Seit sieben Jahren wehrt sich der SV Wilhelmshaven gegen Regularien der FIFA. Ein wenig erinnert der Widerstand des Fußballzwergs gegen den Weltverband an den Kampf der Gallier mit den römischen Besatzungsmächten. Vor dem LG Bremen musste der Verein am Freitag allerdings eine Niederlage einstecken. Weiterkämpfen wird er trotzdem, denkt Markus Schneider.
Nicht nur die geographische Lage an einer Nordwestküste verbindet den SV Wilhelmshaven mit dem aus zahlreichen Comics bekannten Dorf der Gallier. Auch die Kampfeslust, mit der sich der Verein einem übermächtigen Gegner entgegenwirft, lässt Assoziationen an die bekannten Comics erwachen. Der Regionalligist streitet seit ca. sieben Jahren beharrlich gegen geltendes Recht des Weltfußballverbandes FIFA und verweigert die Zahlung einer sogenannten Ausbildungsentschädigung an zwei argentinische Fußballvereine.
Die Niedersachsen sind kampferprobt. Im Jahr 2005 haben sie erfolgreich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg eine ähnliche Vorschrift zur Ausbildungsentschädigung nach den Fußballregeln des Deutschen Fußballbundes (DFB) bzw. des Niedersächsischen Fußballverbandes erfolgreich gekippt (OLG Oldenburg, Urt. v. 10.05.2005, Az. 9 U 94/04). Das OLG hatte unter Berufung auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahr 1999 zu Ausbildungsentschädigungen im Eishockey und Fußball einen Verstoß derartiger Entschädigungsregeln gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit festgestellt.
Südamerikanische Clubs verlangen Ausbildungsentschädigung vom SV
Inzwischen haben die Norddeutschen einen anderen Kampf zu kämpfen. Die Clubs Atlético Excursionistas und Club Atletico River Plate verlangen Entschädigungszahlungen, weil der SV einen jungen talentierten argentinischen Fußballer verpflichtet und ihm seinen ersten Profivertrag gegeben hat. Als Amateur und Jugendspieler war er – man ahnt es – für die Clubs aus Südamerika aktiv gewesen. Diese hatten ihn also ausgebildet und fordern dafür nun nach dem privaten Recht der FIFA eine Entschädigung ein.
Freiwillig kamen die Deutschen dem Verlangen nicht nach, in der Folge wurden sie vom zuständigen FIFA-Organ, der Kammer zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Resolution Chamber), zur Zahlung von 150.000 Euro verurteilt. Der SV legte Rechtsmittel beim Internationalen Sportgerichtshof CAS ein und verlor auch dort. Die gesetzte Zahlungsfrist ignorierte er. Die FIFA musste also schwereres Geschütz auffahren. Vereinsrechtliche Sanktionen machen schließlich nur dann Sinn, wenn sie wirksam durchgesetzt werden können. Im staatlichen Verfahrensrecht heißt das Zwangsvollstreckung.
Wer nicht hören will, muss fühlen: Punktabzug und Zwangsabtieg
Wie also gegen die Wilhelmshavener vollstrecken? Die FIFA-Regularien sehen verschiedene Strafen vor, zum Beispiel Punktabzug oder Zwangsabstieg in die nächsttiefere Spielklasse. Folglich sollten den widerspenstigen Niedersachsen erst einmal sechs Punkte für eine der kommenden Spielzeiten abgezogen werden. Mittlerweile hat die FIFA zudem einen Zwangsabstieg angeordnet. Umsetzen muss das Ganze der zuständige Länderverband, also der DFB. Dieser wiederum muss den für den Verein zuständigen regionalen Landesverband anweisen, die Entscheidung zu vollziehen. Der Norddeutsche Fußballverband (NFV) fügte sich, und zog dem Verein für die Saison 2012/2013 sechs Punkte ab.
Getreu den gallischen Vorbildern ließ Wilhelmshaven sich auch dieses nicht gefallen und zog erneut vor ein ordentliches Gericht, diesmal das Landgericht (LG) Bremen. Sehr zum Missfallen der FIFA, die Streitigkeiten mit ihren Mitgliedern innerhalb der autonomen Fußballfamilie und nicht vor staatlichen Instanzen verhandeln will. So verstieg sich der Weltverband zu teils heftigen Drohungen: Sollte es nicht gelingen, die Widerspenstigen zu zähmen, könne es gar den DFB selbst treffen. Von Ausschluss von allen FIFA-Wettbewerben war die Rede. Fußball-WM ohne die Deutschen als Folge unbeugsamer Regionalligakicker? Das klingt nun doch nach Kanonen und Spatzen.
