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Leutheusser-Schnarrenberger zum Ende ihrer Amtszeit: "Nach Mollath hätte ich gern die Unterbringung reformiert"

Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

17.12.2013

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Bild: JOHANNES EISELE / AFP

Ganz kurz vor der Vereidigung ihres Nachfolgers Heiko Maas hat die nun ehemalige Bundesjustizministerin noch mit LTO gesprochen. Im Interview verrät Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wieso Deutschland mit der großen Koalition große Chancen vertut, freut sich über den Teilerfolg in Sachen Vorratsdatenspeicherung und erklärt, und was sie nach dem Ende ihrer Amtszeit am wenigsten vermissen wird.

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"Wiederbelebte Vorratsdatenspeicherung wäre ein grotesk falsches Signal"

LTO: Sie sind seit 1990 Bundestagsabgeordnete, waren zwei Mal Bundesjustizministerin. Nach dem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde stehen Ihnen beide Ämter nicht mehr offen, am heutigen Dienstag wird Ihr Nachfolger Heiko Maas vereidigt. Guido Westerwelle hat sie als deutsche Kandidatin für den Posten des Generalsekretärs des Europarates vorgeschlagen. Haben Sie vor, diesen Weg zu gehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe stets gesagt, dass ich mich auch nach meiner Zeit im Bundestag und in der Bundesregierung für die Bürger- und Menschenrechte einsetzen werde. Der Europarat und die parlamentarische Versammlung, deren Mitglied ich vor einigen Jahren war, sind für mich international herausragende Institutionen, wenn es um Fragen der Menschenrechte geht. Daher freue ich mich sehr, dass mich die Bundesregierung für dieses Amt vorgeschlagen hat.

LTO: Besonders standfest haben Sie sich stets gegen die Vorratsdatenspeicherung gewehrt. Nach dem derzeitigen Stand der Koalitionsverhandlungen wollen Union und SPD diese aber einführen. Trügt das Gefühl, dass die  Bundesregierung aus der NSA-Affäre eher den Schluss zieht, selbst mehr Daten erheben und speichern zu wollen, als die Datenerhebung durch andere Staaten auszuschließen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das müssen Sie die künftige Bundesregierung fragen. Richtig ist, dass eine Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung ein grotesk falsches Signal an die Bürgerinnen und Bürger sendet. Mir fehlt dafür jedes Verständnis. Deutschland könnte und sollte ein Vorreiter eines modernen Staatsverständnisses sein, in dem nicht die massenhafte Datenspeicherung als Allheilmittel gepriesen wird. Diese Chance wird gerade vertan.

"Die Kommission muss die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aufheben"

LTO: Am 12. Dezember hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für in vollem Umfang unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharte erklärt . Deutschland hat diese trotz Fristablaufs nie umgesetzt, weil u.a. Sie die Rechtmäßigkeit der Richtlinie seit jeher angezweifelt haben. Wie wird es nun Ihres Erachtens weiter gehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich greife dem Europäischen Gerichtshof nicht vor. Ich halte es aber für ein politisch falsches Signal, mit der Wiedereinführung Fakten zu schaffen, bevor Luxemburg ein Urteil gefällt hat. Die Schlussanträge des Generalanwalts sprechen jedoch eine sehr deutliche Sprache: Die Vorratsdatenspeicherung ist mit der Grundrechtecharta unvereinbar.

Die Kommission ist nun am Zug. Sie muss die Richtlinie aufheben. Ob es darüber hinaus Gespräche bezüglich des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens geben wird, muss mit meinem Nachfolger, Heiko Maas, geklärt werden. Sollte der EuGH dem Generalanwalt folgen, ist eine Verurteilung Deutschlands im Vertragsverletzungsverfahren nicht vorstellbar.

LTO: Wie beurteilen Sie insgesamt die nun zutage tretenden Erkenntnisse über Datengewinnung und Speicherung in Deutschland in den vergangenen Jahren? Ist das gar Wasser auf die Mühlen einer bekennenden Datenschützerin?

Leutheusser-Schnarrenberger: Datenschützer wurden in manchen Kreisen als Sicherheitsrisiko gesehen, so etwas habe ich jetzt lange nicht mehr gehört. Studien zeigen bereits deutlich, dass viele Menschen sehr viel vorsichtiger beim Umgang mit ihren Daten werden. Viele Unternehmen fürchten um ihre Kunden – sogar in Amerika rechnet man mit hohen Milliardenverlusten, weil die Nutzer Angst um ihre Daten haben. Das sind Fakten, die sich bei künftigen Debatten nicht wegwischen lassen.

"Zurück zum Liberalismus in seiner ureigenen Bedeutung"

2/2: "Nach dem Fall Gustl Mollath hätte ich gern die Unterbringung reformiert"

LTO: Welche Themen lagen Ihnen noch besonders am Herzen, die Sie gerne in einer weiteren Amtszeit umgesetzt hätten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir hatten Reformüberlegungen zum Recht der Unterbringung vorgelegt, mit denen die Unterbringung einer strengeren und häufigeren Kontrolle unterworfen werden sollte. Damit haben wir auch auf den Fall Gustl Mollath reagiert. Hier hätte ich gerne meine Vorstellungen in die Praxis umgesetzt und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Unterbringung das ihm angemessene Gewicht verliehen.

