Dürfen kirchliche Einrichtungen Mitarbeiter nach der Konfession auswählen? Die Antwort aus Luxemburg auf diese Frage könnte einen Paradigmenwechsel im kirchlichen Arbeitsrecht auslösen, erläutert Steffen Klumpp.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat darüber zu entscheiden, ob kirchliche Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer anhand deren Religion aussuchen dürfen. Die kirchlichen Vorgaben – im vorliegenden "Fall Egenberger" (Az. C-414/16) geht es um eine Einrichtung der Evangelischen Kirche – sehen dies vor. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist diese Differenzierungsautonomie auch wegen des in Art. 140 Grundgesetz (GG) iVm Art 137 II Weimarer Reichsverfassung grundgelegten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften verfassungsrechtlich abgesichert.
Das scheint zunächst im Widerspruch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu stehen, das eine Differenzierung nach der Religion eines Bewerbers grundsätzlich untersagt. Allerdings lässt § 9 I AGG gerade für kirchliche Arbeitgeber Ausnahmen dann zu, wenn die Religion eines Bewerbers unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht (1. Alternative) oder der Art der Tätigkeit (2. Alternative) eine gerechtfertigte berufliche Anforderung ist. Um diese erste Alternative geht es in Luxemburg, sie scheint nämlich in der maßgeblichen Ausnahmeregelung des Art. 4 II der dem AGG zugrundeliegenden Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG nicht vorgesehen.
Dort ist vielmehr eine Unterscheidung wegen der Religion nur mit konkretem Tätigkeitbezug unter Berücksichtigung des "Ethos" des kirchlichen Arbeitgebers vorgesehen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit § 9 I 1. Alt. AGG aber eine Rechtfertigungsmöglichkeit ohne konkreten Tätigkeitsbezug zugelassen – weil er das grundgesetzlich vorgegebene kirchliche Selbstbestimmungsrecht aufnehmen wollte. Ob er das europarechtlich durfte, ist schon lange umstritten, mit der Vorlage des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Fall Egenberger kommt es nun zum europarechtlichen Schwur: Eine konfessionslose Bewerberin hatte auf Entschädigung nach § 15 II AGG geklagt, weil eine Einrichtung der Diakonie an ihrer Stelle einen evangelischen Bewerber vorgezogen hatte, obwohl nicht eindeutig geklärt war, ob die Kirchenzugehörigkeit für die Tätigkeit selbst nach "weltlichen Maßstäben" erforderlich war.
Warum die kommende Entscheidung so relevant für Deutschland ist
Die anstehende Entscheidung des EuGH hat für das deutsche kirchliche Arbeitsrecht große Bedeutung. Sollten die Luxemburger § 9 I 1. Alt. AGG für europarechtswidrig halten, dann bräche das Europarecht die national bestehende Differenzierungsautonomie der Kirchen auf: Diese könnten dann nicht mehr autonom nach ihrem Selbstverständnis und auf der Grundlage ihres Selbstbestimmungsrechts Einstellungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Religion des Bewerbers setzen. Vielmehr müsste - überprüfbar durch das staatliche Gericht - nachgewiesen werden, dass die Religion des Bewerbers konkreten Tätigkeitsbezug hat.
Beispiel: Für den Religionslehrer könnte eine entsprechende Religions- oder Konfessionsvorgabe gemacht werden, für den Koch in der Schulkantine nicht. Das führte aber weg von der gerichtlich zu respektierenden Autonomie zum (bloßen) gerichtlich überprüfbaren Tendenzschutz. Für das kirchliche Arbeitsrecht wäre dies ein europarechtlich indizierter Paradigmenwechsel.
Generalanwalt Tanchev spricht sich nach der vorliegenden Pressemitteilung in seinen Schlussanträgen für einen solchen Paradigmenwechsel aus. So gebe Art. 4 II EL 2000/78/EG keinen Raum für eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Entscheidungsfreiheit der Kirchen, sondern es müsse in jedem Einzelfall abgewogen werden zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und Selbstbestimmung auf der einen und dem Recht auf Nichtdiskriminierung wegen der Religion auf der anderen Seite. Anders gewendet: Die Entscheidung der Kirchen zur Bewerberauswahl nach der Religion ist gerichtlich voll überprüfbar – und nicht lediglich nach den eigenen Vorgaben der Kirchen auf Plausibilität.
