Ein Preis für "besondere Leistungen auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft". Aber Karsten Schmidts Lebenswerk ist noch lange nicht vollendet. "Ich komme voran", sagt der 76-Jährige. Ihn interessiert die Theorie, aber die für die Praxis.
Als junger Mensch habe er nicht geglaubt, dass er mit 76 Jahren noch immer abends regelmäßig im Büro an rechtswissenschaftlichen Konstrukten sitzen würde. Doch mit den Jahren, da sei das immer wahrscheinlicher geworden. Heute ist es Normalität. Karsten Schmidt hält Vorlesungen, besucht Konferenzen, ist gefragter Redner und ein unverändert "unermüdlicher" Wissenschaftler, wie er selbst sagt.
Schmidt hat die juristische Wissenschaft geprägt. Bis heute ist er Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensrecht an der Bucerius Law School, deren Präsident er von 2004 bis 2012 war. Der Jurist hatte Professuren in Göttingen, Hamburg und Bonn inne, in Bonn war er zugleich Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht. Er trägt Ehrendoktortitel der Universitäten Athen und Wien (2002, Dr. iur. h.c.) sowie der Leuphana (2012 Dr. rer. pol. h.c.).
Auf rund 500 Aufsätze und Schriften summiert sich sein bisheriges Werk. Sein, wie er selbst sagt, "wichtigstes Buch 'Gesellschaftsrecht'" hat er im Carl Heymanns Verlag veröffentlicht, der heute zu Wolters Kluwer Deutschland gehört.
Für diese "besonderen Leistungen auf dem Gebiet der Rechts- und Staatswissenschaften" hat Wolters Kluwer dem Juristen am Donnerstag den Carl Heymann Preis - Legal Award verliehen. Mit dem europäischen Wissenschaftspreis will das Medienunternehmen, zu dem auch LTO gehört, einen Beitrag zur Fortentwicklung des Rechts leisten und gleichzeitig den Gedanken der Einigung der Nationen fördern.
In seiner von hanseatischem Humor geprägten Rede wies Schmidt mit Blick auf die für 2016 geplante Neuauflage von 'Gesellschaftsrecht' darauf hin, dass, wenn der Verlag ihn mit Preisen beschäftigte, er nicht am Schreibtisch sitzen könne. Sein ehemaliger Habilitand Prof. Dr. Georg Bitter würdigte ihn als juristisches Universaltalent und nannte Schmidt, nicht zuletzt wegen seines übergreifenden Denkens, einen Landschaftsbildner des Rechts.
Gedankenarbeit ist Handarbeit
Karsten Schmidts erster wissenschaftlicher Aufsatz datiert von 1970. Dass er mit den rund 500 Publikationen im Schnitt in seinen bisher rund 46 Arbeitsjahren als Wissenschaftler fast einen Beitrag pro Monat geschrieben hat, ist eine Einordnung, mit der der Wissenschaftler wenig anfangen kann. "Das Schreiben ist doch kein Marathon und auch kein 100-Meter-Lauf." Er schreibe, wenn er Ideen habe; Ideen für neue Thesen, neue juristische Strukturen. So, wie er sich in seiner Habilitationsschrift mit einem damals neuen Blick auf das Kartellverbot befasst habe. "Mich interessiert Theorie für die Praxis." Denn dann erst sei es die wahre Theorie: wenn sie ins Allgemeine weise und dennoch Relevanz in der Praxis entfalte.
Wenn Schmidt etwas zu Papier bringt, tut er das im ursprünglichen Sinn der Worte: Er schreibt seine Gedanken händisch auf. "Das machen auch große amerikanische Autoren wie Paul Auster." Das gelte aber nur für die Publikationen, nicht auch für Alltägliches wie Emails, die schreibe er selbst. "Gedankenarbeit ist bei mir Handarbeit."
Der Rechtswissenschaftler hat seine universitäre Ausbildung "fachlich offen begonnen", sagt er selbst. Er hatte sich für Jura und gleichzeitig für Anglistik und Germanistik eingeschrieben.
Und sagt noch heute: "Eigentlich haben mir die Geisteswissenschaften besser gefallen." Als Student habe er sich unter den Philologen viel wohler gefühlt, "die liebten, wie der Name ja sagt, ihre Fächer so sehr". Außerdem habe es wenige gegeben, die sich selbst wichtig genommen hätten. Deren Attitüde, der Selbstanspruch, das Spielerische – das habe ihm gefallen.
Bei aller Liebe für die Philologie habe er sich aber irgendwann entscheiden müssen. "Ich musste Kraft in die Rechtswissenschaften stecken." Er habe zwar weiter Vorlesungen der Germanistik und Anglistik besucht, jedoch nicht mit dem Ziel, ein Staatsexamen abzulegen. Die juristischen Staatsexamina bestand er 1965 in Schleswig und 1969 in Hamburg.
