Ein Bild und seine Erben veranlassten das BVerwG, zu klären, wozu die öffentliche Datenbank Lost Art eigentlich dient: Sie soll helfen, einen gerechten und fairen Ausgleich zwischen allen Nachfolgern von in NS-Zeiten enteigneten Kunsteigentümern zu finden. Das Online-Projekt von Bund und Ländern listet Such- und Fundmeldungen zu Kulturgütern auf – und zwar so lange, bis die Rechtsverhältnisse geklärt sind.
Die Erben eines ehemals in Berlin ansässigen jüdischen Galeristen und Kunsthändlers, der zur Zeit des Nationalsozialismus‘ wegen seines jüdischen Glaubens wohl fliehen und seine gesamte Kunstsammlung zurücklassen musste, stellten ein vermisstes Kunstwerk 2005 in die Suchliste der Internet-Datenbank "Lost Art" ein.
Eine zweite Eintragung in der öffentlich zugänglichen Datenbank aus dem Jahr 2009 stammt von den Rechtsnachfolgern eines Bankhauses jüdischer Eigentümer. Dieses habe das Eigentum an dem Bild im Zuge der NS-Herrschaft verloren, machten sie geltend.
Das Bild wurde schließlich 2009 bei einem Dritten in Namibia gefunden. Er einigte sich mit den Erstanmeldern auf eine gemeinsame Verwertung des Bildes. Die zweite Erbengemeinschaft war an der Vereinbarung hingegen nicht beteiligt.
Um das Bild unbelastet versteigern zu können, forderten die Erben des jüdischen Kunsthändlers von der Koordinierungsstelle Magdeburg, welche die Datenbank betreibt, das Bild aus der Suchliste zu löschen. Diese lehnte jedoch ab, weil die Zweitanmelder die Zustimmung verweigert hatten. Die Versteigerung scheiterte.
Die Erben begehrten daraufhin vom Land Sachsen-Anhalt im Wege eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs die Löschung des Gemäldes aus der Datenbank und bekamen in den ersten beiden Instanzen Recht. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ihren Anspruch abgelehnt. Und die Gelegenheit genutzt, um zu klären, welchem Zweck die öffentlich zugängliche Datenbank eigentlich dient (Urt. v. 19.02.2015, Az. 1 C 13.14).
Verlorene Kunst im Nationalsozialismus
Die online abrufbare kostenlose Datenbank wurde 1998 von der Koordinierungsstelle Magdeburg aufgebaut, zur Hälfte jeweils getragen vom Bund und den Ländern. Das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt führt die Dienst- und Fachaufsicht. Seit Anfang 2015 wird sie von der Stiftung "Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste" fortgeführt.
Sie hat die Aufgabe, gemäß den Anforderungen der Washingtoner Erklärung von 1998 und der deutschen Gemeinsamen Erklärung von 1999, internationale Such- und Fundmeldungen zur NS-Raub- und Beutekunst zu dokumentieren. Darunter versteht man zum einen solche Kulturgüter, die infolge des Nationalsozialismus – meist jüdischen - öffentlichen Einrichtungen oder privaten Personen bzw. Institutionen verfolgungsbedingt entzogen (Raubkunst) oder die kriegsbedingt verbracht wurden (Beutekunst). Gemeldet werden sollen zum anderen Kunstwerke, die möglicherweise eine solche Verlusthistorie haben, weil ihre Herkunft zum Beispiel aufgrund wechselnder Besitzerverhältnisse (Provenienz) nicht ganz geklärt ist.
Wer Verluste dieser Art erlitten hat, kann recherchieren, ob sich die von ihm gesuchten Kulturgüter in den Fundmeldungen wiederfinden. In den Suchmeldungen können Besitzer oder Verwalter von Kulturgütern mit unsicherer oder lückenhafter Provenienz recherchieren, ob ihre Werke anderenorts gesucht werden.
Vorinstanz: es reicht, wenn alle wissen, wo das Bild ist
Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben und das Land verpflichtet, das Bild aus der Datenbank zu löschen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg begründete dies damit, dass der Zweck der Suchmeldung mit dem Auffinden des Bildes erfüllt sei. Mit der Liste der Lost Art Datenbank solle die Suche nach verschollenen Kunstgütern erleichtert werden. Demnach reiche es, wenn alle Beteiligten, die Eigentums-, Besitz- oder Restitutionsansprüche an dem Kunstwerk geltend machen, wüssten, wo sich das Gemälde befinde. Eigentumsrechtliche Ansprüche solle sie dagegen nicht sichern.
Indem die Koordinierungsstelle die Eintragung aufrechterhalte, dauere ein rechtswidriger Zustand fort, der die Gesellschaft und die Erben in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletze. Der in der Suchliste dokumentierte Raubkunstverdacht führe zu einem merkantilen Minderwert und im Einzelfall sogar zur zeitweiligen Unveräußerlichkeit eines Werkes (Urt. v. 23.10.2013, Az. 3 L 84/12).
2/2: Lost Art-Datenbank dient gerechten eigentumsrechtlichen Lösungen
Das BVerwG hat sich dieser Ansicht der Vorinstanz nicht angeschlossen und die Klage abgewiesen. Die Richter entschieden, dass die Gesellschaft keinen Anspruch auf Löschung der Eintragung hat, solange noch nicht alle Anmelder dieser zugestimmt haben (Urt. v. 19.02.2015, Az. 1 C 13.14). Die Suchmeldung sei daher nicht schon mit dem Auffinden des Gemäldes rechtswidrig geworden. Weil noch keine Klarheit über das endgültige Schicksal des Bildes besteht, lehnt der 1. Senat einen Folgenbeseitigungsanspruch ab.
Der Zweck der Suchmeldungen der Datenbank Lost Art erschöpfe sich nämlich nicht allein darin, dass die Vorkriegseigentümer und ihre Erben dort eingetragene Kulturgüter finden können, wenn über deren weiteres Schicksal noch keine Einigkeit zwischen den Betroffenen besteht.
Eine derartige Beschränkung der Zwecksetzung sei unvereinbar mit den auf der Washingtoner Konferenz vom 3. Dezember 1998 aufgestellten Grundsätzen für Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washingtoner Grundsätze), deren Verwirklichung die Koordinierungsstelle dient. Danach sollen Vorkriegseigentümer und ihre Erben zum Anmelden ihrer Ansprüche ermutigt und nach dem Auffinden eines Kunstwerks auch beim Finden einer gerechten und fairen Lösung unterstützt werden.
Dass der Zweck einer Suchmeldung nicht schon mit dem Auffinden erfüllt ist, bestätigen nach Ansicht des 1. Senats zudem die von der Koordinierungsstelle aufgestellten Voraussetzungen für die Löschung eines Objekts. Unter anderem heißt es dort: "Wird ein Objekt von mehreren Meldern beansprucht, erfolgt die Meldung mit der Koordinierungsstelle Magdeburg als Ansprechpartnerin. Diese informiert im Falle von Anfragen, Identifizierungen oder Veränderungen etc. die Parteien."
Staat darf weiterhin über Raubkunstverdacht informieren
Die Aufrechterhaltung der Suchmeldung verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht, führte das Gericht aus. Vielmehr handele es sich um eine sachlich zutreffende Information über einen fortbestehenden Raubkunstverdacht. Die staatlichen Betreiber der Datenbank unterrichteten damit den Kunstmarkt. Nach den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für ein solches staatliches Informationshandeln aufgestellt hat, verletzte die Eintragung daher nicht die Grundrechte der Personen, die das Bild nun versteigern können, und bedürfe auch keiner gesetzlichen Grundlage.
Die Erben müssen nun also entweder versuchen, das Werk trotz des Eintrags versteigern zu lassen – eine Variante, die sie vermutlich nicht wählen werden, da sich potenzielle Käufer von der Belastung sicherlich abschrecken lassen und allenfalls einen Bruchteil des tatsächlichen Wertes zahlen werden. Oder aber sie finden eine Einigung mit der anderen Erbengemeinschaft, die allen Interessen Rechnung trägt. Letzteres entspräche sicherlich eher der "gerechten und fairen" Lösung im Sinne des BVerwG.
Anne-Christine Herr, BVerwG zur Lost-Art-Datenbank für NS-Raubkunst: Löschung nur mit Zustimmung aller Erben . In: Legal Tribune Online, 20.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14759/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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