Druckversion
Wednesday, 22.03.2023, 07:12 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bgh-termin-zur-sterbehilfe-angeklagter-fachanwalt-fuer-medizinrecht-kann-mit-freispruch-rechnen/
Fenster schließen
Artikel drucken
639

BGH-Termin zur Sterbehilfe: Angeklagter Fachanwalt für Medizinrecht kann mit Freispruch rechnen

von Pia Lorenz / LTO-Redaktion

02.06.2010

Dass ein Grundsatzurteil zu Rechtsfragen des Abbruchs und der Unterbrechung der Behandlung eines unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten zu erwarten war, hatte der BGH bereits angekündigt. Was sich aber im Verhandlungstermin vor dem 2. Strafsenat abspielte, war mehr als ungewöhnlich. Und das nicht nur bezüglich des zu erwartenden Ergebnisses.

Anzeige

Nach dem Antrag der Verteidigung, den angeklagten Rechtsanwalt freizusprechen, beantragte Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof (BGH) Lothar Maur, das erstinstanzliche Urteil, mit dem der angeklagte Rechtsanwalt wegen versuchten Totschlags verurteilt worden war, aufzuheben und die Revision der tatgerichtlichen Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Auch die Staatsanwaltschaft stellte also den Antrag, den Angeklagten freizusprechen.

Auch der gesamte 2. Strafsenat machte deutlich, dass er gewillt ist, die besondere Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts anzuerkennen. Das Ergebnis des Aufsehen erregenden Falles dürfte damit präjudiziert sein: Der nach dem Ratschlag an eine Mandantin, den Versorgungsschlauch zu durchtrennen, über den ihre Mutter ernährt wurde, wegen versuchten Totschlags erstinstanzlich verurteilte Fachanwalt für Medizinrecht kann mit einem Freispruch rechnen. Termin zur Fortsetzung der Verhandlung, bei dem wohl mit einem Urteil gerechnet werden kann, wurde anberaumt auf den 25. Juni 2010.

Die Entscheidung soll gestützt werden auf das Selbstbestimmungsrecht der Patientin, die vor ihrem irreversiblen Wachkoma unmissverständlich erklärt hatte, keine lebensverlängernden Maßnahmen in Form von künstlicher Ernährung und Beatmung im Falle nicht mehr behebbarer Bewusstlosigkeit zu wünschen. Der Senat beabsichtigt also weiterhin, dabei soll es bleiben, eine Grundsatzentscheidung zu treffen.

„Eher ein wissenschaftlicher Workshop“

Nicht nur dieses zu erwartende Ergebnis darf als bahnbrechend betrachtet werden, sondern auch der weitere Verlauf der Verhandlung gestaltete sich außergewöhnlich.

Prof. Dr. Gunnar Duttge, der mit einer Gruppe von Studenten an der bedeutsamen Verhandlung teilnahm, berichtet von einer faktischen Aufhebung jedweder Subordinationsverhältnisse zwischen dem Senat, der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten und seinem Verteidiger: "Die Verhandlung ähnelte eher einem wissenschaftlichen workshop als einem gerichtlichen Verhandlungstermin."

Grund für diesen Vergleich war die Tatsache, dass man sich zwar einig war über die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Unsicherheit herrschte allerdings noch darüber, wie genau das zu erwartende Ergebnis begründet werden soll. "Mit bemerkenswerter Offenheit räumten die einzelnen Mitglieder des Senats ein, schlicht noch nicht zu wissen, wie die Begründung der Entscheidung im Einzelnen aussehen wird. Es wurden wissenschaftliche Lösungsvorschläge unterbreitet und offen von allen Beteiligten diskutiert", so Duttge.

Spannungsverhältnis: PatVerfG versus § 216 StGB

Der Senat ließ offen, ob überhaupt die Abgrenzung erforderlich werden wird, ob das Verhalten des Angeklagten als aktives Tun oder als Unterlassen zu qualifizieren war.

