"Ungereimtheiten" bei der Todesursache machen die Eltern des verstorbenen MdB Philipp Mißfelder misstrauisch, kürzlich verklagten sie die Uniklinik auf Einsicht in die Krankenunterlagen. Thomas Bayer zu den Vorschriften des Einsichtsrechts.
Nach dem Tod des im vergangenen Sommer überraschend verstorbenen CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Mißfelder kommt es zu einem juristischen Streit um dessen Krankenunterlagen. Wie ein Sprecher des zuständigen Amtsgerichts (AG) Münster bestätigte, haben die Eltern von Mißfelder Klage gegen die Uniklinik Münster eingereicht, mit der sie Einsicht in die Behandlungsunterlagen ihres Sohnes erhalten wollen (Az. 3 C 515/16). Dieser prominente Fall gibt Anlass, die Rechtslage zum Einsichtsrecht in Patientenakten näher zu betrachten.
Dass Ärzte und Kliniken gerichtlich dazu gezwungen werden, Behandlungsunterlagen zur Verfügung zu stellen, ist keine Seltenheit. In der juristischen Praxis ist dieses Vorgehen insbesondere bei der Vorbereitung von Arzthaftungsprozessen oftmals der einzige Weg, um überhaupt harte Fakten und handfeste Beweismittel zum Behandlungsgeschehen zu erhalten.
Dieses heute so selbstverständlich erscheinende Patientenrecht, Einsicht in die eigenen Krankenunterlagen nehmen zu dürfen, war lange Zeit äußerst umstritten. Zahlreiche Autoren und Gerichte vertraten die Ansicht, dem Patienten könne unter keinen Umständen ein solches Recht zustehen, zumal er die Aufzeichnungen ohnehin nicht verstehe.
Erst in den frühen 1980er Jahren setzte der Bundesgerichtshof (BGH) dem ein Ende und stellte die Weichen für eine Rechtsentwicklung, die zur Waffengleichheit zwischen Arzt und Patient im Zivilprozess beitragen sollte. Im Zuge des Patientenrechtegesetzes aus dem Jahr 2013 nahm der Gesetzgeber schließlich den Behandlungsvertrag in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) auf, das nunmehr in § 630g BGB eine ausdrückliche Regelung zum Einsichtsrecht enthält.
Das Einsichtsrecht des Patienten
Dem Patienten selbst steht grundsätzlich ein vollumfängliches Einsichtsrecht in alle ihn betreffenden Krankenunterlagen zu. Eines besonderen Interesses oder gar einer Begründung für die Einsichtnahme bedarf es nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in der Vergangenheit mehrfach betont, dass sich ein solches Recht bereits aus der informationellen Selbstbestimmung und personalen Würde des Patienten ergebe.
Nach der Regelung des § 630g BGB muss der Arzt dem Patienten unverzüglich Einsicht in sämtliche Aufzeichnungen gewähren. Dies war richterrechtlich bislang nur für objektive Befunde, wie etwa Operationsberichte oder Angaben zur Medikation, anerkannt. Nunmehr erstreckt sich das Einsichtsrecht – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH – auch auf die sogenannten subjektiven Befunde, wie etwa persönliche Eindrücke und Wahrnehmungen des Arztes. Letztere sind vor allem im Bereich der Psychiatrie ein wesentlicher Bestandteil der Patientenakte.
Nur in Ausnahmefällen gestattet das Gesetz eine Verweigerung der Einsichtnahme gegenüber dem Patienten: Wenn therapeutische Gründe oder Interessen Dritter entgegenstehen, kann der Arzt die Unterlagen zurückhalten, hat diese Entscheidung aber dann zu begründen.
2/2: Fall Mißfelder: Wunsch nach Aufklärung der Todesumstände
Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn es – wie im Fall Mißfelder – um das postmortale Einsichtsrecht von Erben und nächsten Angehörigen geht. Auch diesen Fall berücksichtigt das Gesetz in § 630g Abs. 3 BGB.
Die Erben müssen aufgrund ihrer Stellung als Gesamtrechtsnachfolger ein vermögensrechtliches Interesse wahrnehmen wollen, wie etwa Schadensersatzansprüche aufgrund fehlerhafter Behandlung des Erblassers. Die nicht zum Kreis der Erben gehörenden nächsten Angehörigen benötigen dagegen ein immaterielles Interesse an der Einsichtnahme.
Vorliegend ist dem Vernehmen nach offenbar die Witwe, Ann-Christin Mißfelder, Alleinerbin ihres verstorbenen Mannes, sodass sich die Eltern nur auf ihr Einsichtsrecht als nächste Angehörige berufen können. Das dafür notwendige immaterielle Interesse an der Einsichtnahme könnten sie auf ihre Absicht stützen, die wirklichen Todesumstände ihres Sohnes restlos aufklären zu wollen. Diversen Pressemeldungen zufolge gebe es nämlich "Ungereimtheiten" was den letztlich zum Tode führenden Treppensturz Mißfelders angehe.
Darüber hinaus ist anerkannt, dass auch der Wunsch nach Strafverfolgung ein solches Interesse der Angehörigen begründen kann.
Patientenwille als letzte Instanz
Allerdings lehnen sowohl die beklagte Uniklinik als auch die Witwe eine Einsichtnahme durch die Eltern ab. Zur Begründung führen sie an, eine solche entspräche nicht dem Willen des verstorbenen Abgeordneten, da das Verhältnis zwischen Mißfelder und seinen Eltern zerrüttet gewesen sei. Die Eltern bestreiten dies.
Der Arzt kann den Erben und Angehörigen die Einsichtnahme verweigern, wenn dem der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht. In diesem Punkt setzt sich das postmortale Persönlichkeitsrecht des Patienten und die strafbewehrte ärztliche Schweigepflicht aus § 203 Strafgesetzbuch (StGB) fort, die auch über den Tod hinaus gilt.
Ob die Klinik am Ende die Eltern tatsächlich von einer Einsichtnahme ausschließen kann, wird ganz entscheidend davon abhängen, ob sie den entgegenstehenden Willen Mißfelders im Prozess beweisen kann, denn die Beweislast dafür liegt beim Behandelnden.
Der Autor Thomas Bayer ist Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medizinrecht bei Prof. Dr. Andreas Spickhoff an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Dipl.-Jur. Univ. Thomas Bayer, Einsichtsrecht in medizinische Unterlagen: Die Krankenakte ist Privatsache . In: Legal Tribune Online, 06.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18978/ (abgerufen am: 31.05.2023 )
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