Druckversion
Freitag, 31.10.2025, 17:51 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/christine-hohmann-dennhardt-auto-konzern-verfassung-richter-wirtschaft
Fenster schließen
Artikel drucken
22006

Verfassungsrichter in der Wirtschaft: Aus­putzer statt Lob­by­isten

von Dr. Christian Rath

07.02.2017

Christine Hohmann-Dennhardt

© dpa

Nach ihrem Ausscheiden in Karlsruhe wurde Christine Hohmann-Dennhardt Vorstandsmitglied in Auto-Konzernen und erhielt am Ende eine Millionen-Abfindung. Hat das dem Ansehen des BVerfG geschadet? Nein, meint Christian Rath.

Anzeige

Christine Hohmann-Dennhardt war von 1999 bis 2011 Verfassungsrichterin am Ersten Senat. Im Februar 2011 wurde sie in den Vorstand des Automobilherstellers Daimler AG berufen. Im Januar 2016 wechselte sie in den Vorstand der VW AG. Doch schon nach einem Jahr trennten sich der Wolfsburger Konzern und Hohmann-Dennhardt vor wenigen Tagen. Letzteres hat wohl am meisten Aufsehen erregt, vor allem weil die Juristin nach nur einem Jahr bei VW rund 12 Millionen Euro Abfindung erhalten soll.

Einen ähnlichen, aber weniger spektakulären Weg hatte Winfried Hassemer eingeschlagen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Zweiten Senat wurde der Vizepräsident des BVerfG im Jahr
2010 Ombudsmann der Kreditauskunftei Schufa und 2012 Ombudsmann bei der Daimler AG. Nach seinem Tod 2014 übernahm die Position als Schufa-Ombudsmann der ehemalige BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier.

Üblich sind Wechsel in die Wirtschaft aber nicht. Viele Verfassungsrichter gehen am Ende ihrer maximal 12-jährigen Amtszeit einfach in den Ruhestand. Hochschullehrer kehren oft auf ihre Lehrstühle zurück. Auch eher selten übernehmen ausgeschiedene Verfassungsrichter neue öffentliche Ämter: Roman Herzog wurde Bundespräsident, Renate Jaeger ging als Richterin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Straßburg, Jutta Limbach wurde Präsidentin des Goethe-Instituts und Rudolf Mellinghof präsidiert heute am Bundesfinanzhof.

Aus der Politik in die Wirtschaft

Dabei kann ein Wechsel in die Wirtschaft zumindest finanziell sehr attraktiv sein. Hohmann-Dennhardt soll bei VW pro Jahr rund drei Millionen Euro (inklusive Boni) verdient haben. Ein Verfassungsrichter erhält derzeit rund 14.500 Euro im Monat. Auch nicht frustrierend, aber doch eine Dimension kleiner.

Bei Politikern und Beamten wirken spätere Wechsel in die Wirtschaft (und ihre Verbände) inzwischen etwas anrüchig. Es wird befürchtet, dass sie schon im öffentlichen Amt vor allem an ihren späteren privaten Arbeitgeber denken. Außerdem könnten sie nach dem Seitenwechsel staatliches Insiderwissen nun im neuen Kontext verwenden oder sogar alte Kontakte nutzen, um direkt Einfluss zu nehmen.

Für Mitglieder der EU-Kommission gilt deshalb seit November 2016 eine Karenzfrist von zwei Jahren, bevor sie einen neuen Job annehmen können, für den Präsidenten der EU-Kommission beträgt die Frist sogar drei Jahre. Bei deutschen Bundesministern wird ein Wechsel in die Wirtschaft seit 2015 durch ein Ethikkomitee geprüft, das bei drohenden Interessenskonflikten die Aufnahme der neuen Tätigkeit für 12 bis 18 Monate untersagen kann. Die Organisation Lobbycontrol fordert sogar eine dreijährige "Abklingphase".

Und aus Karlsruhe?

Ist nun aber der Wechsel eines Bundesverfassungsrichters in die Wirtschaft ähnlich problematisch? Ist in solchen Fällen sogar das Ansehen des Gerichts bedroht?

