Seit Beginn des Jahres beherrscht das NetzDG die Schlagzeilen. Medien, Politik und soziale Netzwerke überschlagen sich förmlich vor Kritik. Dabei gerät einiges durcheinander, was unbedingt getrennt werden sollte. Ein Überblick.
Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, kurz Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), heißt der Stein des Anstoßes in diesen Tagen. Das Gesetz aus dem Haus von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) entfaltet seit dem 1. Januar dieses Jahres seine ganze Wirkung.
Nach dem Gesetz sind soziale Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern verpflichtet, rechtswidrige Inhalte, die von Nutzern auf den Plattformen verbreitet werden, nach entsprechenden Beschwerden binnen kurzer Zeit zu löschen. Außerdem müssen sie nach § 3 NetzDG ein effektives Beschwerdemanagement sowie nach § 5 NetzDG einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland vorhalten. Auf diese Weise will die Bundesregierung gegen "Hate Speech" und "Fake News" als große Probleme des Internets vorgehen.
Doch nun steht das NetzDG plötzlich in dem Ruf, ein "Zensurgesetz" zu sein oder die sozialen Netzwerke zu Richtern zu erheben. Die harsche Kritik verlangt nach einer sachlichen Analyse der wesentlichen Behauptungen zum NetzDG.
Eine Löschpflicht bestand schon vor dem NetzDG
Jein, denn hier scheiden sich die Geister. So wird angeführt, die sozialen Netzwerke seien auch vor Inkrafttreten des NetzDG verpflichtet gewesen, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Die regelmäßig zitierte Norm ist dabei § 10 Telemediengesetz (TMG). Sie statuiert zwar genau genommen keine unmittelbare Verpflichtung zum Löschen rechtswidriger Inhalte, sieht allerdings vor, dass ein Plattformbetreiber bei Kenntnis einen rechtswidrigen Inhalt löschen muss, will er nicht selbst dafür verantwortlich gemacht werden. Daneben könnten nach bisheriger Rechtslage je nach Fall auch zivilrechtliche Ansprüche aufgrund einer Störerhaftung zu einer Löschpflicht führen. Erforderlich war dazu jedoch bisher, dass der Betroffene selbst seine Ansprüche geltend machte.
Fazit: Eine grundsätzliche Löschpflicht wie nun mit dem NetzDG bestand vorher nicht. Es gab jedoch Regelungen, die eine vergleichbare Rechtslage konstruierten - nur, dass diese selten durchgesetzt wurde, vor allem, weil Betroffene selbst tätig werden mussten, ohne dass die Betreiber der Plattformen etwa mit Bußgeldern zu rechnen hatten. Vor diesem Hintergrund trägt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz seinen Namen zurecht: Es geht nicht um eine Beschränkung dessen, was gesagt werden darf, sondern darum, die Durchsetzung eines Anspruchs auf Löschung von bestimmten Inhalten zu erleichtern.
Die Netzwerke müssen sehr schnell entscheiden
Stimmt. Das NetzDG erlegt den sozialen Netzwerken neben der Einrichtung eines transparenten und ständig verfügbaren Beschwerdeverfahrens (§ 3 Abs. 1) und der Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten (§ 5) vor allem die Pflicht auf, rechtswidrige Inhalte schnell zu löschen.
Dies muss nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG bei offensichtlich rechtswidrigen Inhalten binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde eines Nutzers, in anderen Fällen grundsätzlich binnen einer Woche geschehen.
Für die Entscheidungen bräuchten die Netzwerke juristisches Know-How
Das ist an sich erst einmal richtig. Das NetzDG verwendet wiederholt den Begriff "rechtswidrige Inhalte" und impliziert damit eine juristische Beurteilung. Für diese braucht es naturgemäß auch den entsprechenden Sachverstand.
Andererseits ist der Begriff auch irreführend. So meint rechtswidrig nicht jeden Verstoß gegen die Rechtsordnung, sondern vielmehr nur gegen eine der in § 1 Abs. 3 NetzDG abschließend aufgeführten Normen. Der Überprüfungsmaßstab bleibt dementsprechend überschaubar. Zumal juristische Expertise den Internetkonzernen durchaus zur Verfügung stehen dürfte.
Soziale Netzwerke werden zu Richtern erhoben
Nein. Oft ist dieser Tage zu lesen, dass soziale Netzwerke nun zu Richtern erhoben würden. Das hat das NetzDG aber nie vorgesehen und tut es bis heute nicht. Es erlegt den Digitalkonzernen zwar die Pflicht auf, rechtswidrige Beiträge binnen einer Frist zu löschen. Doch das hat wenig mit der Rolle des gesetzlichen Richters zu tun, auf den jeder gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) einen Anspruch hat.
Ein Strafrichter kann ein Strafurteil, beispielsweise eine Verurteilung wegen der beim NetzDG besonders relevanten klassischen Äußerungdelikten wie Beleidigung oder Volksverhetzung sprechen, ein Zivilrichter etwa die Unterlassung oder Löschung einer bestimmten Äußerung vorschreiben. All dies können die Netzwerke nach wie vor nicht. Ihre Aufgabe nach dem NetzDG ist einzig die, Beiträge von ihrer Seite zu entfernen. Die Kompetenz, Äußerungen allgemein zu untersagen oder gar eine Strafe aufzuerlegen, bleibt den Richtern vorbehalten.