2/2: SV Wilhelmshaven verliert vor LG Bremen
Vorerst jedenfalls hat das LG Bremen den Wilhelmshavenern einen Schuss vor den Bug verpasst. In seinem Urteil von Freitag wies das Gericht die Klage des Vereins ab (Urt. v. 25.04.2014, Az. 12 O 129/13). Die Entscheidungen des CAS zum Punktabzug und Zwangsabstieg seien bindend. Durch die Teilnahme am Spielbetrieb habe sich der SV den Satzungsregelungen des NFV bzw. des DFB unterworfen. Der DFB sei verpflichtet, die Entscheidungen der FIFA umzusetzen und könne sich zur Vollstreckung des beklagten NFV bedienen. Dieser handele quasi nur als Vollstreckungsorgan. Deshalb könne sich der Verein mit seinem Begehren nicht an den Beklagten, sondern nur an die FIFA selbst wenden.
Der SV wird weiter kämpfen. Die heute veröffentlichte Pressemitteilung des LG Bremen gibt allerdings für endgültige Bewertungen nicht viel her. Offenbar spielte die Frage der Ausbildungsentschädigung als solche für das aktuelle Verfahren gar keine Rolle. Das verwundert. Auch Vollstreckungsorgane müssen sich an Recht und Gesetz halten und dürfen keine verfassungswidrigen Entscheide vollstrecken.
SV könnte in höheren Instanzen Chancen haben
Viel spricht nämlich dafür, dass die verhängten und vom SV Wilhelmshaven bekämpften Strafen nach deutschem Recht gegen die Berufsfreiheit verstoßen. Der BGH und das OLG Oldenburg beanstandeten in den eingangs erwähnten Entscheidungen das deutsche System der Ausbildungsentschädigung generell. Dieses begünstige nur jene Vereine, denen es zufällig gelinge, Spieler bis in den Profibereich zu bringen. Die Jugendarbeit aller anderen Vereine bliebe ungefördert. Daher handele es sich bei der Ausbildungsentschädigung nicht um eine allgemeine Förderung von Jugendarbeit – so wie es letztlich auch die FIFA sieht – sondern um die gezielte Förderung des bezahlten Fußballs. Das sei ein kommerzielles und kein ideelles Interesse. Eingriffe in das Recht der betroffenen Fußballer, ihren Beruf frei zu wählen, könne es nicht rechtfertigen.
Ausbildungsentschädigungen sind somit nicht prinzipiell verfassungswidrig. Sie können im Einzelfall durchaus zulässig sein. Die im Wege eines Vergleiches durch einen Jugendfußballer akzeptierte Entschädigung hatte etwa das Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht beanstandet (Urt. 25.04.2013 Az. 8 AZR 453/12) und einen Rückforderungsanspruch verneint.
EuGH: Pauschale Entschädigungssummen sind unzulässig
Der Europäische Gerichtshof steht den Ausbildungsentschädigungen im Fußball ebenfalls skeptisch gegenüber. 2010 sah er in einer tarifvertraglichen Regelung im französischen Fußball einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit. Die Regel sprach dem ausbildenden Verein das Recht zu, Jugendspielern nach deren Ausbildung einen Vertrag anzubieten und, sollte der Spieler den Vertrag ablehnen, Schadenersatz zu verlangen. Problematisch war aber letztlich die systematische Festlegung einer pauschalen Entschädigung. Diese könne den Einzelnen hindern, das Freizügigkeitsrecht auszuüben. Wenn ein Verein Ausbildungskosten konkret nachweisen könne, stünde ihm eine Entschädigung insoweit unter Umständen zu.
Ob die FIFA – bzw. stellvertretend der NFV – in höheren Instanzen erfolgreich sein wird, ist also zumindest ungewiss. Denn das FIFA-System sieht Pauschalen vor. Diese sind zwar nach bestimmten Kriterien gestaffelt. Pauschalen bleiben aber Pauschalen. Auf DFB-Ebene jedenfalls wird als Konsequenz auf die Rechtsprechung aus den Jahren 1999 und 2005 auf ein Solidarsystem auf freiwilliger Basis der Bundesligavereine gesetzt.
Auf den weiteren Verlauf kann man gespannt sein. Und die Drohungen, die bis zum theoretisch möglichen WM-Ausschluss Deutschlands reichen, nicht zu ernst nehmen. Der Weltfußballverband wird sich mit einem seiner besten Pferde im Stall nicht anlegen, eine andere Lösung wird sportpolitisch gefunden werden. Innerhalb der Familie, versteht sich.
Der Autor Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).
Dr. Markus H. Schneider, SV Wilhelmshaven wehrt sich gegen FIFA-Regeln: Asterix gegen die Römer . In: Legal Tribune Online, 25.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11799/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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