2/2: Nicht ohne Philologie
Losgelassen habe ihn die Philologie indes bis heute nicht: "Im Grunde gehe ich mit philologischen Mitteln zu Werke", sagt Schmidt. Er sei auch leichter von abstrakten Ideen zu begeistern als von kleinen rechtspolitischen Konzepten. "Das klingt vielleicht ärmlich, aber ich gehe meinen eigenen Ideen nach und entdecke da größere Zusammenhänge."
Das kann auch mal eine Zeitlang dauern: Seit zwölf Jahren etwa befasst sich der Rechtswissenschaftler mit der "virtuellen juristischen Person". "Ich bin ein Geisterseher“, sagt der 76-Jährige über sich selbst. Es gehe um schwierige Treuhandkonstrukte, die es in der Rechtswelt tatsächlich gebe, für die meisten aber nicht sichtbar. Mit dem Konzept der virtuellen juristischen Person sei er noch nicht fertig, "aber ich komme voran".
Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts-, Insolvenzrecht, zudem Kartellrecht und auch Stiftungsrecht - Karsten Schmidt tummelt sich in vielen Segmenten der Rechtswissenschaft. Dass er deshalb auch jedem Jura-Studenten ein Begriff sei, glaubt er aber nicht. Und gibt sich keine Mühe, seine Kritik daran zu verhehlen: "Persönlichkeiten werden heute bei Jurastudenten nicht mehr so stark wahrgenommen". Diejenigen, die noch die Unis wechselten – "was leider immer weniger passiert" - , lernten zwar noch ein paar Professoren mehr kennen. Doch die Faszination, die früher von Gelehrten ausgegangen sei, wirke auf die meisten Studenten immer weniger. "Heute schlagen viele einen Kommentar auf und wissen hinterher nicht mehr, wer ihn geschrieben hat". Da habe sich die Attitüde, "der Approach, wie man wohl heute sagen würde", geändert. Das gelte allerdings nicht für die Studenten der Bucerius Law School.
Ein Zeugnis bedeutet noch keine Bildung
An der juristischen Privathochschule in Hamburg, noch immer seine Wirkungsstätte, da sei vieles anders als an anderen Universitäten. Es sei wohl teilweise ein Phänomen der heutigen Zeit, Ausbildung mit Bildung gleichzusetzen. "Ein Zeugnis bedeutet aber doch noch keine Bildung", sagt Schmidt. Die inneren Erlebnisse, die Chance, sich zu bilden, das komme vielerorts zu kurz. "Das ist schade - gilt aber nicht für die Bucerius Law School." Viele der dortigen Studenten spielten Theater oder ein Instrument und seien sozial stärker engagiert.
Manchmal zu kurz gekommen sei in seinen Arbeitsjahren die Familie, resümiert der Rechtswissenschaftler. Sein Arbeitspensum sei mit persönlichen Einschränkungen verbunden und auch damit, dass er zu selten seine Geige spiele. Noch immer arbeitet Schmidt abends lange –"wenn ich nicht gerade ein Konzert besuche".
Ob er mit all dem, was er nun gefragt wurde, als Mensch und Wissenschaftler richtig erfasst sei – da sei er sich unsicher. "Wissen Sie, man muss auch mal unbequem sein mit seinen Thesen. Wer alles nur richtig rüber bringt, der ist kein Wissenschaftler. Und was nicht falsch sein kann, das kann auch nicht wissenschaftlich interessant sein." Ein bisschen Risiko gehöre zum Dasein als Wissenschaftler dazu – und dass man "nicht Mainstream" sei.
Eine Mitteilung zum Schluss
Mainstream ist Karsten Schmidt ganz sicher nicht. Nach Ende des Gespräches meldet er sich noch mal: "Sie haben mir manche Frage gar nicht gestellt, auf die ich gewartet habe. Aber wissen Sie: Vor zwei Wochen war ich auf einer Tagung. Dort sagte mir ein Anwalt, er habe gerade zwei Prozesse gewonnen, weil er sich auf meinen Kommentar gestützt habe. Das wollte ich Ihnen nicht vorenthalten."
Der zitierte Advokat dürfte nicht der einzige sein. Der Carl Heymann Preis - European Legal Award würdigt Persönlichkeiten, die durch besondere Leistungen auf dem Gebiet der Rechts- und Staatswissenschaften hervorgetreten sind. Der Preis versteht sich als europäischer Wissenschaftspreis, mit dem das Medienunternehmen Wolters Kluwer einen Beitrag zur Fortentwicklung des Rechts leisten und gleichzeitig den Gedanken der Einigung der Nationen fördern will.
Tanja Podolski, Carl Heymann Preis 2015 für Karsten Schmidt: Auch mal unbequem sein mit seinen Thesen . In: Legal Tribune Online, 06.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17448/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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