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Digitalisierung im Rechtsbereich: "Die Anwalt­schaft hat gelie­fert, wo bleibt die Justiz?"

Gastbeitrag von Martin Schafhausen

14.06.2022

Digitalisierung

Wann kommt die Justiz bei der Digitalisierung endlich in die Spur? DAV-Vize Martin Schafhausen ist vom Schneckentempo genervt und sieht den Gesetzgeber in der Pflicht. Foto: Alexander Limbach - stock.adobe.com

Die Gerichte hinken beim Thema Digitalisierung hinterher. Dass sich das zeitnah ändert, bezweifelt der Richterbund. Die Anwaltschaft ist darüber "not amused". DAV-Vize Martin Schafhausen sieht u.a. den Gesetzgeber in der Pflicht.

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Welche Digitalisierung "die" Anwaltschaft braucht, lässt sich kaum einheitlich beantworten. So vielfältig anwaltliche Tätigkeit ist, so bunt müssen auch die Antworten auf diese Frage sein. Wer, das dann sogar nur widerwillig, sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) für die Korrespondenz mit den Gerichten nutzt und das schon als hinreichende Digitalisierung des eigenen Tuns empfindet, ist u.U. mit dem zufrieden, was ihm die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu Verfügung stellt. Demgegenüber verlangen Kanzleien, die sich beispielsweise um den Legal Tech Kanzleipreis des DAV beworben haben, nach einem ganz anderen Grad der Digitalisierung der Anwaltschaft und der Justiz.

Gemeinsame Schnittmengen lassen sich vermutlich aber dennoch finden. Die Anwaltschaft jedenfalls hat "geliefert". Wir korrespondieren mit den Gerichten nur noch elektronisch. Wir erfüllen damit den Zweck des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und liefern den Gerichten die elektronischen Dokumente, die die Gerichte für die eigene Digitalisierung benötigen, aber nicht selbst digitalisieren können oder möchten.

Nichts Anderes gilt im Übrigen für die Digitalisierung der anwaltlichen Tätigkeit. Auch wir erwarten die Übermittlung elektronischer Dokumente. Es ist nicht einzusehen, dass die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und andere professionell Einreichende noch Jahre zuwarten müssen, bis die Gerichte flächendeckend selbst nur noch elektronische Dokumente übermitteln. Wir sind nicht in Vorleistung gegangen, um richterliche Druckstraßen zu beliefern!

2026 wäre zu spät

Dabei auf den 1. Januar 2026 und die bis dahin angekündigte Einführung der elektronischen Akte in der Justiz zu hoffen, ist einerseits (viel) zu spät, andererseits im Hinblick auf das "Ereignis", das wir mit diesem Datum verbinden, trügerisch. Es mag zwar sein, dass die (verbindliche) Einführung der gerichtlichen e-Akte in aller Regel dazu führen wird, dass die Gerichte dann nur noch elektronisch kommunizieren, die Verfahrensordnungen ordnen dies aber nicht ausdrücklich an. Es sollte aber weder der Entscheidung von Richterinnen und Richtern noch den Geschäftsstellen vorbehalten sein, wie Dokumente an die Bevollmächtigten übermittelt werden.

Auf der Wunschliste an den Gesetzgeber steht daher aus Sicht der Anwaltschaft der klarstellende Hinweis, dass und ab wann auch die Gerichte die Pflicht haben, mit den Verfahrensbevollmächtigten, die zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet sind, nur noch elektronisch zu kommunizieren. Der Hinweis von Seiten des Deutschen Richterbundes kürzlich, wonach es der Justiz "ohne ein höheres Investitions- und Innovationstempo" kaum gelingen werde, den gesetzlich festgelegten Starttermin für die elektronische Akte zum 1. Januar 2026 flächendeckend zu halten, lässt nichts Gutes erwarten.

Mit der Kutsche zum BVerfG?

Auch wenn es regelmäßig nicht zur täglichen Routine gehört, Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder den Landesverfassungsgerichten zu führen, scheint es anachronistisch, dass die Verfassungsgerichte nicht über die in den anderen Verfahrensordnungen genannten sicheren Übermittlungswege zu erreichen sind. Auch dies sollte sich zeitnah ändern.

Der Gang nach Karlsruhe nur per Fax (es gibt nur eine Nummer!) oder per DHL kann im Jahr 2022 nur als anachronistisch bezeichnet werden. Nach den Änderungen diverser Verfahrensregelungen, insbesondere der Elektronischen-Rechtsverkehrs-Verordnung (ERVV), sollte die elektronische Kommunikation mit dem BVerfG heute eigentlich nicht mehr an den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern. Es muss endlich möglich sein, Anträge und Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe auch auf elektronischem Wege einzureichen.

Datenbegrenzung überdenken, Akteneinsichtsportal schaffen

Nach der Zweite Bekanntmachung zu § 5 der ERVV können seit 1. April 200 Dateien, die eine Gesamtgröße von 100 MB nicht überschreiten dürfen, über den elektronischen Rechtsverkehr übermittelt werden. Ab Januar 2023 erhöhen sich Anzahl und Volumen der Anlagen auf 1.000 Dateien und 200 MB.

