Überholspuren für Premium-Passagiere an den Sicherheitskontrollen deutscher Flughäfen werden bislang unkritisch geduldet. Dabei sind diese nicht nur unfair, sondern vor allem strafbar. Auch Fluggäste selbst könnten sich schuldig machen.
Warteschlangen vor der Flughafen-Sicherheitskontrolle sind für Flugreisende ein unvermeidbares Übel. Für Zahlungskräftige ist daher die Verlockung groß, sich eine Verkürzung der Wartezeit zu erkaufen. Denn während Vordrängeln normalerweise als rücksichtslos und unkultiviert gilt, werben Airlines mit dem Privileg bevorzugter Sicherheitskontrollen. Bei Lufthansa etwa steht dieses allen Premiumkunden zur Verfügung und wird mit prestigeträchtigen Titeln bedacht ("Star Alliance Gold Member" etc.).
Das Nachsehen haben die anderen: Die Zweiklassengesellschaft im Luftverkehr ist, so der Bundesrechnungshof 2019 in einem vertraulichen Gutachten im Auftrag des Bundesinnenministeriums, unfair, ineffizient und mit Kosten für die Allgemeinheit verbunden. Der amerikanische Jurist David Post zieht aus ähnlichen Gründen den Schluss, jener Handel "Zeit gegen Geld" sei nichts anderes als eine Form der Korruption. Er hat Recht.
Tatsächlich ist die unkritische Duldung sog. Fast Lanes vor der Sicherheitskontrolle an deutschen Flughäfen nicht bloß wegen ihrer Störwirkung auf das Gerechtigkeitsempfinden erstaunlich. Sie verwundert auch deshalb, weil der Bundesgerichtshof (BGH) erst 2022 der Einrichtung von Fast Lanes vor der Passkontrolle eine Absage erteilt hat.
Vor allem aber liegt eine strafbare Amtsträgerbestechung gemäß §§ 332, 334 Strafgesetzbuch (StGB) vor. Denn die Abwicklung der Sicherheitskontrollen an Flughäfen inkl. der davor entstehenden Warteschlangen ist dem Staat zurechenbar – im Gegensatz zum Boarding-Prozess, den allein die Airlines verantworten. Deshalb sind die mit der Organisation der Warteschlangen betrauten Personen, die "Warteschlangenmanager", dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem daraus folgenden Prinzip "first come, first served" verpflichtet.
Die Passagiere bezahlen die Airlines und die Airlines die Flughafenbetreiber
Der BGH hat längst klargestellt, dass die erkaufte zeitliche Bevorzugung bei einer Verwaltungstätigkeit als pflichtwidrige Ermessenshandlung und damit als Bestechung einzustufen ist (Urt. v. 08.11.1951, Az. 3 StR 822/51). Später hat er dies ausdrücklich auf Grenzkontrollen bezogen und Zahlungen an Zöllner als Gegenleistung für eine vorrangige Abfertigung für korruptiv erklärt (Urt. v. 31.05.1983, Az. 1 StR 772/82). Premium-Passagiere per Fast Lane zeitlich vorzuziehen, ist eine solche strafbare Beschleunigungskorruption. Denn hier wird einem Amtsträger ein Vorteil als Gegenleistung für eine pflichtwidrige Handlung gewährt.
Die Durchführung der Sicherheitskontrolle ist Staatshandeln. Dadurch werden die mit dem vorgelagerten Warteschlangenmanagement betrauten Personen zu Amtsträgern im strafrechtlichen Sinn. Der Betrieb von Airport-Fast Lanes ist dabei in ein schwer durchschaubares Geflecht aus Aufgabenprivatisierung und Kommerzialisierung eingebettet. Die Sicherheitskontrolle selbst ist hoheitliche Aufgabe der Bundespolizei (§ 5 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) i.V.m. § 4 Bundespolizeigesetz (BPolG)). Diese delegiert die Durchführung regelmäßig an beliehenes privates Sicherheitspersonal (sog. Luftsicherheitsassistenten). Die vorgelagerte Warteschlange organisiert dagegen – ohne dass es für diese Arbeitsteilung eine Rechtsgrundlage gäbe – das Personal des Flughafenbetreibers, in der Regel privatrechtliche Gesellschaften.
Die dadurch erlangte Gatekeeper-Stellung nutzen die Flughafenbetreiber zur Einrichtung der Fast Lanes – und damit zum Geldverdienen. Denn die Airlines bezahlen den Flughafenbetreiber dafür, dass ihre Premium-Passagiere die Abkürzung nutzen dürfen. Anders formuliert: Ein Teil der Preise für Premium-Flugtickets wird von den Airlines dazu verwendet, das Recht zum Vordrängeln an der Sicherheitskontrolle beim Flughafenbetreiber einzukaufen.
__
Die wichtigsten Rechtsdebatten des Landes – verständlich und kontrovers aufbereitet – im neuen LTO-Podcast "Die Rechtslage"
__
Auf die Rechtsform des Flughafenbetreibers kommt es nicht an
Dass die Bundespolizei die beteiligten Akteure gewähren lässt, verwundert nicht, hat sie doch durch das faktische Outsourcing weniger Arbeit. Lediglich für den Fall einer dünnen Personaldecke bei hohem Passagierandrang behält sich die Bundespolizei das Weisungsrecht vor, dem Flughafenbetreiber das Freihalten von Fast Lanes zu untersagen.
Die irreguläre Bevorzugung (durch die Fast Lane) gegen Zuwendung eines Vorteils (Geldzahlung der Airline) zulasten der dadurch länger wartenden "Holzklasse"-Passagiere ist eine Unrechtsvereinbarung i.S.d. §§ 332, 334 StGB. Dem steht nicht entgegen, dass die Flughafenbetreiber als GmbH oder Aktiengesellschaften organisiert sind. Denn § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB stellt klar, dass es für die Amtsträgereigenschaft eines Bediensteten nicht auf die Organisationsform seines Arbeitgebers ankommt, sondern auf die Art der ausgeübten Tätigkeit.
Dabei sind einige Gerichte der Ansicht, dass der Betrieb von Verkehrsflughäfen zur Daseinsvorsorge gehört und bereits deshalb jeder, der daran mitwirkt, Amtsträger sei. Ganz so einfach macht es sich der BGH aber nicht: Zumindest bei umfangreicher privater Beteiligung sind Flughafenbetreiber keine quasi-staatlichen "sonstigen Stellen" i.S.d. § 11 StGB (BGHSt 45, 16). Allerdings genügt für die Amtsträgereigenschaft auch die Übertragung von einzelnen staatlichen Verwaltungsaufgaben auf Individuen. Bei der Organisation der Warteschlage vor der polizeilichen Sicherheitskontrolle am Flughafen handelt es sich um eine solche öffentliche Aufgabe.
Warum Warteschlangenmanager Amtsträger sind
Die Sicherheitskontrolle selbst ist unstreitig eine öffentliche Aufgabe. Die sich davor bildende Warteschlange steht mit ihr als typische Folge in einem untrennbaren inneren Zusammenhang. Entsprechend hat das OLG Frankfurt a.M. die zivilrechtliche Haftung des Staates für Verzögerungen in der Warteschlange bejaht (Urt. v. 27.1.2022, Az. 1 U 220/20). Wenn aber der Staat für ungebührlich lange Wartezeiten haftet, muss auch deren Vermeidung (durch gute Organisation der Schlange) in seinen Verantwortungsbereich fallen.
Eine Aufspaltung in einen hoheitlichen Teil (Taschen- und Personenkontrolle) und einen nicht-hoheitlichen Teil (Wartschlange) der Aufgabe ist nicht möglich: Beide Tätigkeiten müssen ständig koordiniert und aufeinander abgestimmt werden, um die Aufgabenerfüllung überhaupt gewährleisten zu können. So sehen es einige Behörden auch in anderen Zuständigkeitsbereichen, in denen sie eine Alleinkompetenz zum Warteschlangenmanagement beanspruchen. So geht die Berliner Verwaltung aktiv gegen Privatunternehmen vor, die mittels Software die elektronische Terminvergabe der Bürgerämter kapern, um einen preislich gestaffelten Markt für an sich kostenlose Behördentermine zu schaffen.