Zwar muss auch nach Ansicht des Generalanwalts das staatliche Gericht das "Ethos" der Kirchen aufnehmen und berücksichtigen, aber eben auch nicht mehr: Der Richter hat abzuwägen und die Vorgaben der Kirchen gegen das Recht auf Nichtdiskriminierung zu setzen. Damit ist nun für die Frage nach der Rechtfertigung einer Unterscheidung anhand der Religion die oftmals bemühte Verkündigungsnähe der konkreten Tätigkeit entscheidend: Je näher diese am Verkündigungsauftrag beteiligt ist, desto eher besteht die Möglichkeit, nach der Religion des Bewerbers zu unterscheiden.
2/2: Ein Widerspruch zur Karlsruher Rechtsprechung
Diese Unterscheidung nach der Verkündigungsnähe wird vom BVerfG allerdings zu Recht abgelehnt: Weil der Staat in religiösen Fragen Neutralität zu wahren habe und eben nicht vorgeben könne, was nahe oder was fern vom jeweiligen Verkündigungsauftrag ist. Die Ansicht des Generalanwalts steht also im Konflikt mit der grundgesetzlichen Einordnung. Folgte der EuGH der Empfehlung der Schlussanträge, so stellte sich als nächstes die spannende Frage nach der Reaktion aus Karlsruhe.
Notgedrungen dunkel bleibt aus der Pressemitteilung zunächst die Beurteilung der europarechtlich wesentlichen Frage des Falles, sie ergibt sich aber mittelbar: Es geht um die Bedeutung des Art. 17 I Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), nach welchem die Europäische Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt. Was heißt das nun? Viel spricht dafür, dass Art. 17 I AEUV den Respekt des Unionsrechts vor den jeweiligen nationalen Vorgaben für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verlangt und als Datum nimmt, so dass auch europäische Rechtsakte wie etwa die Richtlinie 2000/78/EG diese Öffnung zugunsten der nationalen Vorgaben aufnehmen müssten. Dann wäre das grundgesetzliche Selbstbestimmungsrecht europarechtlich (wie alle jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelungen) zu respektieren.
Das wiederum führte zur brisanten Frage, ob Art. 4 II der RL 2000/78/EG dann nicht sogar selbst primärrechtswidrig wäre – eben weil hier eine entsprechende Anknüpfung jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Die Auffassung des Generalanwalts wäre es dann in jedem Fall. Der EuGH wird sich gerade damit auseinandersetzen müssen.
Ab wann sind Tätigkeiten für kirchliche Einrichtungen "profan"?
Generalanwalt Tanchev ist nun offenbar einen anderen Weg gegangen, er lehnt nationale Sonderwege ab und will die zu beachtende Position der Kirchen über die in der gerichtlichen Abwägung notwendige Berücksichtigung von deren Ethos schützen – ein Terminus, der aus Art. 4 II RL 2000/78/EG abgeleitet ist. Offenbar sieht er keinen Konflikt der Gleichbehandlungsrichtlinie zu Art. 17 I AEUV, sondern "implantiert" die primärrechtliche Vorgabe abgeschwächt in deren Art 4 II.
Dieser Weg führt aber zu heiklen Folgefragen: Wo ist die Grenze, innerhalb derer die eigenen Vorgaben der Kirchen zu ihrem Ethos maßgeblich sind? In den Schlussanträgen heißt es nur, es bestehe ein weiter, aber "kein unbegrenzter" Spielraum für die Berücksichtigung im Hinblick auf die beruflichen Anforderungen. Konkret muss also jeweils geklärt werden, wo noch Verkündungsnähe besteht und wo der lediglich "profane" Bereich einer Tätigkeit in einer kirchlichen Einrichtung beginnt. Es muss damit eine Entscheidung über die religiöse Bedeutung einer Tätigkeit herbeigeführt werden, was aber gerade dann heikel wird, wenn man sich den Staat zu Recht als religiös inkompetent wünscht. Hier wird der Einzelfall maßgeblich.
Schließt sich der EuGH die Ansicht des Generalanwalts an, führte dies also zu einem Paradigmenwechsel im kirchlichen Arbeitsrecht: Das Europarecht stellt sich in einer bedeutsamen Einzelfrage gegen das bestehende kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland. Eine solche Entscheidung hätte Signalwirkung: Der bekannte "Chefarzt-Fall" (BAG, Beschl. v. 28.07.2016, Az. 2 AZR 746/14 (A)) wurde etwa dem EuGH mit der Frage vorlegt, ob der kirchliche Arbeitgeber je nach Religionszugehörigkeit des Beschäftigten unterschiedlich intensive Loyalitätsobliegenheiten vorsehen darf.
Der Autor Prof. Dr. Steffen Klumpp ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Erlangen.
Prof. Dr. Steffen Klumpp, EuGH-Schlussanträge zur Bewerberauswahl nach Religionszugehörigkeit: Die große Umwälzung im kirchlichen Arbeitsrecht? . In: Legal Tribune Online, 10.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25471/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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