In wettbewerbsrechtlichen Verfahren oder in Bausachen, in denen große Dateimengen oder große Dateivolumina übermittelt werden müssen, kann diese Datenbegrenzung zum Problem werden. Unter Umständen müssen Anhänge dann auf mehrere Nachrichten verteilt werden.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, das Akteneinsichtsportal, über das zukünftig – hoffentlich bald – Gerichte den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten Einsicht in die elektronisch geführten Gerichts- und Verwaltungsakten geben können, so auszubauen, dass zumindest in Verfahren, in denen die genannte o.g. Höchstgrenzen überschritten werden, die Möglichkeit besteht, Daten in einem Datenraum zu Verfügung zu stellen. Diese können dann von dort von den anderen Beteiligten, deren Bevollmächtigten und den Gerichten heruntergeladen werden können.

Möglichkeiten der virtuellen Verhandlung stärken

Um die Digitalisierung im Rechtsbereich voranzutreiben, hat sich die Ampelkoalition auch etwas vorgenommen: Sie möchte einen neuen Pakt für den Rechtsstaat um einen Digitalpakt erweitern. Vom Bund zu Verfügung zu stellende Mittel sollten dabei auch zweckgebunden für Videosysteme vorgesehen werden. Der derzeit oft gelesene Hinweis auf einen Antrag nach § 128a Zivilprozessordnung, "technisch zurzeit nicht möglich", muss rasch der Vergangenheit angehören. Zuviel an Digitalisierung wäre das sicher nicht. Der Gesetzgeber sollte vielmehr prüfen, welche gesetzlichen Änderungen erforderlich sind, damit Videoverhandlungen nicht mehr die Ausnahme sind. Während der Pandemie hat sich gezeigt, welche Möglichkeiten sich bieten. Auch aus Gründen der Nachhaltigkeit muss nicht jeder Termin präsentisch wahrgenommen werden.

Wie bei dem (neuen) Pakt für den Rechtsstaat muss die Anwaltschaft auch bei den anstehenden Änderungen der gerichtlichen Verfahrensordnungen eingebunden bleiben. Nicht jede denkbare Regelung, die dem gerichtlichen Arbeiten entgegenkommt, muss aus anwaltlicher Sicht geboten sein. Das Festhalten am "voluntativen Element" bei der Zustellung mit Empfangsbekenntnis erklärt sich nicht mit einem "Das war schon immer so", sondern ist Ausdruck anwaltlicher Arbeitsweise, die die die Interessen der eigenen Mandantschaft berücksichtigen muss. In einer digitalisierten Justiz darf der anwaltliche Fristenkalender nicht das einzige Relikt der Papierwelt sein.

Kostenentscheidungen automatisieren

Zu wissen, wie die Kammer eines Landgerichts, der Senat eines Landessozialgerichts in vergleichbaren Sachverhalten entschieden hat, würde Anwältinnen und Anwälte ohne Zweifel die Arbeit erleichtern. Es bestünde für sie dann die Möglichkeit, sich auf den Gerichtsstand entsprechend vorzubereiten – oder sogar auf einen Prozess gänzlich zu verzichten. Um allerdings so vorausschauend und effektiv arbeiten zu können, ist die Veröffentlichung aller Gerichtsentscheidungen unerlässlich. Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht dies, die Entscheidungen der Justiz sollen in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar gemacht werden. Es wäre schön, wenn dies auch einigermaßen zeitnah umgesetzt würde.

Und schließlich doch auch noch ein Wort zur Künstlichen Intelligenz (KI): Besonders in Verfahren, in denen die öffentliche Hand Kostenschuldner ist, z.B. in Angelegenheiten der Prozesskosten- oder Beratungshilfe sowie in Verfahren, die vor den öffentlich-rechtlichen Fachgerichten gegen die öffentliche Hand geführt werden, kann das Verfahren vereinfacht werden. Ließen sich die Anträge hier direkt online stellen, könnten (mit ein bisschen KI im Hintergrund) die Kostenentscheidungen automatisiert getroffen werden. Enden darf eine solche automatisierte Entscheidung dabei nicht mit dem Beschluss, sondern mit der Kassenanweisung, die die Zahlung auslöst.

Ist das zu viel verlangt? Nein, das Vorbeschriebene ist nur Mindestmaß dessen, was die Anwaltschaft an Digitalisierung der Justiz braucht. Funktionierender elektronischer Rechtsverkehr, ein Hauch KI und Daten, mit denen zugunsten der Mandantschaft gearbeitet werden kann.

Autor Martin Schafhausen arbeitet als Rechtsanwalt in Frankfurt/Main und ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

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Digitalisierung im Rechtsbereich: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48714 (abgerufen am: 24.05.2025 )

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