Selbständige Rechtsanwälte erhalten ihre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erst zur Rente erstattet, entschied das BSG. Es sieht keine verfassungswidrige Benachteiligung gegenüber angestellten Rechtsanwälten. Von Martin W. Huff.
Ein "nicht versicherungspflichtiger" selbstständiger Rechtsanwalt hat kein Recht auf Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Dies folgt aus § 210 Sozialgesetzbuch (SGB) VI, der einzig hier in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung rechtmäßig gezahlter Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) am Mittwoch (Urt. v. 06.09.2017, Az. L 13 R 4/17 R).
Es ist ein häufig auftretender Sachverhalt: Wer einmal als Rechtsanwalt Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und dies anschließend aller Voraussicht nach nie wieder tun wird, der kann bei der Deutschen Rentenversicherung Bund den Antrag auf Auszahlung der Arbeitnehmeranteile stellen. Doch wann dieser Antrag gestellt werden kann, ist zwischen angestellten Rechtsanwälten und selbständigen Rechtsanwälten sehr unterschiedlich. Nach der aktuellen Entscheidung können sogar Jahrzehnte dazwischen liegen.
Ursache ist eine der Gesetzesvorschriften, deren Sinn und Zweck sich höchstens - wenn überhaupt - nach mehrmaligem Lesen erschließt: § 210 SGB VI. Die Vorschrift regelt die Erstattung von Beiträgen des Versicherten zur gesetzlichen Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen. Entscheidend ist dabei Absatz 1a der Norm: Sie differenziert zwischen zwei für Rechtsanwälte entscheidende Gruppen.
Die einen müssen länger warten
Nach Satz 1 der Vorschrift werden auf Antrag die Beiträge erstattet, wenn jemand von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist (§ 6 SGB VI) und die Wartezeit von 60 Monaten bis dahin nicht erfüllt hat. Dieser Antrag kann dann nach 24 Monaten (§ 210 Abs. 3 SGB VI) gestellt werden, ein längeres Zuwarten ist nicht erforderlich. Beispiel: Ein angestellter Volljurist hat mehrere Jahre als Angestellter der Universität oder während einer Ausbildung Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt. Nunmehr ist er vor Erfüllung der Wartezeit als angestellter Rechtsanwalt oder auch als Syndikusrechtsanwalt tätig und von der Versicherungspflicht befreit worden. Er kann dann nach den 24 Monaten die Auszahlung der der Arbeitnehmeranteile verlangen.
Anders allerdings sieht die Lage bei selbstständigen Rechtsanwälten nach Satz 2 der Vorschrift aus. Einen sofortigen Antrag kann nicht stellen, wer wegen einer "selbstständigen Tätigkeit versicherungsfrei" geworden ist. Derjenige muss nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI bis zur Regelarbeitsgrenze warten (im Normalfall derzeit 66 Jahre und ein paar Monate) und kann dann, wenn die Wartezeiten nicht erfüllt ist, die Auszahlung verlangen.
In dieser Regelung sah ein selbständiger Rechtsanwalt eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Der klagende Kollege begehrte die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen aufgrund seines nach 24 Monaten gestellten Antrags. Er ist seit 1994 als selbstständiger Rechtsanwalt in eigener Kanzlei tätig und Mitglied im berufsständischen Versorgungswerk. Er entrichtet keine freiwilligen Beiträge an die beklagte GRV. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt übt er seit Oktober 2012 eine geringfügige selbstständige Tätigkeit als Dozent an einer Hochschule aus. Bis zum September 1988 war er in der DRV dafür für 48 Monate pflichtversichert.
Nebentätigkeit zu geringfügig, damit keine Erstattung vor der Rente
Seinen Antrag auf Erstattung der Beiträge lehnte die Versicherung unter Hinweis darauf ab, dass die Regelung des § 210 SGB VI keine Erstattung vor der Vollendung der Regelaltersgrenze für nicht Versicherungspflichtige – wie eben den Rechtsanwalt vorsehe. Eine vorzeitige Beitragserstattung könne er auch nicht auf § 210 Abs. 1a SGB VI stützen. Denn als selbstständig tätiger Rechtsanwalt sei er weder versicherungsfrei noch von der Versicherungspflicht befreit. Hieran ändere die an sich versicherungsfreie selbstständige Tätigkeit an der Hochschule nichts. Diese sei geringfügig.
Seine Klage dagegen hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.
Nach Ansicht des BSG hat der Anwalt kein Recht auf Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Dies folge aus § 210 SGB VI. Danach stehe dem Kläger eine vorzeitige Beitragserstattung als "nicht versicherungspflichtiger" selbstständiger Rechtsanwalt nicht zu. Er habe vielmehr ein diese ausschließendes Recht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Regelung des § 210 Abs. 1a SGB VI verstoße, so die Richter, auch nicht gegen Verfassungsrecht. So sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei Nichterfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten versicherungsfreien und von der Versicherungspflicht befreiten Personen einen Anspruch auf vorzeitige Beitragserstattung einräumt, einen solchen hingegen nicht versicherungspflichtigen Personen versagt und sie stattdessen auf eine Beitragserstattung erst bei Erreichen der Regelaltersgrenze verweist. Hierin liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 GG.