Wir haben bei der Gleichstellung eingetragener Lebenspartner  erst einen ersten Schritt getan. Hier hätte ich gern dafür gesorgt, dass wir nicht wieder vom Bundesverfassungsgericht getrieben werden. Dasselbe gilt für die Rechte für Intersexuelle. Ihr Geschlecht muss zwar nicht mehr bei der Geburt festgelegt werden , aber es schließen sich nun viele Folgefragen an, die ebenfalls gelöst werden müssen.

Wir bräuchten eine sinnvolle Form der anlassgebundenen Vorratsdatenspeicherung, etwa Quick Freeze  – die große Koalition überschlägt sich hier gerade im Eifer, diese Datenberge anzulegen. Die Ergebnisse der Regierungskommission mahnen zudem eine Überarbeitung der Sicherheitsgesetze  an – auch das wird mit der großen Koalition nicht geschehen. Die gesamte Sicherheitsarchitektur muss zudem überprüft werden, das hat das Versagen der Dienste bei der NSU gezeigt und das zeigt sich auch anhand der NSA-Enthüllungen. Im Wirtschaftsrecht haben wir bereits eine gute Grundlage mit einem Diskussionsentwurf für die Dritte Stufe der Insolvenzrechtsreform, also das Konzerninsolvenzrecht.

LTO: Welche Themen schreiben Sie sich für eine eventuelle Zukunft im Europarat auf die Fahnen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Menschenrechte sind in vielerlei Hinsicht bedroht. Der Europarat ist mit seinen 47 Mitgliedstaaten das wichtigste Menschenrechtsorgan in Europa. Noch ist es aber zu früh für programmatische Festlegungen.

"Nur die FDP verkörpert den Liberalismus"

LTO: Hat das schlechte Ergebnis der FDP bei der Bundestagswahl Sie überrascht? Oder ist es für Sie als im originären Sinne Liberale, die sich stets vehement für Freiheit und Bürgerrechte eingesetzt hat, gar eine logische Konsequenz der Politik der Partei in den vergangenen Jahren?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dass die FDP bei der Bundestagswahl komplett aus dem Bundestag gewählt wurde, hat mich überrascht und erschüttert. Unsere Politik war gerade davon geprägt, dass wir nach dem Stakkato immer neuer Sicherheitsgesetze einmal einen kritischen Blick gewagt haben und auch Gesetze zur Stärkung der Bürgerrechte verabschiedet haben – etwa das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit. Die Regierungskommission hatte ich schon erwähnt. Wann hat der Staat seine eigenen Befugnisse schon einmal hinterfragt? Das Problem ist, dass man mit liberalen Themen leichter in die Defensive gerät, wenn Scharfmacher Drohkulissen aufbauen und damit Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung bewerben.

Allerdings hat das schlechte Wahlergebnis viele Ursachen, die wir gerade auf einem außerordentlichen Bundesparteitag diskutiert haben und sicher noch lange diskutieren werden.

LTO: Was muss die Partei Ihres Erachtens tun, um in vier Jahren wieder in den Bundestag einzuziehen? Würden Sie mehr Rückbesinnung auf rechtsstaatliche Werte, auf Freiheit und Bürgerrechte für den richtigen Weg halten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben gerade auf dem außerordentlichen Bundesparteitag Christian Lindner als Vorsitzenden gewählt. Er hat das Ziel des Wiedereinzugs in den Bundestag ausgerufen und auf sehr überzeugende Weise für den Liberalismus geworben. Wir müssen zeigen, dass allein die FDP diesen Begriff in seiner ureigenen Bedeutung verkörpert und welche Forderungen sich aus dem Liberalismus im Tagesgeschäft ergeben. Derzeit ist es Marketing-Strategie in vielen Parteien geworden, sich mit dem Wort Liberalismus zu schmücken. Liberal ist jedenfalls nicht, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte müssen Kernanliegen der FDP sein.

LTO: Haben Sie einen Tipp für Ihren Nachfolger, Heiko Maas, der jetzt in "Ihr" Ministerium einzieht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich erteile der künftigen Bundesregierung keine Ratschläge, und Heiko Maas braucht sicher keine Nachhilfe. Aber es gibt natürlich eine ordentliche Übergabe. Das Bundesjustizministerium ist als eines der zwei Verfassungsressorts im besonderen Maße zum Schutz der Grundrechte berufen, das gilt gerade in Zeiten des digitalen Wandels.

LTO: Erlauben Sie uns am Ende noch zwei fast persönliche Fragen: Was werden Sie am meisten vermissen? Und worauf freuen Sie sich?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ein Bundestagsmandat und natürlich auch das Amt einer Bundesministerin bringen viele Gestaltungsmöglichkeiten mit sich – das werde ich natürlich vermissen. Aber wahr ist auch, dass ich mich durchaus freue, eine Weile keine eiligen Anrufe entgegennehmen zu müssen – gerade um die Weihnachtszeit, im Kreise von Freunden und Verwandten.

LTO: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die Fragen stellten Pia Lorenz und Dr. Claudia Kornmeier.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Leutheusser-Schnarrenberger zum Ende ihrer Amtszeit: "Nach Mollath hätte ich gern die Unterbringung reformiert" . In: Legal Tribune Online, 17.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10388/ (abgerufen am: 31.03.2023 )

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