Interessenskonflikte könnte es geben. Immerhin ist die Karlsruher Rechtsprechung regelmäßig auch von wirtschaftlicher Bedeutung. Man denke nur an die milliardenträchtige Klage der Energieversorger gegen den Atomausstieg oder die Richtervorlage zur Besteuerung von Unternehmenserben. Außerdem befasste sich Karlsruhe mit der privaten Krankenversicherung, mit der Glückspielbranche und mit Haftungsregeln für die grüne Gentechnik.

Wenn ein Verfassungsrichter nach seinem Ausscheiden in Karlsruhe mit einem Posten in der Wirtschaft "belohnt" würde, könnte dies als Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit strafbar sein. Hinweise auf derartige Unrechtsvereinbarungen gibt es bisher freilich nicht. So war Christine Hohmann-Dennhardt als Verfassungsrichterin nicht für Autos zuständig, sondern für Familienrecht. Im übrigen könnte eine Belohnung auch unauffälliger als durch einen Vorstands-Posten gewährt werden, etwa durch Beraterverträge, Gutachtenaufträge oder Vortragshonorare.

Die Höhe der Abfindung der 66-Jährigen sorgt derzeit zwar für politischen Zwist. Dies wird aber vor allem als Symptom exzessiver Vorstandsvergütungen gesehen und schlägt deshalb nicht auf das Bundesverfassungsgericht durch.

Ex-Bundesrichter: Ruf wird genutzt, nicht beschmutzt

Hohmann-Dennhardt wurde auch nicht als Lobbyistin zu Daimler und VW geholt, sondern als Ausputzerin nach konkreten Skandalen. Daimler hatte zuvor in zahlreichen Ländern Regierungsbeamte bestochen, um an lukrative Aufträge zu kommen. VW steht nochimmer in der Kritik, weil eine Software den Abgasausstoß bei Tests manipulierte. Hohmann-Dennhardt sollte die Affären aufarbeiten und in Zukunft eine bessere Compliance sicherstellen. Ihr Vorstandsressort hieß jeweils "Integrität und Recht".

Wichtig waren ihr Ruf in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch in den USA, sowie ihre Autorität nach innen. Die Tätigkeit für Daimler und VW korrumpierte also ihren Nimbus als Verfassungsrichterin nicht, sondern versuchte diesen zu nutzen.

Noch deutlicher ist das bei den Ombudsmann-Tätigkeiten von Hassemer und Papier. Sie wurden und werden hierbei zwar von Wirtschaftsunternehmen bezahlt, sollen aber als unabhängige und neutrale Instanzen Beschwerden entgegennehmen und Konflikte schlichten. Die Nähe zur richterlichen Tätigkeit liegt auf der Hand. Auch hier wird und wurde also der Ruf des Ex-Verfassungsrichters genutzt, aber nicht beschmutzt.

Die Ex-Verfassungsrichter knüpfen insofern an Vorbilder von obersten Bundesgerichten an. So ist zum Beispiel der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Günter Hirsch,  schon seit 2008 Ombudsmann der Versicherungswirtschaft. Und der ehemalige BGH-Strafrichter Gerhard Schäfer wurde mehrfach mit der Aufklärung von Skandalen betraut: beim BND, bei der Deutschen Telekom AG und nach der Aufdeckung der NSU-Terrorgruppe bei den Thüringer Sicherheitsbehörden.

Insofern ist es vielleicht sogar verwunderlich, wie selten Ex-Verfassungsrichter bisher als Schlichter und Aufklärer, innerhalb und außerhalb der Wirtschaft eingesetzt werden. Hier ist eine Ressource gesellschaftlicher Legitimation noch weitgehend ungenutzt.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Christian Rath, Verfassungsrichter in der Wirtschaft: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22006 (abgerufen am: 07.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Öffentliches Recht
    • BVerfG
    • Richter
    • Unternehmen
    • Wirtschaft
Christina Block und ihr Verteidiger Dr. Ingo Bott am 20. Verhandlungstag vor dem LG Hamburg 06.11.2025
Prominente

Kindesentziehungsprozess gegen Christina Block:

Wer hat mit der israe­li­schen Sicher­heits­firma gespro­chen?

