Der Umsatz mit In-App-Käufen im Gaming-Bereich wächst auch bei Minderjährigen. Besonders die glücksspielähnlichen Lootboxen sind sehr beliebt. Doch obwohl Bund und Länder Regelungsbedarf sehen, passiert bislang zu wenig, meint Julian Krüper.
Die gerade zu Ende gegangene weltgrößte Spielemesse Gamescom in Köln hatte prominenten Besuch. Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Robert Habeck, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, gaben sich die Ehre. Gaming ist eine große Sache, ökonomisch, technisch und gesellschaftlich, denn es berührt auch Fragen des Jugendschutzes. Dieser betrifft die Inhalte von Spielen (man denke an die “Killerspiel”-Debatte), aber auch und zunehmend die Möglichkeit, innerhalb der Spiele weitere Käufe zu tätigen. Eine Form dieser In-App-Käufe sind die unter dem englischen Begriff der Lootbox geläufigen Beutekisten, deren digitale Inhalte (Items) für den Spieler verschieden nützlich für den Fortgang seines Spieles sein können.
Was eine solche Lootbox enthält, ist vor dem Kauf nicht oder nur vage bekannt und vom "Zufall" des Algorithmus abhängig, den der Anbieter programmiert hat: mal ist der Inhalt nützlich oder attraktiv, dann wieder nicht. Mal ist er selten, dann wieder bloß Massenware. Das Besondere ist: Die erworbenen Items können an andere Spieler verkauft werden, auf offiziellen und inoffiziellen Online-Märkten. Zwar wird dies durch die Anbieter oft in deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen untersagt, allerdings nicht wirksam unterbunden. Das liegt natürlich nicht an mangelndem technischem Sachverstand: Die Handelbarkeit der Items oder auch ganzer Spieler-Konten steigert vielmehr die Attraktivität der Spiele und ist damit auch für die Anbieter wirtschaftlich sehr interessant.
Seit langem herrscht Einigkeit darüber, dass der Kauf einer Lootbox in gewisser Hinsicht dem Glücksspiel ähnelt. Umstritten ist allein, ob es sich dabei im Rechtssinne um Glücksspiel handelt. So ist etwa fraglich, ob die zum Kauf der Lootbox eingesetzte Spielwährung ein Entgelt im Sinne des Glücksspielbegriffs ist und ob die Items einen vermögenswerten Vorteil für den Spieler bilden. Denn offiziell soll der Inhalt der Lootbox den Spieler im Spiel erfolgreicher oder das Spiel attraktiver machen und nicht für (teils mehrere Tausend Euro) auf dem Zweitmarkt verkauft werden.
Die Ähnlichkeit zum Glücksspiel
Kaum umstritten ist dagegen, dass die Ähnlichkeit zwischen dem Kauf einer Lootbox und klassischen Glücksspielen für Kinder und Jugendliche messbare Risiken begründet, die die Entwicklung von Suchtverhalten begünstigen und die Ansprechbarkeit für Glücksspielangebote erhöhen. Vor dem Hintergrund, dass Minderjährigen die Teilnahme an Glücksspiel grundsätzlich verboten ist (§ 4 III 2 des Glücksspielstaatsvertrags* (GlüStV) und § 6 II des Jugendschutzgesetzes (JuSchG)), besteht weitgehend Konsens, dass Lootboxen - auf welche Weise auch immer - reguliert werden müssen.
Trotz Einigkeit in der Sache scheinen sich allerdings weder die Länder noch der Bund um die Regulierung zu reißen: kein Bock auf Beutekisten, so scheint es. Dabei lägen verschiedene bewährte und evidenzbasierte Instrumente aus dem Bereich des Glücksspielrechts durchaus parat. Gesetzgeberisch zugreifen könnten dabei sowohl Bund wie Länder – und das eröffnet beiden Seiten die Option, der jeweils anderen die Regelungsverantwortung zuzuweisen.
Der Bund kann über seine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 7 des Grundgesetzes das Problem im Jugendschutzgesetz angehen, die Länder wiederum könnten es über ihre Kompetenz für den Jugendmedienschutz oder, wenn sie sich dazu bereitfänden, über ihre Kompetenz für das Glücksspielrecht regeln.
Die passenden Instrumente liegen parat
Zwar hat der Bund im vergangenen Jahr in § 10b III 2 JuSchG den zuständigen Behörden ein Instrument in die Hand gegeben, Medien mit glücksspielähnlichen Elementen den allgemeinen Regeln des bundesrechtlichen Jugendschutzes zu unterwerfen. Dieser reicht allerdings nicht sehr weit. Daher räumt das Jugendschutzgesetz in § 16 den Ländern die Befugnis ein, weitergehende Regelungen für sogenannte Telemedien zu schaffen, zu denen die in Rede stehenden Spiele zählen.
