Der Springer-Verlag will zwei Millionen Euro Abfindung von seinem ehemaligen Chefredakteur Reichelt zurückerhalten, weil er vertrauliche Nachrichten weitergegeben habe. Nach einem gerichtlichen Sieg des Verlages sieht es nicht aus.
"Persönlich und was unsere gemeinsame Weltsicht betrifft, fühle ich mich Dir nach wie vor sehr verbunden. Ich glaube, Du weißt das, aber ich wollte es Dir noch einmal sagen.", schrieb Springer-Chef Mathias Döpfner – nach Zeit-Recherchen – an Julian Reichelt nach dessen Entlassung als Bild-Chefredakteur.
Mit der persönlichen Verbundenheit dürfte es inzwischen endgültig vorbei sein. Im Saal 334 des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) kam es heute zum Schlagabtausch zwischen dem Axel Springer-Verlag, vertreten von Hengeler Mueller (Dr. Christian Hoefs) und Julian Reichelt, vertreten von Seitz (Dr. Stephan Pötters).
Hintergrund sind die Vorwürfe gegen Reichelt wegen Machtmissbrauchs und die darauffolgende Entlassung. Der Ex Bild-Chef unterhielt mehrere Beziehungen zu Mitarbeiterinnen. Er förderte gezielt junge Frauen, mit denen er Beziehungen einging. Der Spiegel fasste Reichelts Vorgehen unter dem Titel "Vögeln, fördern, feuern" zusammen. Reichelt bestreitet die Vorwürfe.
Nach Bekanntwerden derselben startete Springer eine Compliance-Untersuchung gegen Reichelt, die durch die Kanzlei Freshfields geleitet wurde. Freshfields-Anwälte kamen nach LTO-Informationen zu dem Schluss, dass eine wirksame Kündigung Erfolgsaussichten habe. Doch der Verlag hielt an Reichelt mit der öffentlichen Begründung fest, dass sich dieser nicht strafbar gemacht habe. Ein strategisches Ablenkungsmanöver. Denn ein strafbares Verhalten wird für eine wirksame Kündigung nicht unbedingt benötigt. Döpfner wollte Reichelt schlicht halten. Einige Monate später dann doch die Trennung, nachdem Reichelt eine weitere Beziehung zu einer Untergebenen verschwiegen haben soll.
Hat Reichelt gegen vertragliche Löschpflicht verstoßen?
Es folgte die Kündigung, die rechtlich wegen der vorangeschrittenen Zeit nur noch auf den neuen Sachverhalt, die weitere Beziehung, gestützt werden konnte. Die Erfolgsaussichten bewertete der Verlag als gering, weswegen eine Abwicklungsvereinbarung die Sache gütlich beenden sollte. Diese sah eine Abfindung in Höhe von zwei Millionen Euro für Reichelt vor, die ihm auch ausgezahlt wurden. Im Vertrag sicherte Reichelt zu, bestimmte unternehmensbezogene Schriftstücke, Dateien und Datenträger gelöscht zu haben. Außerdem unterzeichnete er ein Abwerbeverbot für Mitarbeiter.
Nach der Argumentation von Springer hat Reichelt zum einen mehrfach gegen das Abwerbeverbot verstoßen, weswegen der Verlag eine Vertragsstrafe in Höhe von 194.000 Euro fordert. Vor allem soll Reichelt laut Springer aber gegen die Geheimhaltungsvorschrift verstoßen, indem er dem Verleger der Berliner Zeitung Holger Friedrich im April 2023 Nachrichten zuschickte. Da die Millionenabfindung mit der Geheimhaltungspflicht in Verbindung stehe, müsse Reichelt sie zurückzahlen, so die Argumentation von Springer. Reichelt habe am 3.11.2022 die unwahre Erklärung abgegeben, sämtliche zu löschenden Dateien und Schriftstücke auch gelöscht zu haben.
Private Nachrichten?
Doch Reichelt Anwalt Pötters hat zwei Hauptargumente zur Abwehr des Anspruchs parat. Zum einen handele es sich bei den weitergegebenen Informationen nicht um Unternehmensinformationen, sondern um private Nachrichten zwischen Reichelt und einer Mitarbeiterin, mit der Reichelt ein Verhältnis gehabt habe. Derartige Privatnachrichten seien von der Klausel nicht erfasst.
