Der BGH stellt die Tonträgerindustrie vor Herausforderungen. Eltern haften nicht für Urheberrechtsverstöße ihrer minderjährigen Kinder, wenn sie ihnen die Nutzung von Internettauschbörsen verboten haben. Das Unrechtsbewusstsein gerade der Jugendlichen wird die Entscheidung weiter schwächen, meinen Arno Lampmann und Andreas Biesterfeld. Dabei wird es für die Kids nun erst richtig gefährlich.
Dem Urteil vorangegangen war ein Rechtsstreit vor dem Landgericht (LG) Köln, in dem vier führende Tonträgerhersteller die Eltern von drei jeweils in ihrem Haushalt lebenden Kindern auf Schadensersatz in Anspruch genommen hatten wegen des Upload von 15 Musiktiteln. Über die IP-Adresse der beklagten Eltern waren unter anderem am 28. Januar 2007 insgesamt 1.147 Audiodateien mit Musiktiteln aus dem Repertoire der Rechteinhaber unter Verwendung einer Filesharing-Software im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden.
Bei einer Durchsuchung der Wohnung der beklagten Eltern, die nun bis nach Karlsruhe durch die Instanzen gingen, war der PC ihres damals 13-jährigen Sohnes beschlagnahmt worden. Auf dessen Desktop befand sich neben dem Programmsymbol der Filesharing-Software "Bearshare" auch die Filesharing-Software "Morpheus". Der Teenager räumte die Filesharing-Aktivitäten bei einer polizeilichen Anhörung weitgehend ein. Dennoch gaben seine Eltern zwar eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, lehnten die Zahlung von Schadensersatz und die Erstattung der entstandenen Abmahnkosten aber ab.
Zu Recht, entschied nun der Bundesgerichtshof. Es reicht aus, wenn Eltern ihr normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre Erziehungsmaßnahmen respektiert, über das Verbot belehren, Internettauschbörsen zu nutzen. Darüber hinausgehende Kontrollpflichten haben sie nicht, wenn sie keine Anhaltspunkte dafür haben, dass der Teenager über den Internetanschluss Rechtsverletzungen begeht (BGH, Urt. v. 15.11.2012, Az. I ZR 74/12 – Morpheus)
BGH: Grundsatz ist das Vertrauen in die Kinder
Der I. Senat hat sich damit für das Vertrauen in die eigenen Kinder entschieden. "Es ist selbstverständlich, dass Kinder in diesem Alter über einen Computer verfügen und dass sie bei der Nutzung nicht ständig unter Aufsicht sind", sagte der Vorsitzende Joachim Bornkamm.
Eltern müssten ihre Kinder darüber belehren, dass der Tausch von Musik oder sonstigen geschützten Werken illegal sei. "Aber sie müssen ihren Kindern nicht von vornherein mit Misstrauen begegnen und vermuten, dass sie trotzdem Rechtsverletzungen begehen", so Bornkamm bei der Urteilsverkündung am Donnerstag.
Das Landgericht (Urt. v. 30.03.2011, Az. 28 O 716/10) wie auch das Oberlandesgericht Köln (OLG, Urt. v. 23.03. 2012, Az. 6 U 67/11). hatten noch wesentlich strengere Anforderungen gestellt und die beklagten Eltern zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000 Euro und der Abmahnkosten von weiteren 2.380,80 Euro auf der Basis eines Streitwerts von 100.000 Euro verurteilt.
Vorinstanzen: Eltern haften, wenn sie nicht kontrollieren
Die Kölner Richter hatten die elterliche Haftung für die Handlungen ihres dreizehnjährigen Sohnes mit der Begründung bejaht, dass diese ihre Aufsichtspflicht im Hinblick auf die Internetaktivitäten ihres Sohnes verletzt hätten. Sie seien zwar den an die Pflicht zu stellenden Anforderungen im Ausgangspunkt nachgekommen, hätten aber im Ergebnis nicht genug getan, um Rechtsverletzungen ihres Sohnes zu verhindern.
Die von den Eltern behauptete Firewall könne schon nicht sachgerecht aufgespielt worden sein, da ihr Sohn sie habe umgehen können, so dsa OLG in seiner Urteilsbegründung. Auch stichpunktartige monatliche Kontrollen des so genannten Internetverlaufsordners seien nicht ausreichend gewesen, da einzelne Seiten aus diesem Verlauf wieder hätten gelöscht werden können. Schließlich könne der Verlauf nur zeigen, welche Internetseiten zum Download der Tauschbörsen-Programme aufgesucht wurden.
Die auf dem Rechner installierten Programme hätten die Eltern auch über die Windows-Systemsteuerung kontrollieren können, die eine Übersicht über die auf dem Rechner vorhandene Software bietet. Schließlich hätten sie die Software schon auf dem Desktop des Rechners sehen und erkennen können.
2/2: Wer erziehen will, muss auch kontrollieren
Der BGH hat dagegen mit seinem Urteil den altbewährten Grundsatz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" verworfen. Dass er damit ein recht fragwürdiges Erziehungsbild postuliert, zeigt sich, wenn man die Entscheidung auf andere Lebenssachverhalte überträgt. Denn natürlich ist es pädagogisch sinnvoll, seinem Kind etwa vor Augen zu führen, dass es seine Hausaufgaben zu erledigen hat. Ihrem Erziehungsauftrag kommen Eltern indessen nur dann nach, wenn sie deren Erledigung auch tatsächlich stichprobenartig kontrollieren.
Ein wenig polemisch formuliert: Können Eltern sich fortan auch dann exkulpieren, wenn ihr Kind CDs stiehlt oder ein Haus anzündet, sofern sie nachweisen können, dass sie es zuvor darüber belehrt haben, dass das verboten ist?
Es liegt auf der Hand, dass die Karlsruher Richter dies nicht zum Ausdruck bringen wollten. Warum sie gerade bei Rechtsverletzungen im Internet bloß eine einfache Belehrung ohne Kontrollmechanismus ausreichen lassen möchten, erschließt sich nicht.
Eine Kontrolle soll nur ausnahmsweise dann nötig sein, wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind das Internet zu rechtswidrigen Zwecken nutzt. Der Nachweis solcher Anhaltspunkte aber dürfte für die Rechteinhaber schwierig werden. Sie haben keinen Einblick in die Famlienverhältnisse – und damit keine Handhabe, wenn sie nicht die Eltern bereits zuvor einmal wegen eines unberechtigten Uploads in einer Tauschbörse angeschrieben haben.
Ein wenig weitsichtiges Urteil
Vielleicht will der BGH, der sich in jüngerer Zeit sowohl bei der Haftung von Betreibern eines ungesicherten WLAN-Netzwerks (Urt. v. 12.05.2010, Az. I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) als auch bezüglich des gewerblichen Ausmaßes beim Auskunftsanspruch der Rechteinhaber gegen Internet-Provider (Beschl. v. 19.04.2012, Az. I ZB 80/11 – Alles kann besser werden) zugunsten der Musikindustrie entschieden hat, mit der neuen Entscheidung zeigen, dass er sich nicht vollständig von ihr vereinnahmen lässt.
Dabei wäre es wenig weitsichtig, gerade bei der sensiblen Frage der Haftung der Eltern den "Abmahngegnern" Rückenwind zu geben. Ein Großteil der Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen wird von Kindern beziehungsweise Jugendlichen begangen. Können die Rechteinhaber gegen diese Rechtsverletzungen nicht mehr vorgehen, läuft der überwiegende Teil der Abmahnungen ins Leere und der Abschreckungseffekt bei den tatsächlichen Tätern ist gleich Null.
Zudem können sich fortan auch Eltern auf die Karlsruher Entscheidung berufen, die selbst urheberrechtswidrig Musik tauschen. Die Behauptung, das ordnungsgemäß belehrte Kind sei am Rechner gewesen, dürfte nur äußerst schwer zu widerlegen sein.
Geht die Tonträgerindustrie nun gegen die Kinder vor?
Allerdings können die Rechteinhaber natürlich auch die Kinder selbst auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn sie älter als sieben Jahre sind und "bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" haben.
Diese Schwelle ist niedrig, es bedarf nur eines allgemeinen Verständnisses dafür, dass das Verhalten Gefahren herbeiführen kann. Beim Filesharing dürfte sie schnell überschritten sein: Missachtet der Jugendliche vorausgegangene Verbote und Warnungen oder umgeht gar installierte Schutzmaßnahmen, haftet er voll.
Sollten die Rechteinhaber sich tatsächlich entschließen, statt der Eltern künftig deren Kinder in Anspruch zu nehmen, dürfte der Aufschrei all jener, die Abmahnungen ohnehin schon unappetitlich finden, jedenfalls mit Sicherheit groß sein. Fest steht aber, dass die Entscheidung des BGH nicht dazu beitragen wird, das Unrechtsbewusstsein der Gesellschaft im Allgemeinen und von Kindern und Jugendlichen im Besonderen bei Aktivitäten in Tauschbörsen zu fördern.
Der Autor Arno Lampmann ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Partner der Rechtsanwälte Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum. Der Autor Andreas Biesterfeld ist Rechtsanwalt ebenda mit Schwerpunkt im Bereich Urheberrecht.
Mit Materialien von dpa
Arno Lampmann und Andreas Biesterfeld-Kuhn, BGH lehnt Filesharing-Haftung von Eltern für ihre Kinder ab: Fragwürdige Erziehungsmethoden aus Karlsruhe . In: Legal Tribune Online, 16.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7570/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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