aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hergeleitet. Danach muss der Staat jedem Bürger ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten, zu dessen Sicherung auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken sind.
Einen exakt bezifferten Anspruch, bis zu welcher Höhe das geschehen soll, enthalte das Grundgesetz nicht, betonte die Kammer in ihrer Entscheidung. Es sei aber nicht jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und Mietkosten unbegrenzt zu erstatten.
Auch an der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit störten sich die Richter nicht. Zwar müssen gerade Regelungen in grundrechtlich sensiblen Bereichen besonders konkret formuliert sein, um möglichst große Rechtssicherheit zu gewährleisten. Was aber als "angemessen" zu verstehen sei, lasse sich durch Auslegung ermitteln.
Wohnungsgröße und Höchstmiete richten sich nach der Region
Dies müsse stets einzelfallbezogen geschehen, wobei die Fachgerichte davon ausgingen, dass anhand der im unteren Preissegment am Wohnort marktüblichen Wohnungsmieten ermittelt werden könne, welche Kosten konkret angemessen und zu übernehmen seien.
Für den Landkreis Tübingen in Baden-Württemberg etwa gelten nach Vorgabe des Jobcenters 45 Quadratmeter für eine Person und 360 Euro Miete im Monat als angemessen. In der Universitätsstadt Tübingen sind es 415 Euro. Für jede weitere Person kommen 15 Quadratmeter und im Landkreis 80 Euro Miete hinzu, in der Stadt 90 Euro. Dazu kommen Betriebs- und Heizkosten.
In einem separaten Beschluss wies das Gericht auch die Vorlagen des SG zurück. Es habe keine ausreichenden Überlegungen zu einer verfassungskonformen Auslegung der Norm angestellt, so die Auffassung der Karlsruher Richter.
Mit Materialien von dpa
Maximilian Amos, BVerfG zu Anspruch auf Wohnkostenübernahme: Wie viel Platz muss sein? . In: Legal Tribune Online, 14.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25517/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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