Die AfD scheitert mit ihrer Klage wegen der Nichtwahl in die Härtefallkommission. Es gehe dabei nämlich gar nicht um eine verfassungsrechtliche Frage, urteilte das Hamburger Verfassungsgericht. Die Entscheidung erläutert Ronald Steiling.
Die AfD ist mit ihrem Organstreitverfahren wegen der Nichtwahl in die Härtefallkommission gescheitert: Das Hamburgische Verfassungsgericht (HVerfG) hat am Dienstag entsprechende Anträge der AfD-Fraktion und ihrer Mitglieder in der Bürgerschaft als unzulässig abgewiesen.
Wie bereits in der mündlichen Verhandlung im Juni 2016 angedeutet, hat das Gericht das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit und damit bereits die Antragsbefugnis der Antragsteller verneint.
Elf erfolglose Wahlgänge von AfD-Mitgliedern
Alle Bundesländer sind nach § 23a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ermächtigt, sog. Härtefallkommissionen einzurichten. Hamburg hat davon Gebrauch gemacht und über das Härtefallkommissionsgesetz (HFGK) eine Härtefallkommission bei der Behörde für Inneres und Sport eingerichtet.
In der Härtekommission sollen bei dringenden humanitären oder persönlichen Gründen Aufenthaltstitel vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer überprüft werden, denen nach geltendem Recht kein Aufenthaltsrecht zusteht. Erkennt das Gremium einen Härtefall, kann es ein Härtefallersuchen an die oberste Landesbehörde richten.
Diese Härtefallkommission setzt sich in Hamburg aus einem ordentlichen und zwei stellvertretenden Mitgliedern aus jeder Fraktion der Bürgerschaft zusammen. Die Mitglieder werden von den Fraktionen benannt, von der Bürgerschaft gewählt und vom Senat berufen (§ 1 Abs. 2 HFGK).
Auch die AfD-Fraktion hatte im vergangenen Jahr ihre Kandidaten benannt. Tatsächlich gewählt wurde aber nur ein stellvertretendes AfD-Mitglied – die Wahl der anderen beiden Mitglieder war in elf Wahlgängen gescheitert. Wegen der ständigen Nichtwahl ihrer Kandidaten reichten die Antragsteller ein Organstreitverfahren beim HVerfG ein. Zugleich bemängelten sie, dass die Antragsgegnerin es unterließe, durch geeignete Vorkehrungen, die Blockade aufzulösen.
Keine Streitigkeit um verfassungsrechtliche Positionen
Das Verfahren hat mehrere interessante verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen. So zum einen die Problematik, ob eine Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft die Qualität eines Verfassungsorgans hat und damit überhaupt beteiligungsfähig ist. Zudem sind Fraktionen in der Hamburger Landesverfassun nicht verankert, so dass mit Blick auf den historischen Willen des Gesetzgebers jedenfallsernsthafte Zweifel hinsichtlich der Parteifähigkeit bestehen.
Für das HVerfG war aber Kernfrage des Verfahrens, ob überhaupt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorlag. Im Ergebnis fiel das Votum des neunköpfigen Spruchkörpers einstimmig aus: Die Rechte und Pflichten der Fraktionen sowie deren Mitglieder und der Bürgerschaft im Zusammenhang mit der Besetzung der Härtefallkommission wurzeln in Bezug auf die Wahl der Mitglieder durch die Bürgerschaft nicht im Verfassungsrecht, sondern in der einfachgesetzlichen Regelung. Mangels verfassungsrechtlicher Streitigkeit wurden die Anträge daher als unzulässig abgewiesen.
2/2: Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt hier nicht
Im Zusammenhang mit der parlamentarischen Arbeit in Ausschüssen des Bundestags gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, etwa Urt. v. 13. 6. 1989, 2 BvE 1/88, BVerfGE 80, 188), dass das parlamentarische Kräfteverhältnis des Plenums spiegelbildlich auch in den Ausschüssen abgebildet sein muss.
Dieser Grundsatz gilt nach Entscheidung des HVerfG nicht, wenn die Bürgerschaft – wie im vorliegenden Fall - Aufgaben übernimmt, die ihr nicht kraft Verfassungsrecht zugewiesen sind. Die Hamburger Härtefallkommission sei ein Organ der Exekutive und nicht dem parlamentarischen Bereich anzusiedeln. Daran ändere nach Auffassung des Gerichts auch die Tatsache nichts, dass das Gremium in Hamburg kraft Gesetzes ausschließlich mit Parlamentariern besetzt ist.
Auch eine erweiternde oder analoge Anwendung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit für die Aufgabe der Bürgerschaft bei der Besetzung der Härtefallkommission scheide aus. Das Gericht führt hier zutreffend aus, dass es an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte fehle. Während Ausschüsse eine entscheidende Rolle bei der Beschlussfassung im deutschen Bundestag einnähmen, bereite die Hamburger Härtefallkommission gerade keine endgültigen Beschlussfassungen für das Parlament vor sondern richte lediglich ein Härtefallersuchen an die oberste Landesbehörde. Außerdem nehme sie keine Kontrollfunktion wahr, wie z.B. in dem vom Sächsischen Verfassungsgerichtshofs (Urt. v. 26.01.1996, Az. 15-I-95) entschiedenen Organstreitverfahren betreffend der Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission. Das Gremium würde nach § 2 Abs. 1 S. 1 HFGK von sich aus tätig und übe keine nachträgliche Kontrolle vorangegangener Exekutiventscheidungen aus.
Wie geht's weiter?
"Ich wünsche mir nicht, dass einzelne Fraktionen sich ausgegrenzt fühlen", wird Parlamentspräsidentin Carola Veit zitiert. Nach ihrem Wunsch soll das Urteil im Kreis der Fraktionschefs und im Ältestenrat erneut diskutiert werden.
Bereits vor Beginn des Organstreitverfahrens war die Problematik der Nichtwahl der AfD-Parlamentarier wiederholt im Ältestenrat der Bürgerschaft diskutiert worden. Ebenso hatten Gespräche mit der Parlamentspräsidentin, den Fraktionsspitzen und weiteren Fraktionsvertretern stattgefunden.
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten steht offen. Ob die Antragsteller davon Gebrauch machen, war nach Verkündung des Urteils noch unklar. Mit einer schnellen Entscheidung dürfte in diesem Fall jedenfalls nicht zu rechnen sein.
Der Autor Dr. Ronald Steiling ist Rechtsanwalt und Partner bei GvW Graf von Westphalen in Hamburg. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Wirtschaftsverwaltungs- und Verfassungsrecht.
Dr. Ronald Steiling , Härtefallkommission in Hamburg: AfD scheitert beim Verfassungsgericht . In: Legal Tribune Online, 22.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20084/ (abgerufen am: 22.09.2023 )
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