20. Tag im Block-Prozess: Gericht und Staatsanwaltschaft würgen eine Erklärung Christina Blocks ab. Außerdem berichten Zeugen von ungewöhnlichen Hotelübernachtungen im Elysee-Hotel. Wer hatte Kontakt zur israelischen Sicherheitsfirma?

Artikel lesen
Richterbank in Thüringen 06.11.2025
Beamtenbesoldung

VG Meiningen legt dem BVerfG vor:

Rich­ter­be­sol­dung in Thüringen ver­fas­sungs­widrig nie­drig?

Das VG Meiningen hält die Richterbesoldung in Thüringen für verfassungswidrig niedrig. Zwei Musterverfahren landen deswegen jetzt beim BVerfG. Es ist nicht der erste Fall, in dem sich Richter über zu wenig Geld beschweren.

Artikel lesen
Demonstrant vor dem Supreme Court 06.11.2025
Zoll

Supreme Court muss entscheiden:

Darf Trump im Allein­gang Zölle ver­hängen?

Im Frühjahr verhängte Trump reihenweise Zölle gegen Dutzende Staaten und berief sich dabei auf ein altes Notstandsgesetz, um den Kongress umgehen zu können. Ob das rechtmäßig war, wird Amerikas oberstes Gericht bald entscheiden.

Artikel lesen
Richter Bengt Fuchs 06.11.2025
Volksverhetzung

OLG Jena verwirft sofortige Beschwerde:

Kein Straf­ver­fahren gegen Richter Bengt Fuchs

Gegen den Richter Bengt Fuchs wird es kein Strafverfahren wegen Volksverhetzung geben. Das OLG Jena hat eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen. Es bleibt das Disziplinarverfahren.

Artikel lesen
Eine Frau in einer Kirche 05.11.2025
Kirche

BVerfG-Entscheidung zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche:

Egen­berger hat längst nicht ver­loren

Der Fall der konfessionslosen Bewerberin Egenberger geht zurück zum BAG. Dennoch hat das BVerfG die Kirchen in ihrem Selbstbestimmungsrecht mit dem Beschluss wesentlich beschnitten. Die müssen ihre Entscheidungen nämlich nun begründen.

Artikel lesen
Bundesverfassungsgericht 04.11.2025
BVerfG

Rätselhafter Vorstoß aus NRW:

Das BVerfG ent­lasten - aber wie?

Ein Vorschlag aus dem Justizministerium NRW gibt Rätsel auf: Das BVerfG soll von Arbeit entlastet und resilienter zu werden. Statt konkreter Vorschläge gibt es nur Andeutungen. Auch dazu, welche Sorge um das Gericht ihn antreibt.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Gleiss Lutz
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­beit (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Recht

Gleiss Lutz , Düs­sel­dorf

Logo von BOARD CONNECT GmbH
Lei­tung des Ka­tho­li­schen Da­ten­schutz­zen­trums /...

BOARD CONNECT GmbH , Dort­mund

Logo von White & Case
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

White & Case , Düs­sel­dorf

Logo von White & Case
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

White & Case , Ber­lin

Logo von LAFP NRW (Polizei)
Füh­rungs­kraft (m/w/d) in der Lauf­bahn­grup­pe 2.2

LAFP NRW (Polizei) , Düs­sel­dorf

Logo von Bird & Bird LLP
Rechts­an­walt (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht (Ver­ga­be­recht)

Bird & Bird LLP , Mün­chen

Logo von Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat
Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat , Wies­ba­den

Logo von White & Case
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

White & Case , Frank­furt am Main

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fortbildung Bank- und Kapitalmarktrecht im Selbststudium/ online

14.11.2025

Logo von Linklaters
Experience Private Equity – M&A Workshop @Linklaters

05.12.2025, Frankfurt am Main

Logo von Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln
Montagsreihe: KI und Legal Tech in der Rechtsbranche - Karriere als Jurist/in bei Wolters Kluwer

17.11.2025

Incoterms® 2020 Trainer Rezertifizierung

14.11.2025

66. Baurechtstagung

14.11.2025, Hamburg

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH