Eigentlich sollte zum Jahresbeginn eine Reform des Glücksspielstaatsvertrages im Sportwettenmarkt für Rechtssicherheit sorgen. Warum die scheiterte und wo die juristischen Baustellen liegen, erklären Thomas Dünchheim und Carsten Bringmann.
Glücksspiel in Deutschland boomt: Aus einer aktuellen Branchenanalyse des "Handelsblatt Research Institute" geht hervor, dass der deutsche Glücksspielmarkt Bruttospielerträge in Höhe von 13 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Von 2014 auf 2015 ist der Gesamtmarkt sogar um acht Prozent gewachsen. Er lässt sich unterteilen in einen regulierten Markt, einen derzeit nicht regulierten Graumarkt und den sanktionierten Schwarzmarkt. Zwar bildet der regulierte Markt mit Bruttospielerträgen von 10,4 Milliarden Euro nach wie vor das größte Segment. Der nicht regulierte Glücksspielmarkt aber wächst seit Jahren deutlich schneller als der regulierte.
Dieses Wachstum ist die düstere Kehrseite der bisherigen Regulierung durch den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) und die diesen umsetzenden Landesausführungs- bzw. Glücksspielgesetze der Länder: Die Zuständigkeit für die Regulierung des Glücksspiels, wozu neben den klassischen Lotterien auch Sportwetten, das Recht der Spielhallen, Pferdewetten sowie Automaten- oder Casinospiele zählen, liegt in Deutschland überwiegend bei den Ländern. Um sicherzustellen, dass Gesetzgebung und Vollzug im Glücksspielrecht von den 16 Bundesländern einheitlich gehandhabt werden, haben diese einen Länderstaatsvertrag geschlossen, welcher wiederum durch Landesgesetze umgesetzt wird.
Dieser GlüStV trat in seiner ursprünglichen Fassung im Januar 2008 in Kraft. Neben einem staatlichen Glücksspielmonopol sah er ein Verbot jedweder Veranstaltung oder Vermittlung von Online-Glücksspielen vor. Im September 2010 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) jedoch, dass jedenfalls das staatliche Sportwettenmonopol gegen europarechtliche Vorgaben verstößt und eine umgehende Neuregelung durch die Länder erforderlich ist (EuGH, Urt. v. 8.9.2010, Rs. C-316/07). Daraufhin trat im Januar 2012 der derzeitig geltende erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) in Kraft. Dieser sieht für Sportwetten eine Öffnung des Marktes mittels einer "Experimentierklausel" vor: Danach sollen – so die Theorie – 20 private Anbieter während eines Zeitraums von sieben Jahren eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten erhalten.
EuGH: Erste Nachbesserung durch GlüÄndStV unzureichend
Die Vergabe dieser 20 Sportwettenkonzessionen und das damit verbundene neue Rechtsregime sind spätestens mit der "Ince"-Entscheidung des EuGH vom 4. Februar 2016 fatal gescheitert. Nach diesem Urteil verbietet es die Dienstleistungsfreiheit deutschen Behörden, private Sportwettenanbieter bzw. -vermittler wegen unerlaubten Glücksspiels zu bestrafen, weil sie ohne eine deutsche Erlaubnis Sportwetten anbieten (EuGH, Urt. v. 04.02.2016, Rs. C 336/14).
Der EuGH stellte dabei fest, dass die "Experimentierklausel" die Unvereinbarkeit des vormaligen – unionsrechtswidrigen – Sportwettenmonopols mit dem freien Dienstleistungsverkehr nicht behoben habe. Somit unterliegen die meist mit Lizenzen aus dem EU-Ausland agierenden Sportwettenanbieter keiner deutschen Regulierung. Ihre an sich illegalen Tätigkeiten auf dem deutschen Markt dürfen nach dem genannten Urteil der Luxemburger Richter aber auch nicht geahndet werden.
Genau hier sollte die im Oktober 2016 beschlossene Reform durch den zweiten GlüÄndStV ansetzen. Die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen eine "minimalinvasive Lösung":
Die Beschränkung auf 20 Sportwettenkonzessionen für die Dauer der bereits in dem ersten GlüÄndStV vorgesehen Experimentierphase sollte ausgesetzt, die Experimentierphase hingegen mindestens bis zum Auslaufen des ersten GlüÄndStV am 30. Juni 2021 verlängert werden. Ebenso sollte die Vergabe von Sportwettenkonzessionen nach dem Reformvorhaben nur noch nach qualitativen Mindeststandards richten. Die 35 Bewerber, die in dem gescheiterten ersten Konzessionsvergabeverfahren die Mindestanforderungen erfüllt haben, sollten zudem vorläufige gesetzliche Erlaubnisse für Sportwetten erhalten. Andere Online-Glücksspiele sollten hingegen nach wie vor verboten bleiben.
