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1998

Korruption im Gesundheitswesen: Medi­ziner auf der Ankla­ge­bank

von Dr. Heiner Hugger, LL.M.

23.11.2010

Korruption im Gesundheitswesen

© RB-Pictures - Fotolia.com

Das Amtsgericht Ulm hat erstmals zwei Kassenärzte wegen Bestechlichkeit verurteilt. Sie hatten von einem Pharmaunternehmen Schecks für die Verschreibung eigener Produkte erhalten. Dr. Heiner Hugger über Risiken für Ärzte und Healthcare-Unternehmen und die Notwendigkeit spezifischer Compliance-Maßnahmen.

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Immer wieder werden im Gesundheitswesen Korruptionsvorwürfe erhoben. Seit den 90er Jahren gab es zahlreiche Strafverfahren gegen Mitarbeiter von Healthcare-Unternehmen sowie von Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen. Die Verfahren dauern meistens mehrere Jahre und werden teilweise gegen tausende Beschuldigte geführt. Oft werden lastwagenweise Unterlagen und Daten im Terabyte-Bereich beschlagnahmt. Allein schon die Verfahren sind für die Betroffenen sehr belastend, auch wenn viele Verfahren nicht zu Verurteilungen führen. Die Zusammenarbeit von Healthcare-Unternehmen mit niedergelassenen Ärzten war allerdings vergleichsweise selten Gegenstand von strafrechtlichen Vorwürfen und Ermittlungen.

Das könnte sich nach einem Urteil des Amtsgerichts (AG) Ulm vom 26. Oktober 2010 (Az. 3 Cs 37 Js 9933/07) nun ändern. Das AG verurteilte zwei Ärzte einer Gemeinschaftspraxis unter anderem wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und erlegte ihnen Zahlungen von jeweils 20.000 Euro zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung auf. Die beiden sollen in den Jahren 2002 bis 2005 von einem Pharmaunternehmen vierzehn Schecks über insgesamt 19.180 Euro erhalten haben. Das Geld soll als "Umsatzbeteiligung" für die Verschreibung von Produkten des Unternehmens gezahlt worden sein, deren Kosten von Krankenkassen getragen werden.

Das Gericht wertete das Verhalten der beiden Ärzte als strafbare Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im Sinne von § 299 Strafgesetzbuch (StGB). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Ärzte Rechtsmittel eingelegt haben.

Die Unrechtsvereinbarung als Streitpunkt

Das Urteil folgt der Richtung, die ein Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig vom 23. Februar 2010 (Az. Ws 17/10) in einem Fall gewiesen hat, in dem ein Apotheker das Verschreibungsverhalten von Kassenärzten durch Geldzahlungen beeinflusst haben soll. Nach Auffassung der Richter wird bei der Verschreibung eines Medikaments ein Kaufvertrag zwischen der Krankenkasse und dem Apotheker zu Gunsten des Patienten geschlossen, bei dem der Kassenarzt als Vertreter der Krankenkasse tätig wird. In der Rechtswissenschaft ist das heftig umstritten.

In dem vom OLG Braunschweig entschiedenen Fall kam es darauf im Ergebnis jedoch nicht an, da es aus anderen Gründen keine strafbare Bestechlichkeit des betroffenen Kassenarztes angenommen hat. Demnach fehlte es in dem Fall an der für eine Strafbarkeit nach § 299 StGB zusätzlich erforderlichen Unrechtsvereinbarung zwischen dem Arzt und dem Apotheker. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass als Gegenleistung für die Geldzahlungen eine unlautere Bevorzugung bei der Verschreibung von Medikamenten erfolgen soll.

Gerade eine solche Unrechtsvereinbarung hat das AG Ulm nun angenommen: Nach seiner Auffassung sollten die beiden Ärzte Schecks von dem Pharmaunternehmen erhalten, um im Gegenzug dessen Produkte bevorzugt zu verschreiben.

Strafrechtliche Wirrungen und Prävention durch adäquate Compliance

Neben dem aktuellen Urteil verdient ein weiteres Verfahren Beachtung. Vor dem Landgericht (LG) Hamburg wurde vor kurzem eine Anklage gegen einen niedergelassenen Arzt und eine Mitarbeiterin desselben Pharmaunternehmens zugelassen. Falls gegen ein entsprechendes Urteil Rechtsmittel eingelegt würde, müsste sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) mit der strafrechtlichen Bewertung der Fallgestaltung befassen.

Aus den Reihen der Staatsanwaltschaften wird eine solche höchstrichterliche Klärung gefordert, und aus BGH-Kreisen war zu hören, dass an einer Strafbarkeit von Ärzten nach § 299 StGB in solchen Fällen keine Zweifel bestehen. Auch die Politik hat sich nunmehr des Themas angenommen: Mit einem am 10. November 2010 gestellten Antrag will die SPD-Bundestagsfraktion erreichen, dass im StGB ein spezieller Straftabestand für Korruptionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte geschaffen wird.

Die Healthcare-Branche ist seit Jahren ein Vorreiter auf dem Gebiet der Compliance-Arbeit. Verbände und Unternehmen der Branche arbeiten im Durchschnitt auf einem sehr hohen Compliance-Niveau. Dennoch sollte nun jedes Unternehmen den Bereich der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten genauer unter die Lupe nehmen. Soweit erforderlich, sind die gestiegenen Strafverfolgungsrisiken durch spezifische Compliance-Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Die Unternehmen sollten ihre Beziehungen zu niedergelassenen Ärzten überprüfen und jedenfalls Zuwendungen einstellen, die als Belohnung für die Verschreibung ihrer Produkte gewährt werden. Das gilt auch dann, wenn es sich nicht um direkte Geldzahlungen handelt, sondern um sonstige Zuwendungen wie etwa die Übernahme von Reisekosten.

Der Autor, Dr. Heiner Hugger, LL.M., ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance in Frankfurt und berät Mandanten zu Fragen des Wirtschaftsstrafrechts, der Compliance und der Betrugsbekämpfung.

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Heiner Hugger, Korruption im Gesundheitswesen: Mediziner auf der Anklagebank . In: Legal Tribune Online, 23.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1998/ (abgerufen am: 23.09.2023 )

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