Aufgrund der ungünstigen Altersstruktur, die aus der Zeit des Neuaufbaus der Justiz nach 1990 herrührt, befürchten Richtervereine erhebliche Nachwuchsprobleme in Sachsen und Brandenburg. Um Berlin herum werde es eng.
An den Gerichten in Sachsen werden aus Sicht des Sächsischen Richtervereins in den nächsten Jahren zahlreiche Richter:innen und Staatsanwält:innen fehlen. "Bis 2030 wird fast jeder zweite von ihnen - 46 Prozent - in Pension gehen", sagte der Vorsitzende der Vereinigung, Reinhard Schade, bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Das könne die Rechtsprechung in Sachsen beeinträchtigen und die Verfahren immer weiter verlängern.
Schade fürchtet, dass viele Strafkammern dann nicht mehr handlungsfähig sein könnten, weil ihnen die Vorsitzenden aus Altersgründen abhandenkämen. Diese Stellen könnten nicht mit Berufsanfänger:innen nachbesetzt werden, sagte Schade. Laut Justizministerium gibt es in Sachsen aktuell 1.110 Richter:innen und 401 Staatsanwält:innen. Davon werden bis Ende 2028 277 Richter:innen und 45 Staatsanwält:innen in den Ruhestand gehen. Das Durchschnittsalter der Richter:innen liege bei 52,2 Jahren, das der Staatsanwält:innen bei 46,5 Jahren.
Auch in Brandenburg findet sich eine ähnliche Situation: Bis zum Jahr 2028 würden dort alleine in der ordentlichen Gerichtsbarkeit - also den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten - 122 Richter:innen das Pensionsalter erreichen, teilte das Justizministerium in Potsdam auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. "Dies ist etwa ein Viertel des richterlichen Personals", sagte eine Ministeriumssprecherin.
"Die Pensionierungswelle rollt bereits", bestätigte auch die Vorsitzende des Richterbundes in Brandenburg, Katrin Ryl, auf dpa-Nachfrage. Laut einer Statistik von 2019 seien von den rund 700 in Brandenburg tätigen Richter:innen und Staatsanwält:innen knapp 400 zwischen den Jahren 1957 und 1963 geboren - und stehen damit jetzt kurz vor dem Ruhestand. Auch die folgenden Jahrgänge bis 1965 seien sehr stark vertreten, so dass sich die Altersabgänge rasant fortsetzen würden, so Ryl, die hauptberuflich als Richterin am Amtsgericht Brandenburg an der Havel tätig ist. Nicht wenige Kollegen seien zudem vorzeitig in den Ruhestand gegangen.
Grund ist die Einstellungswelle nach der Wiedervereinigung 1990
Der Grund für den Schwund bei den Richter:innen und Staatsanwält:innen reicht in die Zeit des Neuaufbaus der Justiz nach 1990 zurück. Damals waren viele junge Jurist:innen aus Westdeutschland in die "neuen Bundesländer" gekommen. Diese Generation geht nun aber auf ihre Pensionierung zu.
Aus Sicht des Richtervereins droht durch die vielen Abgänge der Verlust von Fachwissen. Deshalb plädiert der Richterverein dafür, jetzt Richter:innen und Staatsanwält:innen über den Bedarf einzustellen, um den Übergang abzufedern. Der Richterbund fordert darüber hinaus eine bessere Besoldung, um Richternachwuchs zu gewinnen. Man müsse insbesondere konkurrenzfähig gegenüber der freien Wirtschaft sein, vor allem in Hinblick auf Großkanzleien, aber auch auf Bundesbehörden oder Ministerien in Berlin.
Was die Länder tun, um der Entwicklung entgegenzusteuern
Die Justizministerien in Sachsen und Brandenburg zeigen sich trotz der besorgniserregenden Zahlen insgesamt positiv. Das Justizministerium Sachsen weist darauf hin, dass aktuell alle Amts- und Landgerichte des Freistaats zu 100 Prozent besetzt seien. Um Altersabgänge zu ersetzen und Engpässen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zu begegnen, würden seit einigen Jahren verstärkt Richter:innen auf Probe eingestellt. Dafür seien auch im neuen Doppelhaushalt 2023/24 weitere Stellen geschaffen worden.
So sei es durch die Neueinstellung junger Proberichter:innen schon gelungen, die personelle Situation an den Gerichten zu verbessern und sogar neue Strafkammern zu eröffnen. Das könne zu einer Verringerung von Verfahrenslaufzeiten beitragen. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat habe der Bund in der Vergangenheit ebenfalls eine finanzielle Unterstützung der Länder zur Schaffung zahlreicher Stellen im richterlichen sowie staatsanwaltlichen Dienst geleistet.
Auch in Brandenburg erklärt das Justizministerium, dass für die größere Zahl von Altersabgängen Vorsorge getroffen sei. So gebe es jetzt einen Einstellungskorridor, mit dem vorübergehend die zusätzliche Einstellung von richterlichen Nachwuchskräften ermöglicht werde. Derzeit, so heißt es aus dem Justizministerium, könnten trotz sinkender Bewerberzahlen alle offenen Richterstellen besetzt werden. Doch laut Richterbund-Vorsitzender Ryl ist es bereits jetzt schwierig, für die berlinfernen Gerichte und Staatsanwaltschaften Bewerber:innen zu gewinnen, beispielsweise in der Lausitz.
Auch aus Anwälten sollen Richter werden
Um neue Referendar:innen zu gewinnen, lockt das Ministerium in Sachsen nach eigenen Angaben unter anderem mit hohen Gehältern und Teilzeitreferendariat. Flexibleres Arbeiten soll zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Auch die erforderlichen Abschlussnoten für den Eintritt in die Justiz wurden bereits leicht abgesenkt. Die sächsische Justiz bemühe sich zudem nicht nur um Absolvent:innen der Unis, auch in der Anwaltschaft würden Jurist:innen für den Staatsdienst angeworben.
Das brandenburgische Justizministerium betreibe ebenfalls bereits im Referendariat aktiv Werbung, um den juristischen Nachwuchs für sich zu gewinnen, hieß es auf Nachfrage der dpa. Rechtsreferendar:innen, die für eine Arbeit in der Justiz in Betracht kommen, würden dabei gezielt angesprochen.
Darüber hinaus werde zurzeit eine begleitende Tätigkeit von Rechtsreferendar:innen bei den Gerichten als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen erprobt. Dabei können Referendar:innen nach Abschluss der Zivilstation neben dem Referendariat sechs bis zehn Stunden bei einem Gericht arbeiten und dort Rechercheaufgaben, aber auch die Organisation von Großverfahren oder die Erstellung von Entscheidungsentwürfen übernehmen.
dpa/ast/LTO-Redaktion
Große Pensionierungswelle in der Justiz: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51470 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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