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Strafrecht und Umweltschutz: Wird Wil­derei gefähr­lich unter­schätzt?

Gastbeitrag von Dr. Renate Mikus

15.05.2022

Ein Jagdrevier

Spätestens seit den Geschehenissen in Kusel stellt sich die Frage, ob Wilderei unterschätzt wird. Foto: Mike Mareen - stock.adobe.com

Es ist eine Straftat mit langer Geschichte, heute wird Wilderei aber mit modernster Technik ausgeübt. Verschachtelte Zuständigkeiten bremsen die Strafverfolgung. Der Polizistenmord bei Kusel wirft ein Schlaglicht auf ein wenig beachtetes Delikt.

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Der Tod einer Polizeianwärterin und eines Polizeihauptkommissars Anfang des Jahres in Rheinland-Pfalz hat auf brutale Weise das Delikt der Wilderei in die allgemeine Wahrnehmung gerückt. Die tödlichen Schüsse fielen bei einer nächtlichen Polizeikontrolle, die Polizisten hatten ein verdächtiges Fahrzeug angehalten, darin totes Wild. Ein Mord an zwei Polizisten, um ein eher harmloses Delikt zu vertuschen? Der Straftatbestand der Wilderei scheint aus einer anderen Zeit zu stammen, doch das Vorgehen heutiger "Wilddiebe" hat nichts Gestriges und vor allem nichts wild-romantisches. Gerade gewerbliche Wilderer arbeiten oft mit modernster Technik wie Nachtzielgeräten und Wärmebildkameras.

Auf tragische Weise spielte die moderne technische Wilderei-Ausrüstung auch eine Rolle bei dem Schusswechsel nahe Kusel, wegen dem die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern nun Anklage erhoben hat: Der nach seiner Kollegin angegriffene Hauptkommissar schoss noch 14 Mal auf den mutmaßlichen Haupttäter – war in der Dunkelheit aber so gut wie blind und damit chancenlos. Der mutmaßliche Todesschütze trug dagegen ein Nachtsichtgerät als er auf seine Opfer zielte.

Die Hintergründe des Falls führen zum Tatbestand der Wilderei, der in Deutschland nach der Ansicht von Naturschutzverbänden und Forstbehörden, aber auch vieler Jäger schon lange unterschätzt, ineffizient verfolgt und zu selten sanktioniert wird.

Wilderei, ein in Deutschland lange lässig verfolgtes Delikt

Belastbare Zahlen, wie oft in Deutschland gewildert wird, gibt es nicht. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2020 1.080 Fälle erfasst, 336 wurden aufgeklärt. Die Dunkelziffer wird von Stimmen in der Rechtswissenschaft allerdings mit bis zu 1:9 um ein Vielfaches höher geschätzt. Schon die Beweislage ist schwierig: Im Wald lassen sich selten Fingerabdrücke finden und für Aufnahmen von Wildkameras gilt aus Datenschutzgründen oft ein Beweisverwertungsverbot. LKA-Experten, die Forstbehörde und die örtliche Umweltbehörde, mit Fachkenntnis und Erfahrung zum Artenschutz und zum Tatort Wald, werden oft zu spät oder gar nicht eingeschaltet.

Ermittlungsverfahren werden, das beklagen Jagdverbände und bestätigen Forstbehörden, von der Staatsanwaltschaft sehr oft eingestellt, scheitern aber auch vor Gericht häufig an der Beweislage. Die Aufklärungsrate von Wilderei sei in Deutschland generell gering, so die Forstwirtin und Journalistin Diana Pretzell anlässlich eines Verfahrens um einen getöteten Luchs, "zum einen, weil die Natur selbst die Spuren rasch verwischt", vor allem aber "wurde Wilderei bislang weder im politischen noch gesellschaftlichen Diskurs als Delikt wirklich ernst genommen".

Der bei Kusel als Haupttäter des Mordes aus Habgier und zur Verdeckung einer Straftat Angeklagte, soll laut Landesjagdverband Rheinland-Pfalz jahrelang illegal bis zu 500 Tiere pro Jahr geschossen haben. Schon 2017 wurde gegen ihn laut Spiegel ermittelt, das Verfahren aber eingestellt. Wohl weil ihm Jagdfreunde für den entscheidenden Tattag, an dem ihn ein Jagdberechtigter stellte, den er fast überfahren haben soll, ein Alibi gaben. Trotzdem konnte er noch jahrelang weiter wildern.

Der Wilderei macht sich nach § 292 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, wer dem Wild unter Verletzung fremden Jagdrechts oder der Regeln der Jagdausübung nachstellt. Auch wer Eier, Federn oder ein unabsichtlich überfahrenes Wildtier mitnimmt, verwirklicht den Tatbestand. Ein besonders schwerer Fall liegt gemäß § 292 Abs. 2 vor, wenn gewerbs- oder gewohnheitsmäßig, zur Nachtzeit, in der Schonzeit, mit verbotenen Fallen oder in anderer nicht waidmännischer Weise gewildert wird oder mehrere Täter mit Schusswaffen gemeinschaftlich wildern.

Wilderei gilt als Vermögens- und nicht als Umweltdelikt 

Die Vorschriften zur Jagd wurden im Nationalsozialismus deutlich verschärft. Dies war nicht nur dem Zeitgeist geschuldet. Man nahm auch erstmals an, dass Wilderei nicht nur fremde Vermögensrechte verletzt, sondern als Eingriff in die Hege des Wildbestandes auch Rechtsgüter der Allgemeinheit tangiert. Doch trotz des starken Umweltbezugs verblieb die Wilderei als Vermögensdelikt in dem StGB-Abschnitt "Straftaten gegen das Vermögen" und fällt bis heute in vielen Bundesländern nicht in die Zuständigkeit der Naturschutzbehörden.

Der einfache Fall der Wilderei wird daher nur auf Antrag des Jagdberechtigten verfolgt, denn geschützt wird sein Recht, sich das Wild anzueignen. Das Zweit-Rechtsgut der Wildökonomie rückt die Wilderei zwar in die Nähe der Umweltdelikte, die in den §§ 324 ff. StGB geregelt sind, sie wird aber nicht als Umweltstraftat verfolgt. Als Vermögensdelikt aber wird die Wilderei schon wegen ihrer Vergangenheit als "Recht der kleinen Leute" gelegentlich in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch bei der Strafverfolgung noch als Kavaliersdelikt verortet.

Doch das Wildern gefährdet nicht nur die Wiederansiedlung von Luchs und Biber oder die Populationen von Greifvogelarten und sorgte auch bei Tieren durch Schlingenfallen oder Fehlschüsse für tagelanges Verenden. Das nicht überwachte Verarbeiten und Inverkehrbringen von Fleisch birgt Gesundheitsgefahren bis hin zu Zoonosen, Infektionskrankheiten, die sich von Tieren auf Menschen übertragen. Der unkontrollierte Einsatz von Waffen und Fallen gefährdet Dritte: Der Prozess wegen der Tötung der Polizeianwärterin und des Polizisten, der im Juni vor dem Schwurgericht in Kaiserslautern beginnen soll, betrifft nicht das erste Tötungsdelikte durch überraschte Wilderer.

Warum die Strafverfolgung der Wilderei "auf der Strecke blieb"

Die Arten- und Naturschutzaspekte des Wilderns sanktionieren § 17 des Tierschutzgesetzes und bei geschützten Arten wie Wildkatze oder Greifvögel Tatbestände der Naturschutzgesetze und der Bundesartenschutzverordnung. Die komplizierte juristische Gemengelage durch verschiedene Rechtsgüter, einerseits Vermögensdelikt, andererseits Wildökonomie und Artenschutz, bewirkt Strafverfolgung auf Grundlage unterschiedlicher Rechtsgebiete, überlappende Zuständigkeiten von Bund und Ländern bei divergierenden Landesrechten und oft unkoordinierter Behördenarbeit.

