Seit der Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg diskutieren Bibliotheken, wie mit plagiierten Jura-Werken umzugehen ist. Stehenlassen, besonders kennzeichnen oder ins Magazin verbannen? Nun gibt es neue Vorgaben, weiß Jochen Zenthöfer.
Diese Entscheidung ist nicht einfach: Sollen plagiatsbehaftete Bücher in juristischen Bibliotheken oder Bibliotheken, die auch Rechtsliteratur führen, weiter vorgehalten werden? Droht die Perpetuierung von Plagiaten, wenn daraus zitiert wird? Vermutlich könnte man Bücher kennzeichnen, aber es ist kaum möglich, plagiatsbehaftete Passagen einzeln zu markieren.
Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) behilft sich seit einigen Jahren damit, im Katalog zu kennzeichnen, wenn ein Doktorgrad aberkannt wurde. Allerdings dürfen Pflichtexemplare nicht ausgesondert oder gar vernichtet werden. Sie bleiben Teil des Bestandes. Anders sieht es in juristischen Seminarbibliotheken aus. Dort verschwinden problematische Bücher des Öfteren aus der Freihandausleihe ins Magazin; wer sie ausleihen will, wird zunächst auf die Problematik des Buches hingewiesen.
In zehn Bundesländern werden nun Plagiatsbücher auch als solche in Bibliothekskatalogen gekennzeichnet: Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Jedenfalls gilt das für Dissertationen. Seit März 2024 gilt ein neues K10plus-Katalogisierungshandbuch für Hochschulschriften. Darin heißt es in Abschnitt 7.2., dass beim Entzug eines Doktorgrads verschiedene Angaben gelöscht werden, darunter die verleihende Institution und die Namen der Betreuer ("Doktoreltern").
Ältere Doktorgradentzüge werden wohl nicht händisch nachgetragen. Dafür gibt es für künftige Fälle neue Workflows an den Hochschulen, wie etwa die Universität Freiburg bestätigt. Geregelt ist darin auch, dass die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) informiert wird. Bislang nutzten viele Bibliotheken die Statistikseite der Wissenschaftsplattform "VroniPlag Wiki" als Informationsquelle. Diese hat freilich keinen offiziellen Charakter. Zudem sind dort bei weitem nicht alle Plagiatsfälle erfasst, vor allem beschränkt man sich weitgehend auf Dissertationen.
Umfrage zum Fall "Recht der Fintechs"
Für LTO habe ich recherchiert, wie die neuen Regelungen bei einem Plagiatsbuch umgesetzt werden, das keine Dissertation ist. Der letzte Jura-Plagiatsfall liegt nicht lange zurück: So befand sich Anfang 2024 das Praxishandbuch "Recht der Fintechs" kurz im Verkauf, bevor es vom Verlag De Gruyter zurückgerufen wurde. Umfangreiche Plagiate gab es in mehreren Kapiteln, unter anderem bei Herausgeber Thorsten Voß selbst. Bei den Bibliotheken, die das Buch als Pflichtexemplar führen, bleibt es im Bestand.
"Der Verlag informierte uns vor einiger Zeit, dass er das Werk nicht weiter vertreiben wird und bat um Rücksendung", berichtet Direktionsreferentin Tina Bode von der DNB. "Doch unterliegt ein einmal veröffentlichtes Medienwerk, auch wenn es zurückgerufen wird, der Pflichtablieferung gemäß Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG). Die DNB hat damit einen 'Rechtsgrund zum Behaltendürfen'. Wir archivieren das Buch in unserer Sammlung, verzeichnen es im Katalog, sperren es aber für die Benutzung."
Auch in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin befindet sich das Buch wegen der Abgabe von Pflichtexemplaren. Denn der Verlag De Gruyter hat seinen Sitz in Berlin. "Wir haben eine gesetzliche Archivierungspflicht für dieses Buch", erklärt Justin Gentzer: "Wir werden es weiterhin in unserem Katalog nachweisen, aber für die Benutzung sperren. Das Buch steht bereits im Magazin und ist somit nicht frei zugänglich."
