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Raubkunst-Fund in Schwabing: Sind die Sünden der Nazis verjährt?

von Peter Bert

06.11.2013

Die Staatsanwaltschaft Augsburg präsentiert auf einer Pressekonferenz Bilder der gefundenen Kunstwerke

CHRISTOF STACHE / AFP

Dix, Beckmann, Nolde und Marc sind nur einige Namen der Künstler, deren Werke die Staatsanwaltschaft Augsburg schon im Jahr 2012 in einer Münchner Wohnung beschlagnahmt hat. Es hat lange gedauert, bis die Ermittler die Öffentlichkeit informierten. Zu lange, findet Peter Bert. Die Eigentumsverhältnisse an den Bildern zu klären, wird aber wohl noch viel länger dauern.

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Auch nach der Pressekonferenz der Augsburger Staatsanwaltschaft bleiben viele Fragen offen zu einem der offenbar größten Kunstfunde der deutschen Nachkriegszeit. Was ist bislang bekannt? Im September 2010 fiel der damals 76-jährige Cornelius Gurlitt bei einer Kontrolle an der deutsch-schweizerischen Grenze wegen mit sich geführten Bargeldes auf. Daraufhin wurde gegen ihn wegen des Verdachts auf Steuervergehen ermittelt und im Februar 2012 seine Wohnung in Schwabing durchsucht, wo die Beamten die Bilder sicherstellten.

Cornelius Gurlitt ist der Sohn von Hildebrand Gurlitt. Der Kunsthistoriker und Kunsthändler hatte während des dritten Reichs in offizieller Mission mit "entarteter Kunst" gehandelt und war möglicherweise auch an der Beschaffung von Kunstwerken für das "Führermuseum" in Linz beteiligt. Offenbar hatte er seine Position zu dem Zweck ausgenutzt, die nun bei seinem Sohn gefundene Sammlung - dieser Begriff scheint hier nicht so recht zu passen – aufzubauen.

Nach dem Krieg hatte Gurlitt angegeben, seine Sammlung sei im Februar 1945 in den Bombenangriffen auf Dresden zerstört worden. Offenbar wollte er weder Provinienz noch Existenz seiner Sammlung offen legen. Auch sein Sohn hielt sie seitdem geheim, und verkaufte nur einzelne Werke, zuletzt im Jahr 2011 Max Beckmanns "Löwenbändiger".

Gefundene Raubkunst muss öffentlich bekannt gemacht werden

Der Fall wirft eine Reihe von Fragen auf, denen man sich auf der bislang bekannten Tatsachenbasis nur höchst spekulativ nähern kann. Diese sind nicht nur rechtlicher Natur.

So hat die ermittelnde Augsburger Staatsanwaltschaft bei ihrer Pressekonferenz deutlich gemacht, dass sie den Kunstfund ohne den Bericht des Focus nicht publik gemacht hätte. Es sei für sie kontraproduktiv gewesen, mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen, die Ermittlungen seien nun enorm erschwert, sagte Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz.

Dabei sind ermittlungstaktische Gründe gegen einen Gang an die Öffentlichkeit nicht erkennbar. Erst recht nicht solche, welche die eigentumsrechtlichen und politischen Gründe überwiegen könnten, die für eine Publikation sprachen. Zumal die Staatsanwaltschaft offenbar nicht einmal den Aufenthaltsort von Cornelius Gurlitt kennt.

Gefundene Raubkunst muss öffentlich bekannt gemacht werden. Das sehen die Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998 vor. Man wird nun abwarten müssen, ob die Staatsanwaltschaft Augsburg ein Verzeichnis der gefundenen Kunstwerke veröffentlichen und es somit möglichen Berechtigten erlauben wird, ihre Ansprüche zu überprüfen und anzumelden.

Angesichts der Vielzahl zu erwartender Ansprüche wäre es sinnvoll, wenn sich die verschiedenen Interessengruppen auf einen möglichst effizienten Prozess zur Klärung einigen. Möglicherweise könnte eine Task Force der auch als Limbach-Kommission bekannten Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter weiterhelfen.