Ebenso unsicher waren sich die Mitglieder des Senats hinsichtlich des Verhältnisses des Patientenverfügungsgesetzes zur Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB). Wie das Spannungsverhältnis zwischen der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen einerseits und den Vorschriften des Patientenverfügungsgesetzes andererseits aufgelöst werden soll, ist noch unklar. Die Folgen dieser Entscheidung jedenfalls, dessen sind sämtliche Mitglieder des Senats sich bewusst, können immens sein.

Am Ende der Verhandlung stand der Angeklagte, selbst auf Palliativmedizin spezialisierter Fachanwalt für Medizinrecht, von seinem Stuhl auf, um von seinem Recht auf das letzte Wort Gebrauch zu machen. Er bedankte sich. Bei allen Beteiligten.

 

Mehr zum Thema Sterbehilfe auf LTO.de:

Erlaubte und verbotene Wege, den Patientenwillen durchzusetzen

Das Recht der so genannten Sterbehilfe

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Pia Lorenz / LTO-Redaktion, BGH-Termin zur Sterbehilfe: Angeklagter Fachanwalt für Medizinrecht kann mit Freispruch rechnen . In: Legal Tribune Online, 02.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/639/ (abgerufen am: 22.03.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
Das könnte Sie auch interessieren:
  • Sollte man kennen - Sechs wich­tige BGH-Ent­schei­dungen aus 2022
  • Zur BGH-Entscheidung im Insulin-Fall - Tötung bleibt Tötung
  • BGH spricht Frau vom Vorwurf der strafbaren Tötung frei - Tötung mit Insul­in­spritze war straf­lose Bei­hilfe zum Suizid
  • Bundestag debattiert über Neuregelung der Suizidhilfe - Im Kor­sett des Ver­fas­sungs­rechts
  • Regulierung der Suizidhilfe - Diese Gesetz­ent­würfe sind im Bun­destag
  • Rechtsgebiete
    • Medizinrecht
    • Strafrecht
  • Themen
    • Fachanwalt
    • Sterbehilfe
  • Gerichte
    • Bundesgerichtshof (BGH)
TopJOBS
Rechts­an­wäl­te (w/m/d) für das BLD-Per­so­nen­scha­den­zen­trum (Schwer­punkt...

BLD Bach Langheid Dallmayr , Köln

Voll­ju­rist/in (w/m/d) Vor­stand/Haupt­ge­schäfts­füh­rung

Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in/Re­fe­ren­dar*in/Dok­to­rand*in (m/w/d) ...

Becker Büttner Held , Stutt­gart

Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für ver­schie­de­ne Rechts­ge­bie­te

Görg , Ham­burg

Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in/Re­fe­ren­dar*in/Dok­to­rand*in (m/w/d) ...

Becker Büttner Held , Mün­chen

Rechts­an­wäl­te (w/m/d) für das BLD-Per­so­nen­scha­den­zen­trum (Schwer­punkt...

BLD Bach Langheid Dallmayr , Mün­chen

RECHTS­AN­WALT (W/M/D) IM BE­REICH HEALTH­CA­RE

ADVANT Beiten , Ber­lin

Re­fe­ren­dar­sta­ti­on Stutt­gart

Gleiss Lutz , Stutt­gart

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter*in­nen (m/w/d) im Be­reich Health­ca­re, Li­fe...

CLIFFORD CHANCE Partnerschaft mbB , Düs­sel­dorf

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Vermögensübertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt oder gegen Versorgungsleistungen

23.03.2023

Baurechtswoche: Die Mediation - Lösung für stecken­gebliebene Bau­prozesse?

22.03.2023

Influencer im Steuerrecht

22.03.2023

Grundlagenseminar: Umgang mit Sexualstraftätern – professionelle Haltung, Menschenbild, Unterstüt

04.05.2023, Heidelberg

Umgang mit Proband:innen mit einer psychischen Erkrankung in der Bewährungshilfe

04.05.2023, Erfurt

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH