Seit 2005 ist der 17.Mai Aktionstag der LSBTI-Community. An diesem Tag vor 30 Jahren strich die WHO Homosexualität von ihrer Krankheitsliste. Rechtlich gäbe es in Deutschland noch viel zu tun, meint Gabriela Lünsmann im Interview.
LTO: Frau Lünsmann, Sie sind Rechtsanwältin und Mitglied im Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). Wie sehr schmerzt es Sie, dass der 17.Mai dieses Jahr nicht auf den Straßen, sondern nur im Netz stattfinden darf?
Gabriela Lünsmann: Traditionell finden am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) in vielen Städten Rainbowflashs und Kundgebungen statt. Dass diese nun wegen der Corona-Pandemie weitgehend ausfallen, ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Wir werden auch so unseren Forderungen Geltung verschaffen, zum Beispiel bei unserer Onlinekonferenz #MutigGegenHass, bei der es auch um die Verfolgung und Unterdrückung von Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) in Polen und Ungarn geht.
Am Anfang der Coronakrise haben Sie davor gewarnt, dass die verordneten Kontaktbeschränkungen vor allem für Lesben- und Schwule zum Problem werden können. Leiden nicht alle Bürger unter den Einschränkungen?
Das stimmt wohl, aber dennoch trifft es Menschen je nach Lebenslage unterschiedlich. Vor allem junge LSBTI können die Ausgangsbeschränkungen sehr belasten, wenn sie ungeoutet sind oder sie nicht von ihrer Familie akzeptiert werden. Einer aktuellen Studie der EU-Grundrechteagentur (FRA) zufolge leben 43 Prozent der LSBTI in Deutschland ihre Sexualität nicht offen aus.
Und Diskriminierung in der eigenen Familie ist leider recht häufig und wenn die Betroffenen dann nicht raus können, um Freunde, Jugendzentren oder Beratungseinrichtungen zu besuchen, kann es zu einer massiven psychischen Belastungssituation kommen. Wir gehen übrigens davon aus, dass junge LSBTI in den vergangenen Wochen auch verstärkt häuslicher Gewalt ausgesetzt waren.
"Gesetz gegen Konversionsbehandlungen schützt nur bedingt"
Apropos junge LSBTI: Der Bundestag hat erst vergangene Woche ein Gesetz zum Schutz vor sogenannten Konversionsbehandlungen beschlossen und Behandlungen unter Strafe gestellt, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität abzielen. Junge Menschen bis zum 18.Lebensjahr werden jetzt besser geschützt. So richtig freuen konnte sich ihr Verband darüber aber nicht - warum?
Selbstverständlich unterstützt der LSVD das Anliegen, diese gefährlichen und obskuren Behandlungsangeboten zu verbieten. Leider greift das beschlossene Gesetz jedoch viel zu kurz – und das entgegen den Empfehlungen fast aller Fachverbände.
Zu kurz gesprungen ist der Gesetzgeber bei der Schutzaltersgrenze von 18 Jahren. Gerade in konservativen, kirchlich-evangelikal geprägten Familienverhältnissen sind die Kinder nicht mit 18 Jahren aus dem Haus. Das Gesetz lädt jetzt geradezu dazu ein, den Sohn oder die Tochter erst mit Vollendung des 18.Lebensjahr zur Heterosexualität zu nötigen, wenn keine Strafbarkeit mehr zu befürchten ist.
Weiter stören wir uns an dem im Gesetz gewählten Begriff der "am Menschen durchgeführten Behandlung". Abgesehen davon, dass der Terminus "Behandlung" etwas Positives suggeriert, bleibt völlig im Unklaren, ob Maßnahmen darunterfallen, die nicht unmittelbar physisch eingreifen, wie z.B. Exorzismus oder psychische Manipulationen. Fallen sie nicht darunter, wären auch Minderjährige durch das Gesetz nicht hinreichend geschützt.
"Reform des Abstammungsrechts kommt nicht voran"
Der LSVD fordert die gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Absicherung der Vielfalt an gelebten Familienformen wie Zwei-Mütter-Familien, Zwei-Väter-Familien, Mehrelternfamilien oder Familien mit trans- und intergeschlechtlichen Eltern. Sie mahnen eine Reform des Abstammungsrecht an. Worum geht es?
Es geht darum, zum Beispiel für Zwei-Mütter-Familien endlich eine gemeinsame rechtliche Elternschaft mit der damit verbundenen Absicherung zu schaffen. Wenn der eine Teil eines verheirateten lesbischen Paares jetzt etwa per Samenspende ein Kind bekommt, bleibt für den anderen Teil, der das Kind nicht gezeugt hat, nur die Stiefkindadoption. Und diese bedeutet ein entwürdigendes Verfahren, mit Anhörungen vor dem Jugendamt und Familiengericht, das mitunter ein Jahr und länger dauern kann.
