Wer täuscht, um einen Aufenthaltstitel zu bekommen, muss mit dessen Entzug rechnen. Das gilt auch für die Titel der Eheleute und Kinder, selbst wenn diese von der Täuschung nichts wussten, so der EuGH. Die Behörden haben jedoch ein Ermessen.
Ein Chinese gibt an, als Geschäftsführer zu arbeiten und bekommt eine Aufenthaltserlaubnis in den Niederlanden. Sein neunjähriges Kind und die Ehefrau dürfen nachreisen. Jahre später stellt sich heraus, dass der Mann nie als Geschäftsführer gearbeitet hat. Und nun? Die holländischen Behörden entzogen der Familie die Aufenthaltsberechtigungen - zwölf Jahre, nachdem sie im Rahmen der Familienzusammenführung in die Niederlande gezogen war. Acht Jahre davon hatten Frau und Kind dort mit einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung gelebt.
Die Behörden durften dennoch allen Beteiligten die Aufenthaltstitel entziehen, entschied der Europäische Gerichtshof am Donnerstag (EuGH, Urt. v. 14.03.2019, Az. C-557/17). Und zwar auch dann, wenn die Angehörigen gar nichts von der Täuschung wussten.
Alle Aufenthaltstitel sind mangelhaft
Deren Aufenthaltsberechtigungen seien nämlich mit einem Mangel behaftet gewesen, argumentieren die Richter in Luxemburg. Diese Aufenthaltstitel seien von dem des Vaters abgeleitet aufgrund der Richtlinie über die Familienzusammenführung. Da der seinen Status aber nur aufgrund einer Täuschung erlangt habe, gelte das auch für die Berechtigungen von Frau und Kind. Dass die Angehörigen keine Kenntnis von dem Betrug hatten, spiele keine Rolle.
In Art. 16a der RiLi über die Familienzusammenführung ist die Möglichkeit des Entzugs des Titels bei Täuschung geregelt. Klargestellt werde allerdings nicht, wer die Täuschung verübt haben muss, auch eine Kenntnis von der Täuschung setze die RiLi also gerade nicht voraus, so der EuGH. Niemand könne sich nach einer Täuschung – egal durch wen – noch auf diesen Titel berufen. "Der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass der Erwerb dieser Rechte aus einer Täuschung resultiert", teilte der EuGH mit. Die Mitgliedstaaten müssten sich gegen derartige Betrügereien schützen können, immerhin gebe die Richtlinie den Menschen viele Rechte.
Nichts geht ohne Ermessensausübung
Ein Automatismus zum Entzug jeglicher Aufenthaltsberechtigungen folgt aus dem Betrug trotzdem nicht. Vielmehr müssten die nationalen Behörden die Situation der Betroffenen individuell prüfen und dabei alle zu berücksichtigenden Interessen bewerten, so die Richter in Luxemburg. Das schließe insbesondere das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein. Relevante Aspekte seien insofern die Aufenthaltsdauer, das Alter des Kindes bei der Einreise, Ausbildungen sowie familiäre, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bindungen.
Das gelte aber nicht nur für die Bindungen zum Mitgliedstaat, sondern auch für die ins Herkunftsland. Insofern seien dortig lebende Familienmitglieder, Häufigkeit und Dauer von Reisen und Sprachkenntnisse zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ermessensausübung sei dann auch zu beachten, dass die Angehörigen die Täuschung nicht selbst begangen haben und nicht einmal von ihr wussten.
In den Niederlanden müssen die Behörden nun, da der langfristige Aufenthaltsstatus ausgeschlossen ist, noch prüfen, ob die chinesische Familie nun zumindest noch einen befristeten Aufenthaltstitel bekommen kann.
Nach Aufenthaltsbetrug durch Vater: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34389 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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