Zudem widerspricht eine vollständige Privatisierung der Wartschlange dem Schutzzweck von Art. 3 Abs. 1 GG. Das Diskriminierungsverbot bei staatlichen Aufgaben wäre für die Betroffenen letztlich wertlos, wenn der Zugang hierzu willkürlich verzögert oder versagt werden kann. Dann besteht nämlich die Gefahr, dass ärmere Personen den "Anwendungsbereich" der Gleichbehandlung überhaupt nicht erreichen. Wer beim Bürgeramt einen Reisepass beantragt, dem bringt die theoretische Gleichbehandlung mit anderen Antragstellern wenig, wenn er keinen Termin bekommt, weil er ihn sich nicht leisten kann – weil sich Private die verfügbaren Termine unter den Nagel reißen und meistbietend verkaufen. Den Hoheitsträger trifft deshalb die Verantwortung, bereits den Zugang zu seiner Aufgabenerfüllung diskriminierungsfrei auszugestalten. Das gilt für Leistungen des Bürgeramtes genauso wie für die Sicherheitskontrolle am Flughafen.
BGH hält Fast Lane bei Passkontrolle für unzulässig
Speziell für die hoheitliche Passkontrolle am Flughafen (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BPolG) hat sich der BGH jüngst diesem Standpunkt angeschlossen. Er hat dort betont, dass das Warteschlangenmanagement in den ausschließlichen Verantwortungsbereich der Bundespolizei fällt und deshalb die Einrichtung einer Passkontroll-Fast Lane ausgeschlossen ist (Urt. v. 08.12.2022, Az. III ZR 204/21).
Ein Grund dafür, Pass- und Sicherheitskontrolle unterschiedlich zu behandeln, ist nicht ersichtlich. Dies sieht ein Teil der zivilrechtlichen Rechtsprechung anders. Dort wird argumentiert, dass den Flughafenbetreiber die Pflicht trifft, bei der baulichen Gestaltung des Terminals genügend Platz für Warteschlangen zu schaffen (§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LuftSiG). Der bemühte Verweis überzeugt aber nicht, weil das alltägliche Warteschlangenmanagement (abseits der baulichen Gestaltung) weder vom Wortlaut noch vom Zweck der Vorschrift erfasst wird.
Schließlich muss der Warteschlangenbetrieb auch deshalb öffentliche Aufgabe sein, weil der Flughafenbetreiber aufgrund des vorbehaltenen Weisungsrechts als verlängerter Arm der Bundespolizei agiert. Wenn die Polizei das Verhalten des für die Warteschlangen zuständigen Personals duldet, kann ein neutraler Beobachter nur annehmen, dass die Aufgabenübernahme mit Billigung und in Absprache mit der Polizei erfolgt. Das ist die für den Amtsträgerbegriff gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB maßgebliche Perspektive.
Machen sich auch die Premium-Kunden strafbar?
Damit sind die beim Flughafenbetreiber angestellten Warteschlangenmanager dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet. Gegen diesen verstößt die Praxis, zahlungskräftige und -willige Passagiere bevorzugt durch die Sicherheitskontrolle zu schleusen.
Die Mitarbeiter der Fluglinien machen sich deshalb wegen Bestechung (§ 334 StGB) und die Warteschlangenmanager des Flughafenbetreibers wegen Bestechlichkeit (§ 332 StGB) strafbar. Dass Vorteilsgeber (hier: Airline-Mitarbeiter) und die von der zeitlichen Bevorzugung Begünstigten (hier: Premium-Passagiere) nicht personenidentisch sind, steht nach einhelliger Auffassung einer Strafbarkeit wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit nicht entgegen.
Aber auch die Passagiere, die den "Premiumservice" in Anspruch nehmen, könnten mit ihrem systemerhaltenden Beitrag strafbare Beihilfe leisten. Zumindest jeder, der diesen Beitrag gelesen hat, kann sich in Zukunft nicht mehr auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) berufen. Daher ist allen Akteuren dringend anzuraten, die bisherige Fast-Lane-Praxis umgehend zu beenden.
Prof. Dr. Till Zimmermann ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Julian Stolz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Lehrstuhl. Der Text basiert auf einem wissenschaftlichen Beitrag mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen, erschienen in der JZ 2024, S. 233 ff.
Airport Fast Lanes: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54228 (abgerufen am: 14.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag