2/2: "Nach dem Fall Gustl Mollath hätte ich gern die Unterbringung reformiert"
LTO: Welche Themen lagen Ihnen noch besonders am Herzen, die Sie gerne in einer weiteren Amtszeit umgesetzt hätten?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir hatten Reformüberlegungen zum Recht der Unterbringung vorgelegt, mit denen die Unterbringung einer strengeren und häufigeren Kontrolle unterworfen werden sollte. Damit haben wir auch auf den Fall Gustl Mollath reagiert. Hier hätte ich gerne meine Vorstellungen in die Praxis umgesetzt und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Unterbringung das ihm angemessene Gewicht verliehen.
Wir haben bei der Gleichstellung eingetragener Lebenspartner erst einen ersten Schritt getan. Hier hätte ich gern dafür gesorgt, dass wir nicht wieder vom Bundesverfassungsgericht getrieben werden. Dasselbe gilt für die Rechte für Intersexuelle. Ihr Geschlecht muss zwar nicht mehr bei der Geburt festgelegt werden , aber es schließen sich nun viele Folgefragen an, die ebenfalls gelöst werden müssen.
Wir bräuchten eine sinnvolle Form der anlassgebundenen Vorratsdatenspeicherung, etwa Quick Freeze – die große Koalition überschlägt sich hier gerade im Eifer, diese Datenberge anzulegen. Die Ergebnisse der Regierungskommission mahnen zudem eine Überarbeitung der Sicherheitsgesetze an – auch das wird mit der großen Koalition nicht geschehen. Die gesamte Sicherheitsarchitektur muss zudem überprüft werden, das hat das Versagen der Dienste bei der NSU gezeigt und das zeigt sich auch anhand der NSA-Enthüllungen. Im Wirtschaftsrecht haben wir bereits eine gute Grundlage mit einem Diskussionsentwurf für die Dritte Stufe der Insolvenzrechtsreform, also das Konzerninsolvenzrecht.
LTO: Welche Themen schreiben Sie sich für eine eventuelle Zukunft im Europarat auf die Fahnen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Menschenrechte sind in vielerlei Hinsicht bedroht. Der Europarat ist mit seinen 47 Mitgliedstaaten das wichtigste Menschenrechtsorgan in Europa. Noch ist es aber zu früh für programmatische Festlegungen.
"Nur die FDP verkörpert den Liberalismus"
LTO: Hat das schlechte Ergebnis der FDP bei der Bundestagswahl Sie überrascht? Oder ist es für Sie als im originären Sinne Liberale, die sich stets vehement für Freiheit und Bürgerrechte eingesetzt hat, gar eine logische Konsequenz der Politik der Partei in den vergangenen Jahren?
Leutheusser-Schnarrenberger: Dass die FDP bei der Bundestagswahl komplett aus dem Bundestag gewählt wurde, hat mich überrascht und erschüttert. Unsere Politik war gerade davon geprägt, dass wir nach dem Stakkato immer neuer Sicherheitsgesetze einmal einen kritischen Blick gewagt haben und auch Gesetze zur Stärkung der Bürgerrechte verabschiedet haben – etwa das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit. Die Regierungskommission hatte ich schon erwähnt. Wann hat der Staat seine eigenen Befugnisse schon einmal hinterfragt? Das Problem ist, dass man mit liberalen Themen leichter in die Defensive gerät, wenn Scharfmacher Drohkulissen aufbauen und damit Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung bewerben.
Allerdings hat das schlechte Wahlergebnis viele Ursachen, die wir gerade auf einem außerordentlichen Bundesparteitag diskutiert haben und sicher noch lange diskutieren werden.
LTO: Was muss die Partei Ihres Erachtens tun, um in vier Jahren wieder in den Bundestag einzuziehen? Würden Sie mehr Rückbesinnung auf rechtsstaatliche Werte, auf Freiheit und Bürgerrechte für den richtigen Weg halten?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben gerade auf dem außerordentlichen Bundesparteitag Christian Lindner als Vorsitzenden gewählt. Er hat das Ziel des Wiedereinzugs in den Bundestag ausgerufen und auf sehr überzeugende Weise für den Liberalismus geworben. Wir müssen zeigen, dass allein die FDP diesen Begriff in seiner ureigenen Bedeutung verkörpert und welche Forderungen sich aus dem Liberalismus im Tagesgeschäft ergeben. Derzeit ist es Marketing-Strategie in vielen Parteien geworden, sich mit dem Wort Liberalismus zu schmücken. Liberal ist jedenfalls nicht, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte müssen Kernanliegen der FDP sein.
LTO: Haben Sie einen Tipp für Ihren Nachfolger, Heiko Maas, der jetzt in "Ihr" Ministerium einzieht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich erteile der künftigen Bundesregierung keine Ratschläge, und Heiko Maas braucht sicher keine Nachhilfe. Aber es gibt natürlich eine ordentliche Übergabe. Das Bundesjustizministerium ist als eines der zwei Verfassungsressorts im besonderen Maße zum Schutz der Grundrechte berufen, das gilt gerade in Zeiten des digitalen Wandels.
LTO: Erlauben Sie uns am Ende noch zwei fast persönliche Fragen: Was werden Sie am meisten vermissen? Und worauf freuen Sie sich?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ein Bundestagsmandat und natürlich auch das Amt einer Bundesministerin bringen viele Gestaltungsmöglichkeiten mit sich – das werde ich natürlich vermissen. Aber wahr ist auch, dass ich mich durchaus freue, eine Weile keine eiligen Anrufe entgegennehmen zu müssen – gerade um die Weihnachtszeit, im Kreise von Freunden und Verwandten.
LTO: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellten Pia Lorenz und Dr. Claudia Kornmeier.
Leutheusser-Schnarrenberger zum Ende ihrer Amtszeit: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10388 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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