Das Gesetz ist eine staatliche Zensur
Nein. Es geht um das Löschen durch private Unternehmen auf ihrer eigenen Website. Der Staat greift gerade nicht in die Meinungsäußerung von Privatpersonen ein, sondern es sind ebenfalls private Akteure - wie ja auch an anderer Stelle moniert wird. Auch die Kritik, durch die Schaffung des Gesetzes liege eine mittelbare Zensur vor, ist kaum haltbar. Das NetzDG verbietet und sanktioniert keine Meinungen, sondern schreibt nur die Löschung rechtswidriger Inhalte vor.
Materiell-rechtlich ändert sich nichts daran, welche Äußerungen verboten und welche erlaubt sind. Will man nicht ohnehin jedes Äußerungsdelikt aus dem Bereich der Strafbarkeit herausnehmen, so schränkt auch das NetzDG die Möglichkeiten des Sagbaren in keiner Weise ein. Ob das Gesetz politisch klug ist und in der Praxis gut funktionieren wird, ist dagegen eine andere Frage.
Das NetzDG verletzt die Meinungsfreiheit
Möglicherweise, wenn sich auch die Frage stellt, ob durch die Verpflichtung von Netzwerken, Inhalte zu löschen, die gerade nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind (rechtswidrig!), ein staatlicher Eingriff konstruiert werden kann.
Jedenfalls ist aber festzuhalten, dass die im GG festgeschriebene Meinungsfreiheit zunächst einmal nur gegen den Staat schützt. Der (ggf. im Einzelfall unberechtigte) Löschungsakt nach dem NetzDG erfolgt aber durch private Unternehmen. Wie nun bspw. der Privatdozent Dr. Mathias Hong in seinem Beitrag auf verfassungsblog.de anmerkt, sind Grundrechte im Wege der mittelbaren Drittwirkung auch unter Privaten zu berücksichtigen. Bei der Frage nach einer Grundrechtsverletzung durch das Gesetz spielt dies aber keine Rolle.
Das NetzDG fördert Denunziantentum
Ja, das kann es jedenfalls. Das Gesetz eröffnet nicht nur die Möglichkeit, effektiver als bisher auf die Löschung rechtswidriger Beiträge zu drängen. Es gibt auch die Möglichkeit, dies bei unbedenklichen, aber unliebsamen Meinungsäußerungen zu tun, da bei Falschbehauptung kein Risiko für den Meldenden besteht - anders als bei einer Strafanzeige.
Allerdings werden unbedenkliche Meinungsäußerungen in aller Regel kaum zu einer Löschung führen, sodass die Meldungen den Plattformen zwar Arbeit bereitet, für die Nutzer aber keine Folgen haben. Zudem können auch nicht jedem, der gegen Äußerungen im Netz vorgeht, gleich unlautere Motive unterstellt werden.
Netzwerke werden zu viel löschen, weil sie sonst Bußgelder zahlen müssen
Die vielfach geäußerte Furcht vor Overblocking - also dass Netzwerke aufgrund der drohenden Bußgelder eher zu häufig als zu selten löschen werden - ist nicht gänzlich unbegründet. Wenngleich man darüber streiten kann, ob die kurz nach der vollen Entfaltung des Gesetzes zum Jahresbeginn aufgetretenen Fälle wie der des Satire-Magazins "Titanic" als Beweis für eine generelle Overblocking-Tendenz taugen, so besteht dennoch die Möglichkeit. Gefördert wird diese Tendenz sicherlich dadurch, dass die Unternehmen keine Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie einen Post löschen, der nicht hätte gelöscht werden müssen.
Dagegen drohen nach dem Bußgeld-Katalog in § 4 bei Verstoß gegen die Pflichten aus dem Gesetz Strafzahlungen im hohen Millionen-Bereich, wenn nicht gelöscht wird, obwohl hätte gelöscht werden müssen. Auch hier lohnt es sich jedoch, genau hinzuschauen: Die Bußgeldvorschrift nimmt eben nicht direkt Bezug auf einen Verstoß gegen die Löschpflichten aus § 3, sondern sieht Bußgelder nur für den Fall vor, dass "entgegen § 3 Absatz 1 S. 1 ein dort genanntes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden von Beschwerdestellen oder Nutzern, die im Inland wohnhaft sind oder ihren Sitz haben, nicht, nicht richtig oder nicht vollständig" vorgehalten wird. Sie will also nur systematisches Versagen sanktionieren, das Stehenlassen eines einzelnen oder auch mehrerer Posts mit fragwürdigem Inhalt dürfte für die Unternehmen kaum eine Gefahr darstellen.
Hass im Netz lässt sich nicht per Gesetz bekämpfen
Das stimmt wohl. Wenngleich Äußerungen aus dem Netz verschwinden, so verschwindet aller Voraussicht nach damit nicht die Geisteshaltung mancher User. Für Nutzer, die öffentlich diffamiert werden, könnte es aber durchaus ein gutes Mittel sein, um persönlichen Schaden von sich abzuwenden.
Maximilian Amos, NetzDG zum Mitreden: Warum Twitter nicht verurteilt . In: Legal Tribune Online, 11.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26419/ (abgerufen am: 09.12.2023 )
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