2/2: Veto aus dem deutschen Norden
Diese mühsam ausgehandelte Reform des GlüStV findet jedoch nicht den erforderlichen einmütigen Konsens der Bundesländer: Im September 2017 sprach sich eine Mehrheit des neu konstituierten Landtags von Schleswig-Holstein gegen die Novellierung des ersten GlüÄndStV aus. Die neu gewählte Kieler Jamaika-Regierung vereinbarte in ihrem Koalitionsvertrag, dass ein neuer GlüStV neben dem Sportwettenrecht auch den gesamten Bereich des Online-Glücksspiels, insbesondere der Online-Casinospiele und Online-Pokerspiele, regeln solle. Damit fehlt die für das Inkrafttreten des zweiten GlüÄndStV erforderlichen Zustimmung aller 16 Bundesländer: Der Sportwettenmarkt bleibt somit zunächst weiter unreguliert und eine "Grauzone".
Auch im Spielhallensektor bestehen derzeit erhebliche rechtliche Unklarheiten und Unwuchten. Eigentlich sehen der GlüStV und die entsprechenden Landesgesetze eine Reduzierung der Spielhallenlandschaft auf Einzelkonzessionen vor, in denen nach den Vorgaben der Spielverordnung maximal 12 Geldspielgeräte zulässig sind. Neben diesem Verbot der Mehrfachkonzessionen ist im GlüStV nach dem Ablauf einer Übergangsfrist für Bestandsspielhallen eine quantitative Vorgabe zu Mindestabstand zwischen Spielhallenbetrieben geregelt.
Ob und wie diese restriktiven Vorgaben vollzogen werden, ist jedoch unklar: Es existieren keine gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien, an denen sich die jeweils zuständigen Kommunen orientieren könnten. In Anbetracht dessen werden tausende Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erwartet. Nach konservativen Schätzungen der Branche sind bereits 3.000 Verfahren betreffend die Schließung von Spielhallen anhängig.
Europäische Kommission zieht sich zurück, Bundesländer sind gefragt
Darüber hinaus hat die Europäische Kommission mit Pressemitteilung vom 7. Dezember 2017 bekanntgegeben, dass sie die angestoßenen Vertragsverletzungsverfahren und die Behandlung von Beschwerden gegen den Glücksspielsektor einstellt. Sie wolle bei der Durchsetzung von EU-Recht in den einzelnen Mitgliedsstaaten strategisch vorgehen und öffentliche sowie private Interessen gegeneinander abwägen, begründete die Kommission den Schritt. Zudem betonte sie, dass der EuGH wiederholt anerkannt habe, dass die Mitgliedsstaaten das Recht hätten, Glücksspieldienste zu beschränken, sofern dies im öffentlichen Interesse liege.
Die Brüsseler Behörde sagte zwar auch, dass sie die politische Legitimität der Ziele des öffentlichen Interesses anerkenne, die von den Mitgliedsstaaten mit der Regulierung von Glücksspiel-Diensten angestrebt werden. In Anbetracht dessen gehöre es jedoch nicht zu den Schwerpunkten der Kommission, die Befugnisse, über die sie für Vertragsverletzungsverfahren verfügt, zur Förderung des EU-Binnenmarkts im Bereich von Online-Glücksspiel einzusetzen. Mit dieser Entscheidung hat sich die Kommission als eigentliche Hüterin der Verträge und damit der Grundfreiheiten in der EU vom Bereich der deutschen Glücksspielregulierung weitgehend "verabschiedet".
Agieren müssen nun die 16 Bundesländer: Eine grundlegende und systematische, kohärente Überarbeitung des GlüStV ist dringend geboten, Der deutsche Glückspielmarkt braucht einen rechtssicheren Rahmen. Weiteres Zuwarten und fortgesetzte Verzagtheit fördern allein die Grauzone und festigen die "bananenrepublikanischen Zustände" im deutschen Glückspielmarkt.
Der Autor Prof. Dr. Dünchheim ist Partner bei Hogan Lovells in Düsseldorf und berät private und kommunale Unternehmen im öffentlichen Recht.
Der Autor Carsten Bringmann ist Associate bei Hogan Lovells in Düsseldorf und hat sich auf öffentliches Recht spezialisiert.
Prof. Dr. Thomas Dünchheim und Carsten Bringmann, Regulierung des deutschen Glücksspielmarktes: Der Schrecken geht weiter . In: Legal Tribune Online, 02.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26251/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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