Rücktritt vom Kauf und Gutschrift
Sucht man das Buch über den KOBV-Verbundkatalog, wird der Sperrvermerk zwar nicht angezeigt. Bei einer Suche im bibliothekseigenen Katalog ist ein entsprechender Hinweis jedoch ersichtlich. Er lautet: "Titel vom Verlag aus rechtlichen Gründen zurückgezogen, daher für Nutzung dauerhaft gesperrt." Gentzer betont, dass man das Buch als kostenloses Pflichtexemplar erhalten habe. Daher sei der Bibliothek kein finanzieller Schaden entstanden. "Aus diesem Grund sehen wir auch keinen Anlass Gewährleistungsansprüche zu stellen."
Auch die Universität Münster hat das Werk aus dem Katalog gelöscht. Uni-Pressesprecher Norbert Robers erklärt: "Sobald der Rückruf durch den De Gruyter Verlag erfolgt war, hat die Buchhandlung Krüper den von uns für die Zivilrechtliche Bibliothek erworbenen Titel zurückgefordert, den Kaufbetrag erstattet und das Buch an den Verlag zurückgeschickt."
Aus der Humboldt-Universität zu Berlin kündigt mit Imma Hendrix die stellvertretende Bibliotheksdirektorin folgendes an: "Wir werden das Exemplar aus dem Bibliotheksbestand entnehmen und uns mit unserem Vertragspartner zum Rücktritt vom Kauf verständigen." Die Hochschule Wismar hat das Buch bereits zurückgeführt und eine Gutschrift erhalten. Eva Ramminger von der Universität Innsbruck erklärt, dass man das Werk im Katalog BibSearch technisch so ausgeblendet habe, dass es nicht mehr sichtbar ist. "Darüber hinaus ist mein Team nun mit DeGruyter in Kontakt getreten, um die Kommunikation zu derartigen Fällen zu optimieren."
Eingeschränkte Ausleihe
Manuela Rutsatz, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation & Marketing an der Universität Augsburg berichtet dagegen, dass der Band nicht zurückgegeben wird: "Wir werden den Titel aus unserem Freihandbestand in den geschlossenen Bereich der Remota umstellen." Remota (Singular: Remotum) sind Bestände, die der Allgemeinheit der Benutzer nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind. In Augsburg ist die Nutzung des Buches noch bei nachgewiesenem wissenschaftlichem Interesse, etwa Forschung zu Plagiaten, möglich.
Besonders scheint, wie die Hamburger Bucerius Law School verfahren wird. Pressesprecher Jonathan Schramm kündigt an, "das Buch entsprechend des Verlagsrückrufs an diesen zurückzusenden". Aus Zeitgründen sei das bislang noch nicht geschehen, da aktuell noch geplant sei, die in der Veröffentlichung enthaltenen, nicht von Plagiatsvorwürfen betroffenen Beiträge "oberflächig auf interessante Aspekte zu prüfen". Diese Aussage ist interessant, denn die Teilnutzung des Buches vor dem Rücktritt wirft gewährleistungsrechtliche Folgefragen auf. Im Allgemeinen sind Verlagsrückrufe wegen Plagiaten selten. Schramm erzählt anekdotisch, dass man die Dissertation von Herrn zu Guttenberg damals im Bestand belassen und lediglich einen entsprechenden Vermerk in Katalog und Buch eingefügt habe.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Bibliotheken, die ein Jura-Plagiatsbuch als Pflichtexemplar erhalten haben, behalten es im Bestand, allerdings wird die Ausleihe eingeschränkt. Juristische Bibliotheken, etwa an Universitäten, sondern ein solches Werk mehrheitlich aus und machen Gewährleistungsansprüche geltend. Verbleibt das Buch im Bestand, wird es seit neuestem standardmäßig im Katalog als Plagiat gekennzeichnet – jedenfalls in den meisten Bundesländern.
Dr. Jochen Zenthöfer ist Journalist für Medien in Luxemburg und Deutschland. Er schreibt über Wissenschafts- und Rechtsthemen. Er hat unter anderem in Berlin Jura studiert und wurde an der Universität Potsdam promoviert. In der Vergangenheit war Zenthöfer etwa als Redenschreiber für den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen tätig.
Umgang mit plagiierten Jura-Büchern: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54429 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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