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NSU-Untersuchungsausschuss legt Abschlussbericht vor: "Was wir jetzt nicht wissen, werden wir nie erfahren"

Interview mit Dr. Eva Högl

23.08.2013

Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschaepe

Bild: Christof Stache / AFP

Am Donnerstag stellte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags seinen vorläufigen Abschlussbericht vor. Darin geht er mit den Sicherheitsbehörden hart ins Gericht, von einem "Totalversagen" ist die Rede. Damit sich eine vergleichbare Verbrechensserie nicht wiederholen kann, macht der Bericht 47 Reformvorschläge. Über einige davon haben wir mit Eva Högl, der Obfrau der SPD, gesprochen.

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LTO: Frau Högl, nach 16 Monaten liegt jetzt der weit über 1.000 Seiten starke Abschlussbericht vor. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse, die Sie im Untersuchungsausschuss gewinnen konnten?

Högl: Da gibt es vor allem zwei Punkte. Erstens, dass die Gefahren, die vom Rechtsextremismus ausgehen, über Jahrzehnte hinweg beim Verfassungsschutz, in der Justiz und auch von der Politik nicht hinreichend ernst genommen wurden. Zweitens und gewissermaßen spiegelbildlich, dass die Opfer des NSU wegen ihres Migrationshintergrundes in den Ermittlungen selbst in einem kriminellen Milieu verortet und diskriminiert wurden.

Das Versagen der Sicherheitsbehörden ist dementsprechend auch nicht mit einzelnen handwerklichen Fehlern, Pannen oder Ungeschicklichkeiten zu erklären. Es ist vielmehr Ausdruck grundlegender, struktureller Probleme.

LTO: Zur Lösung dieser Probleme macht der Bericht 47 Reformempfehlungen. Welche davon halten Sie für besonders wichtig?

Dr. Eva HöglHögl: Zwei Vorschläge, die ich für zentral halte, betreffen die Polizei. Diese sollte bei jedem Verbrechen gegen Personen mit Migrationshintergrund routinemäßig verpflichtet sein, zu ermitteln, ob die Tat rassistisch motiviert gewesen sein könnte. Außerdem sollte auch die interkulturelle Kompetenz und Analysefähigkeit der Polizei gestärkt werden. Dies einerseits durch die Betonung entsprechender Inhalte in der Aus- und Weiterbildung, andererseits aber auch, indem bei der Einstellung von Polizeibeamten stärker auf kulturelle Vielfalt gesetzt wird. Von den im Ausschuss gehörten polizeilichen Zeugen hatte zum Beispiel kein einziger einen Migrationshintergrund.

"Es gibt keine Einzelmaßnahme, die die Verbrechen mit Sicherheit verhindert hätte"

LTO: Der Bericht schlägt vor, die Zuständigkeiten des Generalbundesanwalts klarer zu definieren und etwas weiter zu fassen. Was halten Sie davon?

Högl: Natürlich kann man nicht mit Bestimmtheit sagen, dass diese oder irgendeine andere Einzelmaßnahme die Mordserie verhindert hätte. Trotzdem hätte die gesamte Ermittlungsarbeit spätestens nach dem neunten Mord im Frühjahr 2006 in einer Hand zusammenlaufen müssen. Deshalb befürwortet der Ausschuss eine leichte Ausweitung der Bedingungen, unter denen der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich ziehen kann.

LTO: Eine gemeinsame Position des Ausschusses zur Frage nach der Zusammenlegung einzelner Landesverfassungsschutzämter gibt es nicht. Was halten Sie persönlich von diesem Vorschlag?

Högl: Herzlich wenig, und zwar vor dem Hintergrund der parlamentarischen Kontrolle. Diese setzt voraus, dass es ein eindeutiges Regierungshandeln gibt, welches man kontrollieren kann. Nehmen Sie zum Beispiel Berlin und Brandenburg. Wenn es einen gemeinsamen Verfassungsschutz für beide Länder gäbe, aber gleichwohl einen Innensenator in Berlin und einen Innenminister in Brandenburg, dann fiele diese Zuordnung schwer. Dementsprechend könnte dann auch weder der Landtag Brandenburg noch das Abgeordnetenhaus Berlin eine wirksame Kontrolle ausüben.

LTO: Sollte das Bundesamt für Verfassungsschutz denn zumindest in stärkerem Ausmaß eine leitende und kontrollierende Rolle übernehmen?

Högl: Auch dazu gibt es im Ausschuss keinen Konsens. Als SPD-Fraktion sind wir aber dafür. Es hat sich gezeigt, dass sowohl der Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden als auch der Austausch der Verfassungsschutzbehörden untereinander defizitär waren.

Ich finde auch nicht, dass jedes Landesamt für Verfassungsschutz sich mit jedem einzelnen Phänomen im Bereich des Extremismus‘ befassen muss. Man könnte das teilweise bündeln und zum Beispiel die Beobachtung des gewaltbereiten Rechtsextremismus dem Bundesamt für Verfassungsschutz übertragen.

Seite 1/2
  • Seite 1:

    Erkenntnisse und Empfehlungen des Abschlussberichts

  • Seite 2:

    V-Leute und das Ende der Arbeit im Ausschuss

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NSU-Untersuchungsausschuss legt Abschlussbericht vor: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9422 (abgerufen am: 17.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
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