Das alles müsste nicht mehr sein. Schließlich hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eigentlich Anpassungen des Abstammungsrechts versprochen. Im März 2019 gab es aus dem Bundesjustizministerium einen ersten Diskussionsentwurf zum Abstammungsrecht. Nach diesem Entwurf würde die Frage der Stiefkindadoption nicht mehr relevant werden, da der Entwurf die Elternschaft der Ehefrau der Mutter eines in eine lesbische Ehe hineingeborenen Kindes in vergleichbarer Weise wie die Elternschaft des Ehemannes bei verschiedengeschlechtlichen Eltern ermöglichen will.
Doch seit mehr als einem Jahr rührt sich die Bundesjustizministerin bei diesem Thema nicht mehr. Auch auf eine entsprechende Petition, die bereits mehr als 55.000 Personen unterschrieben haben, gibt es bislang noch keine Reaktion von Frau Lambrecht.
Das BMJV erklärte gegenüber LTO auf Anfrage, dass zum Diskussionsteilentwurf vom März 2019 zahlreiche Stellungnahmen eingegangen seien, die derzeit noch ausgewertet würden. Ein Terminplan für den zu erarbeitenden Gesetzentwurf stehe noch nicht fest.
Stellungnahmen werden noch ausgewertet? Man konnte bis zum 5. Mai 2019 seine Stellungnahme einreichen, auch der LSVD hat das getan. Aber das ist jetzt schon ein Jahr her und langsam drängt die Zeit.
"Neues Adoptionsgesetz verschlimmert die Lage"
Warum drängt die Zeit?
Weil mittlerweile mit dem Adoptionshilfe-Gesetz ein Vorhaben der Bundesregierung auf dem Tisch liegt, das sogar die unsägliche Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Eltern noch erschweren würde. Eingeführt werden soll in § 9a des Gesetzes eine verpflichtende und daher aus unserer Sicht verfassungswidrige Beratung von Eltern und Samenspender bei der Adoptionsvermittlungsstelle. Ohne Beratungsnachweis ist die Adoption zu versagen.
Außerdem drohen auf Grundlage des geplanten Gesetzes den Paaren noch längere Wartezeiten, bis der Adoptionsantrag überhaupt gestellt werden darf. Wir haben die Abgeordneten des Bundestages deshalb darum gebeten, wenigstens Zwei-Mütter-Familien aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes auszuklammern – bislang jedoch ohne Erfolg.
Das BMJV stellt dazu auf LTO-Anfrage klar, dass "Gründe für die Privilegierung einer bestimmten Elterngruppe unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls" nicht gegeben seien. Geht es Ihnen um "Privilegierung"?
Nein, überhaupt nicht. Das Verfahren der Stiefkindadoption ist für gleichgeschlechtliche Zwei-Mütter-Familien das völlig falsche und unpassende Verfahren! Die Kinder werden regelmäßig als Wunschkinder aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses in die Beziehung der beiden Mütter hineingeboren und es gibt keinen früheren Elternteil, der seine rechtliche Beziehung zum Kind im Rahmend es Adoptionsverfahrens aufgeben müsste, wie dies bei Patchworkfamilien der Fall sein kann. Da ist es sachgerecht, diese Familien von der neuen Beratungspflicht auszunehmen.
Im Übrigen stellt der Entwurf des neuen Abstammungsrechts ja gerade klar, dass es zum Wohl des Kindes gerade kein langwieriges Verfahren und keine Beteiligung von Jugendamt oder Familiengericht braucht, damit beide Mütter von Geburt an auch rechtliche Eltern ihres Kindes sind; das BMJV widerspricht sich hier also auch selbst.
"Homophobe Motive statistisch kaum erfasst"
Online stellt der LSVD am diesjährigen IDAHOT auch eine Kampagne zum Schwerpunktthema "Gewalt und Schutz" vor. Wie sehr sind LSBTI-Menschen in Deutschland noch von gewalttätigen Angriffen und Hate-Speech im Netz betroffen?
Immer noch in einem sehr relevanten Maße. Eine Vorstellung davon gibt die bereits erwähnte EU-Studie. 13 Prozent der befragten deutschen Teilnehmer wurden danach in den vergangenen fünf Jahren körperlich oder sexuell angegriffen, 36 Prozent wegen ihrer sexuellen Orientierung belästigt.
Allerdings: Konkretere Zahlen liegen uns nicht vor, denn leider werden homophobe und transfeindliche Motive in den Statistiken von Straftaten bis heute kaum erfasst.
Im § 46 Strafgesetzbuch sollen jetzt richtigerweise antisemitische Motive strafverschärfend in den bereits vorhandenen Katalog der Beweggründe des Täters aufgenommen werden. Würden auch homophobe und transfeindliche Beweggründe aufgenommen, erhielten wir ein klareres Bild davon, wie sehr Homo- und Transphobie viele Menschen zu Straftaten hinreißt.
Gabriela Lünsmann ist Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland LSVD. Sie arbeitet als Fachanwältin für Familienrecht in Hamburg und ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41631 (abgerufen am: 04.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag