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Vergabe IT-Aufträge: Klüngel und Fehler im System

Werner Frasch

06.12.2010

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© Chris Hellyar - Fotolia.com

Noch Ende September verwahrten sich der hessische Finanzminister Dr. Thomas Schäfer und der IT-Bevollmächtigte Staatssekretär Horst Westerfeld (beide CDU) gegen Vorwürfe, sie hätten das Vergaberecht missachtet. Fünf Wochen später räumte der Minister Fehler ein und gelobte Besserung. Doch auch jetzt ist die Praxis alles andere als tranparent.

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Anfang November sah der neue hessische Finanzminister keinen anderen Weg, als die Reißleine zu ziehen. Angesichts massiver Vorwürfe der Grünen und der SPD im Landtag, dass bei millionenschweren Aufträgen bei der Einführung des digitalen Behördenfunks Vetternwirtschaft im Spiel war, vollzog er einen höchst ungewöhnlichen Schritt.

Er beendete vorzeitig einen Rahmenvertrag über "Unterstützungsleistungen für den IT-Betrieb" mit einem Volumen von rund 21 Millionen Euro und einer Laufzeit bis Juli 2011. Der Auftrag wird neu ausgeschrieben. Einigermaßen verwirrend: Fast zeitgleich gab Innenminister Boris Rhein (CDU) den Startschuss für das Projekt Digitalfunk.

Die Kritik hatte sich an der Vorgehensweise bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich BOS-Digitalfunk und Polizei-Software entzündet. Diese komplexe Materie erfordert Spezialkenntnisse und  berührt auch Sicherheitsbelange. Trotz der entsprechenden Kostendimension allerdings glaubte die Vergabestelle, ohne öffentliche Ausschreibung vorgehen zu können.

Statt Markterkundung beschleunigtes nichtoffenes Verfahren

Der Auftrag mit einem Volumen von rund 18 Millionen Euro war denn auch in einem "beschleunigten nichtoffenen Verfahren" an die Wiesbadener Götzfried AG vergeben worden. In deren Aufsichtsrat sitzt der CDU-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Christean Wagner. Zwingend notwendig wäre jedoch eine umfassende europaweite Markterkundung gewesen. Zudem war ein Bieter rechtswidrig vom Verfahren ausgeschlossen worden.

Auch bei Controllig-Aufträgen im Zusammenhang mit dem digitalen Polizeifunk sei gemauschelt worden, lautete ein Vorwurf der Opposition. Mit einem Volumen von gut einer Million Euro gingen sie an die Valora Consulting GmbH. Verbindungen zu CDU-Kreisen auch hier: Einer der Teilhaber der Firma ist Mitglied des Landesvorstands des hessischen CDU-Wirtschaftsrats.

Der IT-Bevollmächtigte der Landesregierung, Staatssekretär Horst Westerfeld, verteidigte die Vorgehensweise. Den Zuschlag sei an das "geeignetste Angebot" gegangen; zudem habe keiner der Mitbewerber das Vergabeverfahren beanstandet.

Höherer Wettbewerbsdruck notwendig

Hinweise auf mögliche Verfehlungen gab es schon früh. Der Frankfurter Vergaberechtsexperte Heiko Höfler sah "deutliche Anzeichen für Rechtsverstöße". Nach seiner Einschätzung hätte im Interesse der Steuerzahler ein "erheblich höherer Wettbewerbsdruck" aufgebaut werden müssen.

Auch an den Folgen lässt der Rechtsprofessor keinen Zweifel: "Auftragsvergaben, die unter Missachtung bestehender Ausschreibungspflichten erfolgt sind, können grundsätzlich auch nachträglich noch von interessierten Unternehmen im Wege von Nachprüfungsverfahren oder Beschwerden zur EU-Kommission beanstandet werden."

Die Konsequenzen des Finanzministers folgten rasch. Eine Neustrukturierung der "Vergabepraxis des Landes Hessen im IT-Bereich" wurde angeordnet. Offenbar lag manches im Argen. Künftig soll es "besonders strenge interne Kontrollmechanismen" geben. Das hatte ihm auch ein externes Gutachten empfohlen.

Ohne externe Organisationsuntersuchung geht es nicht

Angesichts der Analyse blieb dem Minister wohl auch keine andere Wahl. Denn nur "in weiten Teilen" sind die Vergabeverfahren "vergabrechtskonform und diskriminierungsfrei durchgeführt worden". Ein 5-Punkte-Plan werde nun sicherstellen, dass in Zukunft bei IT-Aufträgen "sämtliche Vorgaben des Vergaberechts in vollem Umfang angewendet werden", wird der Minister in einer Presseerklärung zitiert.

Mit "Bordmitteln" lässt sich ein korrekter Verfahrensablauf offenbar nicht realisieren. Dazu ist eine externe Organisationsuntersuchung notwendig. Ein Interessebekundungsverfahren wurde gestartet.

Indessen sind weitere Zweifel an der Vergabepraxis laut geworden. Nach Recherchen des hessischen Rundfunks erhielt eine Berliner Sozialwissenschaftlerin den Auftrag für den Aufbau eines digitalen Polizeifunk-Netzes in Hessen, ohne dass das dieser zuvor ausgeschrieben worden wäre. Dazu kommen Zweifel an der fachlichen Befähigung der Beauftragten. In der Einschätzung eines Sprechers der Berliner Polizei-Gewerkschaft heißt es, das von der Wissenschaftlerin für Berlin entwickelte System sei äußerst problematisch und nicht flächendeckend nutzbar.

Auch Regierungssprecher Michael Bußer ist wenige Tage nach den Transparenzbekundungen des Finanzministers ins Visier der Opposition geraten. SPD und Grüne verlangten in der ersten Novemberwoche Aufklärung über die Rolle Bußers bei Aufträgen für das Ingenieurbüro eines Parteifreundes. Dabei geht es "nur" um 360.000 Euro.

Vergaberechts-Praktiker kritisieren zudem, dass die Landesregierung in ihrem Einführungserlass zur Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) und Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) 2009 von Anfang Dezember die Vergabestellen im Gegensatz zu anderen Bundesländern von der Pflicht zur nachträglichen Bekanntmachung vergebener Aufträge befreit haben. Diese Ex-Post-Transparenz wurde in die Vergabe- und Vertragsordnungen im vergangenen Jahr neu aufgenommen.

Der Autor Werner Frasch ist freier Journalist und Jurist.

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Werner Frasch, Vergabe IT-Aufträge: Klüngel und Fehler im System . In: Legal Tribune Online, 06.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2098/ (abgerufen am: 18.08.2022 )

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