Während Polizisten mangels Wild- und Waldkenntnissen u. U. mit der Beweiserhebung überfordert sind, sind es Staatsanwälte und Richter offenbar nicht selten mit der Rechtslage: "Weil die Leute in Ämtern, bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu oft zu wenig Ahnung davon haben, welche Gesetze die Natur wie schützen und für welche Vergehen welche Strafen drohen", so Franz Böhmer vom Bundesamt für Naturschutz im Deutschlandfunk. Naturschutzbehörden dagegen können Wilderei oft nur zur Anzeige bringen, wenn sie den Artenschutz verletzt. Fälle gleiten so leicht durch das Netz der verschiedenen Zuständigkeiten oder werden eingestellt.

Das ermuntert Nachahmer und wird noch begünstigt, wenn Reviere groß sind und/oder der Jagdberechtigte nicht vor Ort leben, etwa weil Jagdgenossenschaften das Jagdrecht gegen eine hohe Pacht an entfernt lebende liquide Hobbyjäger vergeben. Die lange geplante Reform des Jagdrechts, die in der letzten Legislaturperiode an Kontroversen zwischen Wald- und Wildinteressen scheiterte, könnte hier gegensteuern.

Hightech-Wildern: 22 Stück Damwild in einer Nacht

Bei der Tötung der Polizisten in Rheinland-Pfalz wird teilweise nicht nur von gewerbsmäßiger Wilderei, sondern auch von mehreren Helfern ausgegangen: Die im zurückgelassenen Fahrzeug verbliebenen Wildtiere schienen laut Medienberichten zu viele, um sie zu zweit in einer Nacht zu schießen und transportfähig zu machen. Auf die hohe Präsenz der Wilderei, insbesondere in größeren, wenig besiedelte Waldgebieten, machen auch Beiträge in Jägerforen aufmerksam.

In der Schweiz werden Jagd- und Naturschutz-Delikte durch ein flächendeckendes Netz hauptamtlicher Wildhüter verfolgt, die teilweise Rechte der Polizei innehaben. In Deutschland wurde in NRW 2004 eine Stabsstelle für Umweltkriminalität und Tierschutzdelikte eingerichtet, die die Zusammenarbeit zwischen zahlreichen Einrichtungen und Behörden organisierte. Als die europaweit angesehene Stabsstelle nach 14 Jahren mit einem politischen Eklat, gefolgt von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, aufgelöst wurde, hatte sie die Zahl der Schuldsprüche für Wilderei in NRW verdoppelt. Die Auflösung gilt mittlerweile als Fehler.

Keine Schonzeit mehr für Wilderer

Naturschutzorganisationen und Politiker fordern regelmäßig, die Ermittlungsstrukturen anzupassen, mehr Prävention und öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen Wilderei. Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere Deutschland und Europa beim WWF, betont gegenüber LTO den Bedarf nach stärkerer Wissensvermittlung und mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften mit landesweiter Ermittlungsbefugnis für Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz und das Tierschutzgesetz. Durch eine Einordnung der Jagdwilderei als Umweltstraftat würden Umweltabteilungen und Schwerpunktstaatsanwaltschaften auch für Wilderei jenseits der "roten Liste" des Artenschutzes zuständig.

Die Defizite werden zunehmend erkannt: Im Saarland, so Tim Otto, Referatsleiter und Justitiar im Landes-Umweltministerium, "werden Einstellungen mittlerweile routinemäßig hinterfragt" und im Zweifel mit einer Restitutionsklage zwecks Wiederaufnahme angegriffen. Auch in der Koordination der Zusammenarbeit gibt es Fortschritte. Brandenburg hat Mitte 2020 eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den Bereich der schweren Umweltkriminalität installiert.

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Strafrecht und Umweltschutz: Wird Wilderei gefährlich unterschätzt? . In: Legal Tribune Online, 15.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48441/ (abgerufen am: 31.05.2023 )

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