2/2: Nur zum Besten der Anwälte?
Die Differenzierung bei der Zulassung zur vorzeitigen Beitragserstattung ist unter gruppen- und versicherungsspezifischer Berücksichtigung der jeweiligen typisierten sozialen Schutzbedürftigkeit bei der Alterssicherung inner- und außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung sachlich gerechtfertigt, schreiben die Richter in ihrem Terminsbericht.
Im Kern verfolge der Gesetzgeber mit der Beschränkung des zur Beitragserstattung vor Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 210 Abs. 1a S. 1 SGB VI berechtigten Personenkreises in zulässiger Weise das Ziel, lediglich solchen Versicherten das Recht auf eine vorzeitige Erstattung der auf sie entfallenden Rentenversicherungsbeiträge einzuräumen, bei denen ausreichend sichergestellt ist, dass sie außerhalb der GRV eine hinreichende Alterssicherung aufbauen - also etwa eine gleiche Altersversorgung errichten wie gesetzlich Versicherte. Dies zum Beispiel dann, wenn sie gleiche Beiträge statt an die DRV an ihr Versorgungswerk abführen, meinen die Richter.
Insoweit bezieht sich der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab nicht nur auf die Gruppe der von der Versicherungspflicht befreiten angestellten Rechtsanwälten im Vergleich zu den nicht versicherungspflichtigen selbstständigen Rechtsanwälten. Zu den Vergleichsgruppen gehören die von der Versicherungspflicht Befreiten, die sich anders adäquat und vergleichbar abgesichert haben, und auch diejenigen Nicht-Versicherungspflichtigen, bei denen (bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze) nicht zwangsläufig eine anderweitige (Alters-) Sicherung möglich und/oder vorgeschrieben ist. Das ist aber bei einem Großteil der über 4,5 Millionen Selbstständigen der Fall. Damit sind die faktische Intensität und die Auswirkung der Ungleichbehandlung - selbst bei den von dem klagenden Anwalt betrachteten Vergleichsgruppen – nach Auffassung des BSG regelmäßig gering und den betroffenen selbstständig tätigen Rechtsanwälten zumutbar. Einen Verstoß gegen Art 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vermochte der Senat ebenfalls nicht zu erkennen.
Gute Aussichten für Verfassungsbeschwerde
Die Entscheidung der Richter begegnet doch massiven verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie übersieht zum einen, dass der selbständige Rechtsanwalt ebenfalls Pflichtbeiträge für seine Altersvorsorge zahlen muss, nämlich an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte aufgrund seiner konkreten Einkommenssituation. Damit ist er bei dem Argument des Aufbaus einer hinreichenden Altersversicherung mit dem angestellten Rechtsanwalt gleichzustellen.
Auch nicht von der Hand zu weisen ist das Argument des klagenden Anwalts, dass er einen erheblichen Wertverlust erleide, wenn er die geleisteten Beiträge erst bei Erreichen der Regelaltersgrenze erstattet bekommt. Denn diese Beiträge werden nicht verzinst, eine Inflation schlägt damit voll zulasten des Betroffenen durch. Gleichzeitig könnte der Rechtsanwalt die früher erstatteten Beiträge zum Beispiel für eine Erhöhung seiner Beiträge zum anwaltlichen Versorgungswerk verwenden und sich damit schon während seiner Tätigkeit besser nicht nur für seine Rente, sondern auch für die Berufsunfähigkeit absichern.
Eine Ungleichbehandlung zu den angestellten Kollegen oder Syndizi ist auch deswegen gegeben, weil der selbstständige Rechtsanwalt, sofern er zunächst noch zwei Jahre als angestellter Rechtsanwalt gearbeitet hätte, von der Versicherungspflicht befreit worden wäre – und entsprechend nach zwei Jahren die Auszahlung seiner Beiträge hätte verlangen können. Beim sofortigen Wechsel in die selbständige Tätigkeit kann er dies aber nicht. Eine logische Erklärung dafür gibt es nicht.
Eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht böte sich damit durchaus an. Dort könnte eine Verletzung der Art. 3 und 14 GG gerügt werden.
Der Autor Martin W. Huff ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kanzlei Legerlotz Laschet Rechtsanwälte in Köln.
Martin W. Huff, BSG zu Rückerstattung von Rentenversicherungsbeiträgen: Selbstständige Rechtsanwälte müssen bis zur Rente warten . In: Legal Tribune Online, 08.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24407/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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