Raubkunst kann man nicht gutgläubig erwerben

Bei der Überprüfung der zahlreichen Ansprüche, die nun geltend gemacht werden dürften, wird man nicht umhinkommen, für jedes einzelne Kunstwerk die Besitzkette zu erforschen. Von den Besitzern bis zu Gurlitt.

Es wird wohl zwei Hauptgruppen von Kunstwerken geben, nämlich solche aus – zumeist jüdischem – Privatbesitz und solche aus öffentlichen Sammlungen. Es spricht vieles dafür, dass die jüdischen Sammler noch immer Eigentümer der Werke sind. Niemand konnte diese gutgläubig erwerben, wenn die Bilder abhandengekommen oder gestohlen waren (§ 935 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB).

Allerdings könnten die Restitutionsansprüche der jüdischen Eigentümer und ihrer Erben auch an Anmelde- oder Verjährungsfristen scheitern.

Bei verschollener Kunst laufen keine besonderen Fristen

Ihnen wird aber die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr (BGH, Urt. v.16.03.2012, Az.V ZR 279/10) zur Sammlung Hans Sachs helfen. Die Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs wurde 1938 im Auftrag Goebbels‘ beschlagnahmt, Teile davon tauchten erst in den siebziger Jahren in der damaligen DDR wieder auf.

Der BGH gab der Herausgabeklage des Sohns von Hans Sachs gegen das Deutsche Historische Museum in Berlin statt. Der V. Zivilsenat  ging wie schon das Kammergericht davon aus, dass Hans Sachs das Eigentum an der Plakatsammlung zu keiner Zeit verloren habe.

Anders als die Vorinstanz waren die Karlsruher Richter jedoch der Auffassung, dass insbesondere die Anmeldefristen für Restitutionsansprüche nach den Regeln über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB nicht verdrängen, wenn die Kunstwerke verschollen waren, als die Fristen nach diesen besonderen Restitutionsregeln am 30. Juni 1950 abliefen. Das dürfte auf die Mehrzahl, wenn auch nicht auf alle nun gefundenen Kunstwerke zutreffen.

Jedenfalls rechtspolitisch: Keine Verjährung für den bemakelten Besitzer!

Während das Deutsche Historische Museum im Fall Hans Sachs die Einrede der Verjährung ausdrücklich nicht erhoben, sondern eingewandt hatte, der Herausgabeanspruch sei verwirkt, könnte Cornelius Gurlitt den Verjährungseinwand geltend machen. Das ist ihm nicht per se verwehrt.

Die Berufung auf die Verjährung der Ansprüche der jüdischen Sammler könnte allerdings  treuwidrig im Sinne des § 242 BGB sein. Gesteht man auch dem "bemakelten" Besitzer den Verjährungseinwand zu, so kann dieser wegen § 935 BGB zwar nicht Eigentum erwerben, aber Besitzer bleiben. Eigentum und Besitz würden dann dauerhaft auseinander fallen, ein rechtspolitisch höchst umstrittenes Ergebnis.

Ein englischer Richter des Londoner High Court hat im Prozess der Stadt Gotha um die Herausgabe eines bei Sotheby zur Versteigerung gestellten Gemäldes im Jahr 1998* erwogen, deswegen deutsches Recht nicht anzuwenden. Das  Argument des englischen Richters, dieses Ergebnis verstoße gegen den englischen ordre public, stünde den deutschen Gerichten nicht zur Verfügung. Auch sie sollten aber vermeiden, dass Eigentum und Besitz an den geraubten Kunstwerken der jüdischen Sammler für immer auseinander fallen. Erreichbar wäre das über § 242 BGB.

Der Autor Peter Bert ist Rechtsanwalt, Solicitor (England & Wales) und Partner bei Taylor Wessing in Frankfurt am Main. Er befasst sich mit internationalen Schieds- und Zivilverfahren und bloggt unter www.disputeresolutiongermany.com.

*Anm. d. Red.: Fälschlich stand hier zunächst, der Prozess habe im Jahr 1999 stattgefunden. Wir bitten um Entschuldigung. Die Änderung wurde vorgenommen am Tag der Veröffentlichung des Beitrags, 20:04 Uhr.

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Raubkunst-Fund in Schwabing: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9970 (abgerufen am: 13.05.2025 )

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