Die Länder wiederum, nimmt man den jüngsten Beschluss ihrer Verbraucherministerkonferenz zur Hand, fordern den Bund auf, sich des Problems anzunehmen und unterbreiten auch gleich einige Vorschläge, was der Bund hier wie regeln sollte. Dabei fällt unter den Tisch, dass die Länder nicht erst durch § 16 JuSchG, sondern über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag durchaus selber über ein Regelungsmedium verfügen, in dem sie die Lootbox-Problematik angehen könnten.
Und natürlich könnten sich die Länder auch entschließen, Lootboxen als Glücksspiel zu qualifizieren und dem Glücksspielstaatsvertrag zu unterwerfen. Mit einer bloßen Klarstellung wäre es dabei allerdings kaum getan. Vielmehr müssten die Lootboxen einer der bestehenden Spielformen und deren Regeln zugeordnet werden. Alternativ könnten die Länder den Kauf der Beutekisten auch als eigene Spielform definieren.
So oder so: Eine Neuregelung müsste von Anfang die Dynamik des Gegenstandes in den Blick nehmen, um das übergeordnete Problem der Verschmelzung von Gaming und Gambling in den Griff zu bekommen: Lootboxen sind ein, aber voraussichtlich nicht das einzige Phänomen in diesem Bereich.
Glücksspielrechtliche Regulierung ungeeignet
Ob dabei das Glücksspielrecht das richtige Instrument zur Regelung der Lootboxen ist, ist jedoch fraglich. Die für das sonstige Online-Glücksspiel vorgesehenen Instrumente scheinen wenig geeignet zur Regulierung von Lootboxen, etwa die anbieterübergreifende Limitdatei zur Begrenzung der Einsätze oder der für das digitale Automatenspiel vorgesehene Panikknopf zum sofortigen Abbruch des Spiels. Gaming ist eben nicht das Gleiche wie Gambling, so sehr sich Annäherungen der beiden Bereiche auch beobachten lassen. Andere Instrumente aber stehen durchaus zur Wahl: Regelungen zur sogenannten Ereignisfrequenz beispielsweise, die die Häufigkeit der Kaufmöglichkeiten adressieren würden, Transparenzregeln, Ausgabenbeschränkungen und Vorgaben für die sogenannten In-Game-Währungen.
Allerdings könnte die Sache alsbald auch vor Gericht vorentschieden werden: In Österreich ist jüngst schon in zweiter Instanz der Verkauf von Lootboxen als illegales Glücksspiel klassifiziert und damit "verglücksspielrechtlicht" worden. Eingesetzte Beträge müssen den klagenden Gamern danach rückerstattet werden. Es ist anzunehmen, dass solche Klagen aufgrund ähnlicher Rechtslage künftig auch in Deutschland unternommen werden, insbesondere wenn Prozessfinanzierer beteiligt sind, wie es in Österreich der Fall war.
Selbstverpflichtungen als Alternative
Sollten Bund oder Länder nicht unmittelbar tätig werden (wollen), liegt eine Alternative in Selbstverpflichtungen der Game-Branche. Der englische Branchenverband "United Kingdom Interactive Entertainment" hat jüngst eine Selbstverpflichtungserklärung mit insgesamt elf Punkten vorgelegt, wie In-App-Gaming-Angebote künftig gestaltet werden sollen.
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind auch in Deutschland verbreitet. Flankiert man sie mit gesetzlichen Regelungen für den Fall, dass sie nicht eingehalten werden, gewinnen sie auch an Durchschlagskraft. Aber auch solche gesetzlichen Regelungen müssten erst einmal getroffen werden und das Gespräch mit der Branche gesucht werden. Bund und Länder sind – auch hier wieder - am Zug.
Der Autor Prof. Dr. Julian Krüper ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Ruhr-Universität Bochum und geschäftsführender Direktor des drittmittelgeförderten Instituts für Glücksspiel und Gesellschaft (www.glueg.org), dessen Jahrestagung vom 20. bis 22. September in Bochum stattfindet.
* Zunächst war hier als Norm § 4 V Nr. 1 GlüStV zitiert. Das Verbot ergibt sich aber aus § 4 III 2 GlüStV. (04.09.2023, 18:55 Uhr, Red.)
Bund und Länder warten ab: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52617 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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