Zum anderen habe Springer selbst einen sogenannten "Document Hold" zu Kommunikation mit der Mitarbeiterin ausgesprochen, der darauf gerichtet war, diese Nachrichten gerade nicht zu löschen. Denn ihre Nachrichten waren – aus Sicht von Springer – geeignet zu belegen, dass Reichelt gerade keinen "Sex on Demand" von der Mitarbeiterin verlangte. Und diesen Beleg konnte Springer wegen einer laufenden Klage der Frau gegen den Konzern in den USA dringend gebrauchen. Reichelt Anwalt Pötters zitiert eine Nachricht von Springer CEO-Döpfner an Reichelt, nach der Reichelt "alles dokumentieren" und der New York Times zur Verfügung stellen solle.
Widersprüchliche Springer-Argumentation
In der Tat wirkt die Springer-Argumentation auf zwei Ebenen widersprüchlich. Zum einen argumentierte der Konzern jüngst bei den von der Zeit veröffentlichten Nachrichten von Mathias Döpfner an Julian Reichelt, dass es sich dabei um Privatnachrichten handele. Nun soll es sich aber plötzlich bei Kommunikation zwischen Reichelt und einer Mitarbeiterin um unternehmensbezogene Kommunikation handeln? Zum anderen der klare Widerspruch zwischen der Aufforderung an Reichelt, auch von Döpfner persönlich, Dokumente zu sichern, andererseits nun die Behauptung die Aufbewahrung hätte gegen die Abwicklungsvereinbarung verstoßen.
Springer-Anwalt Christian Hoefs entgegnete jedoch, dass es sich bei den Chat-Nachrichten nicht um die einzigen Dokumente handele, die Reichelt weitergegeben habe. Man werde zu weiteren vertraulichen Unternehmensdokumenten vortragen, die Reichelt weitergeleitet habe. "Dann bricht ihre ganze Argumentation zusammen" so Hoef in Richtung Pötters. Warum dies bis heute noch nicht geschehen ist, blieb vor dem ArbG unklar. Reichelts Seite selbst spricht in Bezug auf die Klage von acht Seiten "inhaltlicher Substanzarmut".
Richterin fordert präzise Angaben seitens des Verlages
Arbeitsrichterin Anke Weyreuther machte im Gütetermin am Freitag klar, dass von Springer mehr kommen muss. Der Konzern müsse näher darlegen, welche Dokumente Reichelt übermittelt habe und warum diese von der Löschpflicht umfasst sind. Dies gelte auch für Beweise dahingehend, dass Reichelt Bild-Mitarbeiter aktiv für die Mitarbeit an seinem YouTube-Kanal abgeworben habe.
Weiter diskutierten die Parteien über die Frage, ob Reichelt einen Betrug begangen habe. Die Arbeitsrechtler stritten über komplexe Strafrechtsdogmatik, konkret zu der Frage, ob die Nichtgeltendmachung des Zurückbehaltungsrechts in Bezug auf die Abfindungssumme eine Vermögensverfügung darstellt. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin auf Grundlage einer Strafanzeige von Springer gegen Reichelt wegen des Verdachts des Betruges. Reichelt streitet den Vorwurf ab.
Schließlich wurde auch auf die Widerklage von Reichelt eingegangen. Dieser verlangt von Springer vor allem Dokumente zum gegen ihn geführten Compliance-Verfahren heraus. Insofern könnte es dann in diesem arbeitsgerichtlichen Prozess doch noch um die Frage der Aufklärung eines Machtmissbrauchs durch Reichelt gehen, spätestens wenn sich die Frage stellt, ob derartige Dokumente die Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte der aussagenden Frauen tangieren. Springer selbst verweigert aus eben diesem Grund – insoweit mit plausibler Argumentation – die Herausgabe.
Fortsetzung im November
Mangels Einigung am Freitag kündigte Richterin Weyreuther einen neuen Verhandlungstermin für den November an. Im Gespräch ist der 15.11. Um vor Gericht eine realistische Siegchance für den Rückerhalt der Millionenabfindung von Reichelt zu wahren, müssen der Springer-Konzern und seine Anwälte erheblich nachbessern.
Keine Einigung im Millionenstreit "Springer vs. Reichelt": . In: Legal Tribune Online, 09.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51966 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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