Wohl all den Anwälten, die nicht in Pfund bezahlt werden. Mit dem Brexit wird zudem das M&A-Geschäft leiden, Umsätze werden insgesamt sinken. Die Personalanpassung dürfte aber noch zwei Jahre auf sich warten lassen.
Massenhafte Trennungen, De-Equitizations und für das Fußvolk auch profane Worte wie Kündigungen – erfahrene Großkanzleianwälte haben diese Entwicklungen schon mehrfach erlebt, vor allem nach internationalen Kanzlei-Fusionen. Jetzt ist es der andere Weg: Der Spin-off eines ganzen Landes steht an– der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der EU. Den Anwälten und ihren Kanzleien drohen Einbußen: beim eigenen Einkommen, beim lukrativen M&A-Geschäft– und schließlich bei den Arbeitsverhältnissen.
Viele internationale Kanzleien sind inzwischen als Limited Liability Partnerschaft (LLP) aufgestellt, dem englischen Pendant zur Kommanditgesellschaft. Der Hauptsitz ist in vielen Fällen London, mit ausländischen – darunter auch deutschen – Zweigniederlassungen. Zu den LLPs gehören etwa Allen & Overy, Freshfields Bruckhaus Deringer, Hogan Lovells, Simmons & Simmons, Linklaters, Clifford Chance, Herbert Smiths Freehills, DLA Piper und Ashurst. An dieser Gesellschaftsstruktur wird sich auch mit dem Brexit erst einmal nichts ändern.
Folgen für britische Anwälte
Die britischen Kollegen haben dennoch vorgesorgt: Wie Legal Week berichtet, haben Anwälte von Allen & Overy, Freshfields Bruckhaus Deringer, Slaughter & May und Hogan Lovells bereits vergangene Woche für das nun eingetretene Worst-Case-Szenario vorgesorgt und die Eintragung in die sogenannte Law Society of Ireland beantragt. Der Grund: Es sei ohne Registrierung in einem EU-Land zu schwierig, europäisches Recht zu praktizieren. Und englisch qualifizierte Anwälte könnten sich unproblematisch in Irland registrieren lassen, wenn sie drei Jahre Berufserfahrung haben.
Die Angst liege insbesondere darin begründet, so Legal Week, dass britisch qualifizierte Anwälte mit dem Brexit ihr Recht verlieren könnten, in Europa zu praktizieren und vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg aufzutreten. Großbritannien könnte mit dem Brexit – das wird im Detail auf die künftigen Verhandlungen ankommen - so dastehen wie alle anderen Nicht-EU-Länder.
Das Einkommen in Deutschland
Für die deutschen Anwälte spielt Derartiges natürlich keine Rolle. Eine böse Überraschung könnte jedoch ihre Vergütungsabrechnung am Jahresende bringen. Bei Kanzleien mit britischem Hauptsitz ist es üblich, dass die einzelnen Länder ihre Umsätze nach England melden. Das Geld geht zunächst in einen großen Topf und wird dann nach einem definierten Schlüssel wieder an die einzelnen Partner verteilt.
Das Pfund ist mit der Bekanntgabe des Ausstiegs Großbritanniens auf ein Rekordtief gesunken –aufgrund dieses Währungsverlusts ist also mit empfindlichen Einbußen zu rechnen Dagegen kann man zwar Vorsorge treffen, allerdings sagt einer, der es wissen muss: "Selbst für internationale Großkanzleien wäre es zu teuer, sich ein Hedging einzukaufen, um derartige Kursschwankungen abzufangen." Mit einem solchen System lassen sich Währungsschwankungen für Unternehmen – und damit auch für Kanzleien – abfangen.
Britische Kanzleien legen regelmäßig zum Beginn eines Geschäftsjahres fest, ob die Ausschüttung in Pfund oder in Euro erfolgen soll. Die interne Gerechtigkeit wird also bleiben – der erfolgreiche deutsche Rainmaker einer Kanzlei wird auch weiterhin seinen großen Anteil bekommen. Indes ist der Kuchen mit dem Pfund als Leitwährung der Kanzlei kleiner, als er es früher war - und das beschert auch den deutschen Partnern unmittelbare Einbußen.
2/2: Task Forces arbeiten
Noch erheblicher dürfte sich allerdings der Einbruch des M&A-Marktes auswirken, mit dem nun alle rechnen: "Wer wird schon noch in Großbritannien investieren wollen", sagt ein Partner. Und Dr. Nils Krause, Co-Head der deutschen Corporate/M&A-Praxis bei DLA Piper, prognostiziert: "Der nun beschlossene Brexit bringt erhebliche Vertragsrisiken mit sich, denn mit dem EU-Austritt Großbritanniens ist ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit verbunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das englische Recht radikal verändern wird, da nach dem Brexit der europäische Rechtsrahmen wegbrechen wird."
Die britische Zeitschrift The Lawyer hatte bereits eine eigene Umfrage zum Referendum gestartet: 65 Prozent der Leser hätten es bevorzugt, in der EU zu verbleiben, 31 Prozent wollten den Brexit.
Vorgesorgt haben die Kanzleien nicht nur für die Mandanten, sondern auch für sich selbst– soweit es möglich ist. Zitieren lassen möchte sich keiner der Managing Partner, doch mehrere bestätigen, es gebe Task Forces innerhalb der Kanzleien zum Brexit für die eigenen Anliegen der Kanzleien– und den ganzen Vormittag diverse Calls oder Meetings. Daneben gebe es das "Business as usual" – Partner, die offiziell ganz zufällig in London seien, um Mandantengespräche zu führen.
"Wenn sie raus sind, sind sie raus"
Klar ist auch: "Wir müssen die Verhandlungen abwarten, die nun zwischen Europa und Großbritannien aufgenommen werden müssen." Sollte es etwa zu Doppelbesteuerungen in Deutschland und in Großbritannien kommen, bleibe den Kanzleien gar nichts anderes übrig, als eine neue Struktur einzugehen. Das gelte für alle LLPs mit Sitz in Großbritannien. Und ja, auch die Personalsituation müsse man sich genau anschauen. Für einige Bereiche gebe es jetzt viel Arbeit, wie für die Financial Services-Teams, die wie etwa bei Simmons & Simmons eigene Hotlines für die Mandanten eingerichtet haben, für andere eben nicht. Und die könnten nicht langfristig gehalten werden, ohne dass sie Arbeit hätten.
"Das wird bitter und ich merke, dass meine Kollegen in London unruhig sind", sagt einer. "Doch klar ist auch, auch wenn es schmerzlich wird: Die EU sollte keine erheblichen Zugeständnisse machen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wenn sie raus sind, sind sie raus."
Tanja Podolski, Kanzleien nach dem Brexit: Spin-off auf europäisch . In: Legal Tribune Online, 24.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19790/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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